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Zweite Chance: Nachdem die Netflix-Serie „Making a Murderer“ Schlampereien bei den Ermittlungen aufdeckte, wird der Fall von Steven Avery neu aufgerollt.
© dpa

Wahre Verbrechen: Wie bei "Aktenzeichen XY...ungelöst", nur umgekehrt

"Making a Murderer" und "Serial": Wie eine Streamingserie und ein Podcast die US-Justiz auf Trab brachten.

Im deutschen Fernsehen hilft eine Sendung wie „Aktenzeichen XY … ungelöst“ den Ermittlungsbehörden dabei, offene Rechtsfälle zu klären und gesuchte Verbrecher dingfest zu machen. Doch es geht auch anders, wie beispielsweise in der Netflix-Dokumentation „Making a Murderer“, die sich mit Mängeln im US-Justizsystem beschäftigt. Einer der Protagonisten der Serie, ein wegen Mordes verurteilter 26-jähriger Mann, soll nun freigelassen werden, nachdem die Serie Schlampereien, wenn nicht sogar Manipulationen bei den Ermittlungen aufgedeckt hat.

Der Fall aus Wisconsin erinnert an einen anderen in Baltimore, in dem nicht eine Dokumentation, sondern ein Podcast die Wende brachte. Auch hier führte ein Medienformat dazu, dass ein Fall neu aufgerollt wurde. Adnan Syed war zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er hatte immer wieder beteuert, seine Freundin nicht umgebracht zu haben. 16 Jahre später wird ihm nun mehr Glauben geschenkt.

Im Podcast „Serial“ stöbert die amerikanische Journalistin Sarah Koenig in den Prozessakten, spricht mit Syeds Familie, besichtigt den Tatort und macht eine Zeugin ausfindig, die im Prozess bislang nicht ausgesagt hatte. Immer dabei: rund drei Millionen Hobbydetektive. Vor zwei Jahren rief Koenig mit ihrer wöchentlichen Serie nicht nur die Möchtegern-Sherlock-Holmes auf den Plan. Sie bringt neue Hinweise zum Fall Syed ans Licht, wirft neue Fragen auf, findet Unstimmigkeiten bei den Indizien.

"Serial" hat Podcasts wieder populärer gemacht

Eine Frage beantwortet aber auch Koenig nicht: wer der wahre Täter ist. Eine andere Frage ist leichter geklärt: was hat es mit Podcasts auf sich? Nachdem Apple 2005 Podcasts für ein Massenpublikum bekannt gemacht hatte, verloren die Leute zunächst wieder das Interesse. Durch „Serial“ ist das Format wieder populärer geworden. Eine Renaissance? Glaubt man der ARD-ZDF-Onlinestudie 2015 schon. So hat sich die tägliche Nutzung in Deutschland verdoppelt: Sie ist von einem auf zwei Prozent gestiegen. 1,3 Millionen Menschen hören täglich Podcasts. Medienwissenschaftlerin Nele Heise beobachtet die Wiedergeburt des Formates. Ausschlaggebend für sie ist definitiv Sarah Koenigs Format. „Crime geht eben immer. ‚Serial‘ ist eine Art Blockbuster geworden. Das hat die Aufmerksamkeit wieder auf Podcasts im Allgemeinen gelenkt“, fasst sie zusammen. Auf dem Weg zur Arbeit, beim Putzen, in der Straßenbahn: die Hörer entscheiden selbständig wann und wo es ihnen passt und legen – falls nötig- eine Pause ein.

Thematisch gesehen, gibt es kaum Einschränkung. Jedes noch so kleine Nischenthema wird von irgendjemandem bedient. Das neue Interesse hat Auswirkung auf die Podcast-Branche. Viele Anbieter springen auf den Erfolgszug mit auf: Startups sind auf der Suche nach spannenden Themen. Medien wie Buzzfeed produzieren Podcasts mit Lena Dunham, Spotify trägt ebenfalls dazu bei, dass sich das Nischenprodukt zum Mainstream macht. Im April wechselten Jan Böhmermann und Oli Schulz mit „Fest und Flauschig“ zum Streamingdienst.

Der wahrscheinlich größte Dauerbrenner des deutschen Fernsehens, den „Tatort“, gibt es ebenfalls als Audiodatei. Selbst die Bundeskanzlerin spricht via Podcast zum Volk. „Die Branche hat sich ganz klar professionalisiert. Experten für Storytelling und Audioinhalte haben sich dem Medium angenommen“, so Heise.

Ob die Erfolgswelle anhält, bezweifelt die Weimarerin, die gerade zum Thema Podcasts als mediale Teilhabe promoviert, allerdings: „Ich denke, das der Markt für gesprochenes Audio nach wie vor beschränkt ist.“ Sie vergleicht ihn mit Wortprogrammen im Radio. Die Reichweite sei im Vergleich zu Musikprogrammen viel geringer. Doch auch wenn die Nachfrage wieder einbrechen sollte, liege eine Stärke des Formates darin, dass es immer noch die Menschen erreichen wird, die es interessiert.

Sagen und Verschwörungstheorien

Für Alexa und Alexander Waschkau bleiben die Audioformate trotz des aktuellen Erfolgs „immer noch eine kleine Nische im Konzert der Medienlandschaft“. Die beiden sind die Gründer von ‚Hoaxilla‘. Wöchentlich sind 25 000 bis 30 000 User an ihrer Aufbereitung von Modernen Sagen und Verschwörungstheorien interessiert. Den gegenwärtigen Aufwärtstrend erklären sie sich damit, dass mehr etablierte Medien das Thema, angestoßen durch „Serial“, aufnehmen und darüber berichten.

Ob Adnan Syed freigesprochen wird, wird sich zeigen. Aber vielleicht liefert der Prozess Sarah Koenig Material für eine Fortsetzung – die vielen Freizeitkommissare würden es sich bestimmt wünschen. Und auch Netflix wird sich Gedanken über eine Fortsetzung von „Making a Murderer“ machen.

Julia Müller

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