Lob dem Podcast: Wer redet, ist nicht tot
Podcasts bieten Machern und Nutzern die Freiheit des Wortes. Auch Jan Böhmermann und Olli Schulz nutzen den Übertragungsweg
Adam Curry, ehemals Moderator bei MTV, saß gerade im Auto, auf dem Weg von Belgien in die Niederlande, als er die Worte aufnahm, die als einer der Startpunkte für das gelten, was heute unter dem Namen Podcast bekannt ist. „Guten Morgen zusammen“, sagte Curry, „und willkommen bei ,Daily Source Code‘. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diese MP3 herunterzuladen.“ Knapp elf Jahre ist das jetzt her. Curry gilt heute als einer der Pioniere einer Medienart, die zuletzt einen neuen Höhepunkt erreichte, als der Secret Service vor einigen Wochen einen ganzen Straßenzug im Osten von Los Angeles sperrte, damit der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, in einer vollgepackten Garage Platz nehmen konnte, um einem depressiven Comedian ein ausführliches Interview zu geben.
Aber der Reihe nach.
Podcast setzt sich aus den Wörtern Broadcast (deutsch: Sendung) und Pod, wie in iPod, zusammen. 2005 integrierte Apple Podcasts in die schon vorhandene Software iTunes. Sie sind Radiosendungen nicht unähnlich, aber freier, nicht den Zwängen einer Sendeanstalt unterworfen. „Podcasts bespielen eine Nische, die der herkömmliche Hörfunk zunehmend wachsen lässt, sodass Podcasts langsam, aber kontinuierlich mitwachsen können“, sagt Holger Klein. Er moderiert beim Jugendsender Radio Fritz vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) das Format „Blue Moon“. Daneben produziert er Podcasts. Gemeinsam mit Tim Pritlove, einem der Pioniere der deutschen Szene, betrieb er bis vergangenes Jahr den Podcast „Not Safe For Work“ (kurz: NSFW). Mittlerweile findet man etwa eine Sammlung von Kleins Podcasts unter dem Akronym „WRINT“ („Wer redet, ist nicht tot“). Klein nimmt sich darin die Zeit für ausführliche Interviews, redet über Bier und Wein und lässt sich von einem bayrischen Oberschullehrer Politik erklären.
Reden, bis alles Wichtige gesagt ist
„Es gibt keine Längenbegrenzung“, sagt Klein, „und man kann mit dem Gesprächspartner so lange reden, bis alles Wesentliche gesagt ist. Wenn man für den Hörfunk produziert, hat man die Zeitschere immer schon beim Manuskriptschreiben im Kopf und überlegt sich seine Fragen präziser, sodass kaum Raum für Abschweifungen bleibt.“
Schön zu hören war das, als Barack Obama bei dem depressiven Comedian in der Garage saß. Marc Maron, so der Name des Interviewers, bekam in seiner Karriere als Stand-up-Comedian zwar viel Anerkennung von den Kollegen, kommerziellen Erfolg aber hatte er nicht. Bis er 2009 seinen Podcast „WTF“ startete, eine Abkürzung, die auf Deutsch etwa mit „Was zur Hölle“ übersetzt werden könnte. Maron sendet aus der Garage seines Hauses in Los Angeles. In jener Garage, in der er sich ein Jahr zuvor noch das Leben nehmen wollte. Jede Folge beginnt mit einer Art Stand-up-Selbsttherapie-Monolog, in dem Maron wahlweise über seine gescheiterten Beziehungen, Drogensucht oder seine Katzen spricht. Nicht selten bringt er seine eigenen Probleme auch mit ins Gespräch ein. Maron erzählt dann von seinen Selbstzweifeln, der schwierigen Beziehung zu seinem Vater oder seinen Depressionen.
So viel Offenheit ist entwaffnend, oft bröckelt bei den Interviewten die professionelle Hülle und Maron entlockt ihnen Dinge, die sie in anderen Formaten nie gesagt haben. So auch bei Barack Obama. Die WTF-Episode wurde kurz nach dem rassistischen Attentat von Charleston/North Carolina aufgenommen. Ein nachdenklicher Obama ließ sich in der Sendung darüber aus, wie sehr ihn der Kongress anwidere, die Schwierigkeit, das Waffengesetz zu ändern – und während er über Rassendiskriminierung in den USA sprach, rutschte dem Präsidenten sogar das „N-Wort“ raus („N“ steht für „Nigger“). In Fernsehen und Radio undenkbar.
Maron kann in seinem Podcast umsetzen, wofür das Radio keinen Platz hat – mit großem Erfolg. Es sind diese Freiheiten, die auch den Radiomoderator Holger Klein dazu brachten, Podcasts zu machen. „Beim Radio haben mir gerne mal Redakteure in meine Themenwahl und Produktionsweise reingeredet, die aber bloß Geschmacksurteile verabsolutierten, dadurch aber Produktionen verhindert haben. Außerdem fehlt im Radio der Raum, Gedanken hinreichend zu entwickeln, Menschen und Themen umfassend kennenzulernen“, sagt er.
Hört man sich ein Gespräch bei WTF an, etwa die vom Magazin „Slate“ zur besten Podcast-Folge gekürte Episode mit dem amerikanischen Comedian Louis C.K., hat man das Gefühl, beide – Interviewer wie Interviewten – wirklich zu kennen.
"Sanft & Sorgfältig" mit Olli Schulz und Jan Böhmermann
Holger Klein möchte in seiner Kritik am Radio die RBB-Kollegen von Radio Eins explizit ausnehmen. Der 1997 entstandene Sender nimmt sich mehr Zeit für Interviews und hat einer Sendung eine Chance gegeben, die heute im deutschen Raum am ehesten mit Formaten wie WTF mithalten kann: „Sanft & Sorgfältig“ mit Olli Schulz und Jan Böhmermann. Es ist eine Radioproduktion, kein eigentlicher Podcast. Und dennoch steht „Sanft & Sorgfältig“ in den iTunes-Charts ganz oben, zuletzt berichtete eine Hörerin davon, dass sie die Sendung als Podcast bis mit in den Kreißsaal genommen hätte, um sie bei der Geburt zu hören.
Die beiden Moderatoren halten nicht hinterm Berg mit ihrer Abneigung, dass zwischendrin – altes Radiogesetz – Musik gespielt wird. Gerade Böhmermann regt sich darüber mitunter furchtbar auf. Der Hörer des Podcasts bekommt keine Musik, wohl aber mit, dass die Gespräche unterbrochen werden.
Fragt man beim RBB nach, ob „Sanft & Sorgfältig“ häufiger im Radio gehört oder als Podcast heruntergeladen wird, bekommt man keine eindeutige, dafür eine sperrige Antwort: „Mir ist keine Sendung bei Radio Eins bekannt, die höhere Online-Abrufe als Livehörer hat. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Format wie ,Sanft & Sorgfältig‘ das Potenzial hat, in naher Zukunft diese Schwelle zu überspringen.“
Nimmt man nur die in der Sendung vorgelesenen Hörerzuschriften, drängt sich der Eindruck auf, dass „Sanft & Sorgfältig“ in erster Linie als Podcast gehört wird. Und auch was Jan Böhmermann letztes Jahr dem Tagesspiegel über das Konzept der Sendung gesagt hat, passt eher in die digitale Freiheitsnische: „Wir sind vogelfrei, was die Gestaltung von ,Sanft & Sorgfältig‘ betrifft. Oft wissen wir ja beide vorher selber nicht, was in der Sendung passiert, welche Themen wir in den zwei Stunden ansprechen.“
Diese Freiheit hat ein Publikum gefunden. Das ist bei „Sanft & Sorgfältig“ so und auch bei dem amerikanischen Podcast WTF. Bevor Präsident Obama bei Marc Maron in der Garage saß, hatte er auch noch Interviewtermine mit amerikanischen Youtube-Stars. Das wiederum soll Angela Merkel dazu gebracht haben, LeFloid ein Interview zu geben. Wer weiß, vielleicht gibt sich die Kanzlerin demnächst auch für ein Podcast-Interview her. Oder geht gleich zu „Sanft & Sorgfältig“. Dann könnten Böhmermann und Schulz liefern, was LeFloid nach Meinung vieler verpasst hat. Denn für Holger Klein erklärt sich der Erfolg der Sendung aus der Herangehensweise. „Die beiden Protagonisten haben Haltung und zeigen die auch – und zwar in einem publizistischen Umfeld, das auf Biegen und Brechen versucht, sich haltungsfrei darzustellen.“