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Kindesmissbrauch in der Familie
© DPA

Doku über Kindesmissbrauch: Wenn Eltern ihre Kinder misshandeln

Alle drei Tage stirbt ein Kind in Deutschland an Misshandlungen: Eine ARD-Dokumentation zeigt alarmierende Zustände im Kampf für den Schutz von Kindern.

Ein oder zwei Minuten am Telefon können ein Leben retten. Nachbarn hören, wie ein Säugling stundenlang schreit. Sie klingeln, keiner macht auf. Dann rufen sie eine Hotline für Kinderschutz an: Name, Adresse, Verdacht. Eine knappe Mitteilung. Kurz darauf finden Berliner Polizisten eine schwer alkoholisierte Mutter vor und ein sich selbst überlassenes Baby. Die Nachbarn hatten das Schreien des Kindes in den Notruf übersetzt, der gebraucht wurde.

Oft bekommt das Umfeld mit, dass ein Kind misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt wird, ein Bruder, eine Schwägerin, ein Lehrer, eine Kinderärztin, ein Kita-Erzieher. Ihr Entschluss, zum Hörer zu greifen, kann entscheidend sein für eine ganze Biografie, sogar für Leben oder Tod.

Das und weit mehr zeigt die großartige Dokumentation des Hessischen Rundfunks „Wenn Eltern ihre Kinder misshandeln“ am Montag in der ARD. Ruhig und klug legen Christine Rütten und Dominik Nourney aktuelle Praxis und Forschung zum Kinderschutz dar. Neben einigen der besten juristischen und medizinischen Experten lässt ihr Film Mitarbeiter von Jugendämtern zu Wort kommen, darunter viele aus Berlin.

Zustand an den Jugendämtern

Was sie alle zu sagen haben, das sollten Politiker hören. Kathinka Beckmann etwa, Sozialwissenschaftlerin an der Hochschule Koblenz, hat bundesweit Arbeitsbedingungen in Jugendämtern erforscht. Ihre Studie, die am Montag in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt wird, benennt alarmierende strukturelle Defizite und geht davon aus, dass bei derzeit bis zu 100 Fällen pro Mitarbeiter in den 563 Jugendämtern etwa 16000 Stellen fehlen, um rund eine Million Familien zu betreuen. Die Kamera begleitet Mitarbeiterinnen, wie sie von Tür zu Tür, von Fall zu Fall eilen, den Taten und Fakten hinterher. Was sie nicht leisten können, übergeben die Ämter freien Trägern, die wiederum kaum kontrolliert werden können.

Alle drei Tage stirbt in Deutschland ein Kind an Misshandlungen. 2017 gab es 143 Kindstötungen, 77 Tötungsversuche und mehr als 20 000 Fälle schwerer Misshandlungen. Im Klartext bedeutet diese Kriminalstatistik zum Hellfeld: Gebrochene Rippen, Schädelfrakturen, Hämatome, ausgeschlagene Zähne, Bisse, Striemen, Verbrennungen.

Die meisten der Opfer sind jünger als sechs Jahre. Fälle, über die berichtet wird, erklärt Jörg Fegert von der Universitätsklinik Ulm, „sind da nur die Spitze der Spitze des Eisbergs.“ Die tatsächliche Kälte reicht noch viel tiefer, das Dunkelfeld ist weitaus größer. „Die Täter kommen aus allen Schichten“, konstatiert Ralf Benzin vom Landeskriminalamt Berlin, „und es sind Mütter wie Väter“.

Blinde Flecken

„Nicht alle Mütter haben Blumen verdient!“ klagte der Deutsche Kinderverein aus Essen am Muttertag, denn noch ist kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen, dass rund die Hälfte der Taten von Müttern begangen wird. Dennoch geben Familiengerichte gerade Müttern, deren Kinder in Obhut genommen wurden, oft eine zweite und dritte Chance, was auf die Kinder oft nicht minder traumatisierend wirkt.

Daher fordert der Jurist Ludwig Salgo die Pflicht für Familienrichter, Basiswissen etwa über Kindeswohl, Bindung, Trennung und kindliches Zeitempfinden zu erwerben. Auch Ärzte versagen oft. Viele ihrer Kollegen, bedauert die Kinderärztin Barbara Mühlfeld, wollen „nicht wahrhaben“, was sie ahnen oder sehen. Und viele von ihnen wissen nicht, dass bei Missbrauch und Misshandlung keine Schweigepflicht gilt. Deutlich macht der Film trotz allem: Defizite im Kinderschutz werden immer klarer benannt. Auf dem Weg zu Reform und Aufklärung ist auch dieser Film ein wichtiger Schritt.

„Was Deutschland bewegt: Wenn Eltern ihre Kinder misshandeln“ ARD, Montag, 20 Uhr 15.

Berliner Kindernotdienst: 24 Stunden, vertraulich, kostenfrei: 030/61 00 66. Bundesweit berät die Medizinische Kinderschutzhotline Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte: 24 Stunden, vertraulich, kostenfrei: 0800 19 210 00.

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