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Das Foto zeigt die Festnahme eines Mannes (2.v.l.) am 16. September 2017 in Münstertal (Baden-Württemberg), die im Zusammenhang mit einem Missbrauchsfall in Freiburg stand. Die abgebildeten Personen wurden zum Schutz der Persönlichkeitsrechte unkenntlich gemacht.
© Markus Donner/dpa
Update

Freiburger Missbrauchsfall: Selbst erfahrene Ermittler kommen an ihre Grenzen

Ein Neunjähriger wird jahrelang missbraucht - von der Mutter, ihrem Lebensgefährten und Fremden. Der Chef der Freiburger Kriminalpolizei spricht über den Fall, der bisherige Dimensionen sprengt.

Das Grausame steckt nach vier Monaten Ermittlungsarbeit in zehn Aktenordnern. In den Büros der Freiburger Kriminalpolizei haben Beamte der Ermittlungsgruppe „Kamera“ Beweise gesichert. Es ist ein Fall, der selbst erfahrene Polizisten an den Rand des Erträglichen führt und der überregional Schlagzeilen macht. Nach dem jahrelangen Missbrauch eines Neunjährigen sitzen acht Tatverdächtige in U–Haft. Die Polizei ermittelt – und arbeitet am Schlussbericht, damit die ersten Prozesse in den kommenden Monaten beginnen können.

„Es sind Bilder und Töne, die sich einbrennen im Kopf“, sagt Peter Egetemaier, Chef der Freiburger Kriminalpolizei. In seinem Haus laufen die Ermittlungen in dem Fall, der nach Angabe der Beamten bisherige Dimensionen sprengt. Der heute neun Jahre alte Junge wurde den Ermittlungen zufolge von seiner Mutter und deren Lebensgefährten mehr als zwei Jahre in zahlreichen Fällen Männern für Vergewaltigungen überlassen. Das Paar kassierte dafür Geld, war aber auch an Vergewaltigungen aktiv beteiligt. Mehrere tausend Euro zahlten die Männer. Dafür bekamen sie den Jungen teils mehrere Tage. Der Kontakt lief über das Internet, die Taten wurden gefilmt.

„Wir haben es mit äußerst brutalen und menschenverachtenden Tat zu tun“, sagt Egetemaier. „Die Art der Verbrechen, die Vorgehensweise der Täter sowie die Tatsache, dass eine Mutter ihr eigenes Kind verkauft und selbst misshandelt, das hat selbst erfahrene Ermittler an ihre Grenzen gebracht.“ So einen Fall habe es noch nicht gegeben. Das Auswerten der gefundenen Videos, auf denen Taten zu sehen und hören sind, sei besonders belastend.

Die 47 Jahre alte Mutter und ihr 39-jähriger Lebensgefährte sind die Hauptbeschuldigten, ihr Motiv noch unklar. Doch die Beweise seien eindeutig, vor allem wegen der vielen Bilder und Filme. Sie werden noch immer ausgewertet, die Polizei erhofft sich weitere Hinweise. „Aufnahmen, die Kindesmissbrauch dokumentieren, werden in der Szene massenweise gespeichert, gesammelt und getauscht. Sie gelten manchen auch als eine Art Trophäe“, sagt Egetemaier. Ein Großteil der Ermittlungen laufe im Internet. Spezialisten der Abteilung Cyber-Crime kümmerten sich darum. Das weltweite Netz erlaube es Verbrechern, anonym und grenzenlos zu agieren, ein Tastendruck genüge. Die Polizei dagegen müsse sich an nationale Zuständigkeiten halten. Das mache die Strafverfolgung schwierig.

Der Lebensgefährte der Mutter wurde viele Stunden vernommen

Der 39-jährige Lebensgefährte, der wegen schweren Kindesmissbrauchs vorbestraft ist und dem Gerichte eigentlich ein Kontaktverbot zu dem Jungen auferlegt hatten, spricht mit den Ermittlern. Viele Stunden wurde er bereits vernommen. „Doch die Arbeit läuft weiter“, sagt eine Polizeisprecherin. Es könnten sich Verbindungen zu möglichen weiteren Taten, Opfern und Verbrechen ergeben. Die Szene, sagt ein ermittelnder Beamte, sei über das Internet weltweit vernetzt. In vielen Fällen habe man es mit Wiederholungstätern zu tun, die genau wüssten, wie sie Spuren verdeckten und trotz schwerer und vielfacher Straftaten im Verborgenen bleiben könnten: „Die Täter bleiben meist auch untereinander anonym.“ Frauen seien selten dabei. Und wenn, schauten sie in der Regel weg und ließen Täter gewähren. Dass sie selbst vergewaltigen und misshandeln, wie in diesem Fall, sei neu.

Einem Bericht des Südwestrundfunks (SWR) zufolge handelt es sich bei fast allen Verdächtigen um polizeibekannte Wiederholungstäter. Sie seien einschlägig vorbestraft gewesen und hätten zum Teil langjährige Haftstrafen wegen Verbreitung von Kinderpornografie, Missbrauch oder sexueller Ausbeutung von Minderjährigen hinter sich. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Freiburg konnte das in diesem Umfang nicht bestätigen. Es seien mindestens zwei Verdächtige einschlägig vorbestraft, zum Teil seien die Beschuldigten in Deutschland aber nicht vorbestraft. Einer der Verdächtigen soll wegen wiederholten, schweren Sexualstraftaten 2010 zu elf Jahren Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilt worden sein. Das Urteil wurde laut SWR vom Bundesgerichtshof aufgehoben und auf fünf Jahre und acht Monate verkürzt. Ein Verdächtiger aus dem Raum Freiburg sei 2010 verurteilt worden, weil er ein zehnjähriges Kind missbraucht habe. Drei deutsche Tatverdächtige hatten offenbar die Auflage, sich Kindern nicht zu nähern. Ein 32-jähriger Verdächtiger aus Spanien sei dienstlich öfter in Deutschland gewesen. 2005 und 2007 sei er in Spanien wegen Prostitution von Minderjährigen verurteilt worden.

Sechs Tage nach dem ersten anonymen Hinweis wurde der Junge befreit

Ausgelöst wurden die Ermittlungen im September durch einen anonymen Hinweis. „Es war damals nicht absehbar, welche Ausmaße dieser Fall annimmt“, sagt Kripo-Chef Egetemaier. Es habe schnell gehandelt werden müssen. „Oberstes Ziel war, das Martyrium des Jungen so schnell wie möglich zu beenden und gleichzeitig genügend Beweismaterial zu haben, um die mutmaßlichen Täter aus dem Verkehr ziehen zu können.“ Sechs Tage nach dem Hinweis wurde der Junge befreit. Auch er wurde von Polizisten mehrmals befragt – eine Herausforderung für alle Beteiligten. „Wir hoffen, dass er seinen Weg macht und ein möglichst gutes Leben vor sich hat“, sagt ein ermittelnder Beamter.

Viele der Polizisten sind selbst Eltern. Sie können Hilfe in Anspruch nehmen, sagt Egetemaier. Das sei auch nötig: „Kindesmissbrauch oder Kinderpornografie sind Delikte, die sich mit gesundem Menschenverstand nicht erklären lassen.“ Die Debatte, die der Fall ausgelöst hat, spürt der Kripo-Chef: „Ich würde mir wünschen, dass sie Impulse bringt“, sagt er: „Fachkenntnis aller an solchen Verfahren Beteiligten ist enorm wichtig.“ Dies könne für Gefahren sensibilisieren und Verbrechen verhindern. (dpa/AFP)

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