Analyse der Kritik an Jan Böhmermann: Was zählt: Der Rahmen oder das Bild?
Der Fall Böhmermann bietet einen Konflikt, auf den die Gesellschaft nicht vorbereitet ist. Zählt der Inhalt des Schmähgedichts oder die größere Intention dahinter?
Was hat Jan Böhmermann, der Spieler und Medienkünstler, eigentlich gemacht? Er hat mit seiner Attacke auf den türkischen Staatspräsidenten Erdogan, seinem Trommelfeuer der Beleidigungen im Kontext einer Satiresendung eine Zwitterform erschaffen, die man Schmähsatire nennen könnte. Entstanden ist ein Hybrid, das seine aggressiv schillernde Kraft aus zwei einander dementierenden Sprechakten gewinnt.
Auf der Metaebene der Kommunikation sagt Böhmerman, dass er jetzt gleich – zwinker, zwinker – eine Art Didaktik-Sendung zur Unterscheidung von Satire und Schmähkritik präsentieren werde.
Er macht diese Ankündigung im Kontext einer Vorgeschichte, die darin besteht, dass Erdogan die Löschung einer Satiresendung verlangt hat und dass die Bundesregierung die aus diesem Grund erfolgte Einbestellung des Botschafters in Ankara auf kuriose Weise heruntergespielt und in einer verdruckst-opportunistischen Formulierung zu einer „schärferen Form der Terminvereinbarung“ verniedlicht hat.
Was darf man in Deutschland sagen? Und wie bedeutsam sind die Empfindlichkeiten eines türkischen Staatspräsidenten, der in seinem Land die Pressefreiheit mit Füßen tritt, mit dem sich jedoch Bundesregierung und EU zur Lösung der Flüchtlingskrise in eine gefährliche Notgemeinschaft hineinbegeben haben?
Das war die Ausgangsfrage, als Böhmermann, noch immer metakommunikativ unterwegs, in seiner Sendung meinte, doch nun mal endlich ein klares Beispiel liefern zu müssen, um den Menschen – zwinker, zwinker – eines ein für alle Mal klarzumachen: Das darf man in Deutschland sagen (Satire). Und so darf man sich nun wirklich absolut nicht äußern (Schmähkritik).
Wurde Böhmermann durch die Situation provoziert?
Was dann auf der Inhaltsebene folgte, war eine ziemlich lupenreine Schmähkritik in Gestalt eines beleidigenden Gedichts, wie auch Böhmermann nicht müde wurde zu betonen – ein Sammelsurium von zusammengestoppelten Beschimpfungen, die vermutlich niemand so richtig witzig finden kann und zur lyrischen Großtat hochjubeln sollte.
Die kommunikationsanalytisch (und juristisch) interessante Frage ist jedoch: Wie verhalten sich situativer Kontext, Metaebene und Inhaltsebene zueinander? Hat die konkrete Situation die satirisch-schmähende Intervention eines zeitdiagnostisch sensiblen Fernsehmachers geradezu herausgefordert?
Bestimmt die metakommunikative Selbsteinordnung – Vorsicht, Schmähkritik! – die Bedeutung auf der Inhaltsebene? Oder aber ist die eigentliche, dann aber mehr oder minder kontextfrei betrachtete Inhaltsebene der tatsächlich verletzenden Beleidigungen entscheidend?
In dieser Frage haben sich die Publizisten des Landes lustvoll und sehr unterschiedlich positioniert. Es gibt diejenigen, die vor allem auf die Metaebene blicken, im Extremfall hier einen satirischen Geniestreich vermuten. Und es gibt diejenigen, für die die Inhaltsebene die Gesamtkomposition bestimmt und die vor allem die Beleidigung erkennen.
Schließlich fühlen sich wieder andere von den Inhalten abgestoßen, aber halten die Gesamtkomposition des satirischschmähenden Zwitters für erkenntnisträchtig und letztlich nicht für strafwürdig, weil der situative und der metakommunikative Rahmen den beleidigenden Inhalt überformt. Das hieße dann: Formal ist das alles gelungen, inhaltlich jedoch nicht, was allerdings – paradox genug – geradezu die unbedingte Voraussetzung des Kompositionserfolges in der Gesamtbetrachtung ist.
In jedem Fall gilt inzwischen: „Sage mir, was du von Böhmermann hältst, und ich sage dir, welche Auffassung du von Satire, Schmähkritik, von Kunst- oder Satirefreiheit vertrittst!"
Niemand agiert kontextisoliert
Nur: Niemand, der jetzt schreibt, Petitionen aufsetzt, neue Satiren produziert, als Trittbrettfahrer im Scherzbusiness agiert oder, wie die Bundesregierung, über den türkischen Strafantrag im Falle Böhmermann entscheidet, agiert kontextisoliert. Perspektiven der Weltbetrachtung prallen unter den Bedingungen der digitalen Vernetzung in einer radikalen Unmittelbarkeit und neuartigen Geschwindigkeit aufeinander. Es ist, so zeigt sich am Beispiel der Causa Böhmermann, im digitalen Zeitalter, also in einer Medienepoche, in der Daten und Dokumente, gute und weniger gute Witze, Schmähsatiren, Beleidigungen oder eben Stellungnahmen gleich welcher Art blitzschnell zirkulieren, ein neuer, noch nicht wirklich entzifferter Konflikttyp entstanden: die Kontextkrise, die zur global vernehmbaren Erregung explodieren kann.
Die Kontextkrise ergibt sich aus der schlichten Tatsache, dass das Publikum, das etwas zu sehen und zu hören bekommt und auf seine Weise interpretiert, nicht mehr eingrenzbar und nicht mehr kalkulierbar ist. Was dem einen – im Kontext seiner so normal und unbedingt richtig erscheinenden Weltbetrachtung – als genialische Satire oder doch zumindest als legitimer Spott erscheint, wird ein anderer im Extremfall als zutiefst erniedrigende Beleidigung interpretieren, die nach Strafe oder gar Rache verlangt.
Es ist ein permanenter Clash der Codes, eine Sofort-Konfrontation von unterschiedlichen Systemen der Wirklichkeitsdeutung, die eine intensiv vernetzte Welt in einen Zustand der Daueraufregung versetzt.
Was an einem Ort vielleicht lediglich ein schwaches Kopfschütteln auslöst, provoziert an einem anderen womöglich blutige, im Extremfall gar mörderische Proteste von Fundamentalisten und Fanatikern, die den Satiriker, diese Symbolfigur des antiautoritären, frei schweifenden Denkens, hassen oder aber gar nicht wissen, was Satire in einer liberalen Gesellschaft eigentlich ist.
Verdruckstheit ist keine Alternative
Was also soll man tun, wenn sich der Resonanzboden einer Äußerung immer weiter ausdehnt und auch die Kontexte der Rezeption kollabieren? Auf eine solche Situation und die bizarre Asymmetrie von Anlass und Effekt, von Ursache und Wirkung, die sich gegenwärtig beobachten lässt, ist niemand wirklich vorbereitet – die Politik nicht, aber auch nicht der Satiriker, der nun mit einem Mal auf die Weltbühne einer Auseinandersetzung geschleudert wird.
Es ist ein heikler, fast unmöglich erscheinender Balanceakt, der nun für die verschiedenen Player in der Erregungsarena der Gegenwart ansteht: Man muss, dies gilt unbedingt, sich die freie, kritische, manchmal auch unvermeidlich angriffslustige Sprache bewahren, die Unrecht und Unterdrückung klar kenntlich werden lässt. Unabhängig davon, ob Erdogans Leute dies auch witzig finden oder für infam halten. Und unabhängig davon, welche Vereinbarungen die eigene Regierung sonst noch mit einem Staatspräsidenten getroffen hat, der Regierungskritiker und Journalisten brutal drangsaliert.
Niemand, der verstanden hat, dass man für eine offene Gesellschaft mit der nötigen Entschiedenheit eintreten muss, kann also Verzagtheit und Verdruckstheit als das kommunikative Gebot der Stunde empfehlen.
Aber die Frage bleibt im Moment der gegenwärtigen und im Lichte der zukünftigen, womöglich gewalttätigen Kontextkrisen: Wie besteht man radikal auf den eigenen Einsichten und Normen, ohne andere, die plötzlich so irrwitzig nahe gerückt sind und doch in gänzlich anderen Welten leben, unnötig zu verletzen?
Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Bernhard Pörksen