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Von einem unbeirrbaren Forscherdrang beseelt: Die Charité-Ärztin Ella Wendt. Schauspielerin Nina Gummich hat einen ähnlichen Drang. Sie will wissen, was eine Figur im Innersten zusammenhält.
© ARD/Stanislav Honzik

„Charité“-Star Nina Gummich: Was sie mit ihrer Filmrolle Ella Wendt gemeinsam hat

Mit der Hauptrolle in „Charité“ ist die Potsdamerin Nina Gummich auch im Film dort angekommen, wo sie hingehört: in der ersten Reihe.

Vor drei Jahren war Nina Gummich im Potsdamer Hans Otto Theater in einem Stück namens „Die schönen Dinge“ zu sehen. Sie spielte die Hauptrolle. Der Regisseur Wojtek Klemm, ein Castorf-Exeget, hatte sich Virginie Despentes vorgenommen: Popfeministin und Autorin des Films „Baise-moi (Fick mich!)“.

Auf der Bühne war Nina Gummich damals Pauline. Eine Figur aus dem Roman „Les jolies choses“, eine Frau, die in das Leben ihrer Zwillingsschwester schlüpft. Die ihr zahmes bürgerliches Ich eintauscht gegen das schillernde, selbstzerstörerische Schwestern-Ich: ein Popsternchen. Sie zieht die Kleider ihrer Schwester an, trägt deren Schuhe, schläft mit deren Männern. Eine Existenz am Rande der Auslöschung.

„Die schönen Dinge“ war eine One-Woman-Show. Trotz der drei männlichen Darsteller, die auch dabei waren. Das lag daran, dass die Männer als Witzfiguren angelegt waren, aber vor allem lag das an Nina Gummich. Sie spielte diese Pauline mit Zartheit und Wut, Hingabe und Humor. So wie Nina Gummich alle Rollen spielt: ohne Rückhalt. Sie rappte und sang, flüsterte und brüllte. War alles, nur eins nicht. Ein schönes Ding.

[„Charité“, dritte Staffel, ARD, dienstags, 20 Uhr 15]

Wenn man ihr jetzt im Fernsehen, in der dritten Staffel der Serie „Charité“, wiederbegegnet, muss man eine ganze Weile hinsehen, um die Potsdamer Nina Gummich wiederzuerkennen. In „Charité“ spielt sie auch eine Hauptrolle: die junge Ärztin Ella Wendt. 1961, im Jahr des Mauerbaus. Immer gut frisiert, in perfekt sitzenden Kostümen. Im Ärztekittel sieht sie patent aus, und wenn sie mal das Krankenhaus verlässt, passt der Hut zu den Handschuhen. Nicht nur schön, nein. Aber auch.

Ella Wendt darf in der berühmten Charité anfangen, kann ihr Glück kaum fassen. Wie sie in Folge eins zum ersten Mal das Krankenhaus betritt: ein Strahlen auf zwei Beinen. Hilfsbereit, staunend, positiv. Eine Lichtgestalt. Zu Anfang war Nina Gummich diese Ella Wendt selbst nicht ganz geheuer. Auch das immer gleiche, gute gemeinte Lob, das Ella Wendt mit sich brachte: Toll siehst du aus. Und sonst nichts?, wollte Gummich zurückfragen.

Die Figur an sich heranziehen

„Soll ich hier Musical machen?“, fragte sie sich anfangs bei den Dreharbeiten manchmal. Was dann half, sagt sie: der Regie (Christine Hartman) vertrauen. Und das tun, was sie immer tut: die Figur so nah wie möglich an sich heranziehen. Erkennen, was auch diese strahlende Ella Wendt mit ihr verbindet. Ein unbeirrbarer, nicht von Konventionen oder Autoritäten aufzuhaltender Forscherdrang zum Beispiel. Was für Ella Wendt die Krebsforschung ist, ist für Nina Gummich die Schauspielerei. Die Frage, was eine Figur im Innersten zusammenhält.

Beide können sie Lügen nicht ertragen. „Ich bin sehr wahrheitsliebend“, sagt Nina Gummich von sich. Und Ella Wendt? Als vor den Türen der Charité die Mauer gebaut wird, Kollegen beginnen, politisch nicht genehme Diagnosen zu beschönigen, macht sie nicht mit. „Machen wir das jetzt so?“, fragt sie, als sie erkennen muss, dass nicht mehr immer ärztliche Aufrichtigkeit gefragt ist, sondern die Linie der Partei. Innerhalb weniger Sekunden kippt ihre Stimme von abweisender Härte in schäumende Wut. Vom strahlenden Charité-Neuling aus Folge eins könnte diese Ella Wendt nicht weiter entfernt sein.

Und noch etwas haben Nina Gummich und Ella Wendt gemeinsam. „Haben Sie denn gar keine Demut?“, wirft einer der gestandenen Charité-Ärzte der jungen Wissenschaftlerin einmal vor. Etwas Ähnliches ließ man Nina Gummich spüren, als sie sich an der Ernst-Busch-Hochschule um ein Schauspielstudium bewarb. Man lehnte sie ab. „Ich war routiniert“, sagt sie heute. „Ich war es gewohnt, bestimmte Dinge auf Abruf zu wiederholen.“ Andere mussten an der Schauspielschule lernen, wie sie wirken. Sie musste es verlernen.

Beim ersten Film neun Jahre alt

„Ein Vater zu Weihnachten“ hieß Nina Gummichs erster Film. Damals war sie neun. Mit Mitte zwanzig, in einem Alter, in dem andere erst anfangen, hatte sie schon über zwei Dutzend Filme gedreht. Die Mutter: Dozentin an der Leipziger Schauspielschule. Der leibliche Vater und auch der Stiefvater, beide arbeiten im Regiefach. Regisseure waren für Nina Gummich nie unantastbare Autoritäten, sondern Arbeitspartner. „Ich habe mich nie als eine Angestellte gesehen, die nur da wäre, um etwas zu erfüllen, was andere sich vorstellen.“

Ein Strahlen auf zwei Beinen: Zu Anfang war Nina Gummich die Charité-Ärztin Ella Wendt selbst nicht ganz geheuer.
Ein Strahlen auf zwei Beinen: Zu Anfang war Nina Gummich die Charité-Ärztin Ella Wendt selbst nicht ganz geheuer.
© ARD/Stanislav Honzik

Zwischen den „Schönen Dingen“ und der dritten Staffel der „Charité“ lag die Entscheidung, das Theater zu verlassen. Intendant Tobias Wellemeyer hatte sie direkt von der Leipziger Schauspielschule weg an das Hans Otto Theater geholt. Drei Jahre lang spielte sie in Potsdam vor allem große Rollen. Das lebenshungrige Energiebündel Isa in Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“, Tschechows Irina in den „Drei Schwestern“, eine fordernde, existenzielle Prinzessin Natalie in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“. Pauline. In Potsdam lebt Nina Gummich noch heute, nicht weit weg vom Park Sanssouci. „Es war keine Entscheidung gegen das Theater, sondern gegen die Festanstellung“, sagte sie damals. „Man verbringt in diesen Mauern hier schon sehr viel Zeit.“ Die Mauern, das waren die Zwänge des Theateralltags: proben, spielen, wieder proben. Ein Alltag, dessen Rhythmus man nicht selbst bestimmt. Fließbandarbeit.

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Heute arbeitet sie als freie Schauspielerin, viel mehr Zeit dürfte sie dennoch nicht haben. Sie war in der dritten Staffel von „Babylon Berlin“ dabei, in dem Mehrteiler „Unterleuten“, als Friedl Dicker in dem Fernsehfilm „Lotte am Bauhaus“. Die Dreharbeiten für „Charité“ mussten zunächst ohne die Hauptdarstellerin beginnen, weil Nina Gummich noch für die Netflix-Produktion „Das letzte Wort“ gebraucht wurde, darin spielt sie die Tochter von Anke Engelke. Auch eine Hauptrolle. Andere machen im Flautemonat Januar Pause, Nina Gummich dreht wieder: „Theresa Wolff“, ein Samstagabendkrimi des ZDF. „Die Passfälscher“ von Maggie Peren, ein Kinofilm.

Mit der „Charité“ ist Nina Gummich auch im Film da angekommen, wo sie hingehört: in der ersten Reihe. Früher spielte sie, um geliebt zu werden, sagt sie. Heute spielt sie, weil es so unglaublichen Spaß macht. 2021 wird sie dreißig. Rollenwünsche? Keine. Es kommt, was kommt. Pläne? Viele. Wieder Theater machen. In Potsdam. Und, das sagt sie nicht, versteht sich aber von selbst: mehr sein als ein hübsches Ding.

Lena Schneider

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