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On the road. Ian McShane spielt Mr. Wednesday, einen Trickbetrüger und alten Gott.
© amazon

Neue Amazon-Serie "American Gods": „Was hast du denn, wenn du an nichts glaubst?“

Amazon hat den Roman „American Gods“ von Neil Gaiman als Serie verfilmt. Ein Gespräch mit den Hauptdarstellern Ian McShane und Ricky Whittle.

In der neuen Amazon-Serie „American Gods“ geht es um einen bevorstehenden Krieg zwischen Gottheiten. Auf der einen Seite steht ein Pantheon klassischer Götter aus Mythologie und Bibel, auf der anderen Seite agieren die neuen Götter, die die Menschen in ihrer Fixierung auf Geld, Technologie, Medien und Drogen anbeten. Zentrale Figur ist der ehemalige Häftling Shadow Moon (Ricky Whittle). Er wird zum Bodyguard und Reisebegleiter des mysteriösen Mr. Wednesday (Ian McShane), einem Trickbetrüger und klassischen Gott. Zusammen brechen sie zu einer Reise durch Amerika auf, um nach Verbündeten in ihrem Kampf gegen die neuen Gottheiten zu suchen.

Die Serie „American Gods“ ist die Adaption des gleichnamigen Romans von Neil Gaiman aus dem Jahr 2001. Sie startet am 1. Mai bei Amazon Prime Video. Die Folgen stehen in deutscher Synchronfassung und englischer Originalversion zur Verfügung. Jede Woche kommt eine neue Folge hinzu.

Mister McShane, als Sie gefragt wurden, worum es bei „Game of Thrones“ geht, haben Sie salopp geantwortet: „Tits and dragons“. Was ist Ihre Antwort bei „American Gods“?
MCSHANE: „Gods and monsters“. Ernsthaft: Das ist keine normale TV-Serie, keine Medizinstory, keine Fantasy, keine Cop-Show. Diese Serie ist größer, vor allem wegen des besonderen Tons. Es gibt Prologe, Spezialeffekte, Animation, Verrat – und es gab den Luxus, dass die Produktion nach zwei Monaten Drehzeit bestimmte Anfangsszenen wiederholen konnte, weil erst da der Sound für die Serie gefunden war. Auch die Postproduktion war langwierig, kompliziert, sehr teuer – und wieder war das keine Geldfrage.

Der Roman „American Gods“ beschreibt den ewigen oder vielleicht letzten Kampf zwischen den alten und den neuen Göttern in Amerika. Folgt die Serie diesem Plot?

MCSHANE: Der Roman ist wie ein Blueprint für die Serie. Beide kommen daher wie große Rätsel. Wer ist Mr. Wednesday, was will er von Shadow Moon? Shadow ist wirklich nur ein Schatten. Wednesday sagt immer wieder: „Glaub’, glaub’, glaub’ an dich. Du sollst nicht an mich glauben, Du sollst an dich glauben.“ Und die Serie betrügt den Zuschauer immer wieder. Wenn du glaubst, es geht in die eine Richtung, dann geht es plötzlich in die andere. Es gibt eine unausbalancierte Balance. Selbst die Toten wie Shadow Moons Frau kommen zurück. Aber warum?

Zufrieden mit der Rolle von Mr. Wednesday?

MCSHANE: Ja, aber nur weil die Rolle sehr gut ist in einer sehr guten Show. Nach diesem Bonus suchst und schaust du immer.

Die alten Götter haben ihre Macht verloren

Mister Whittle, Ihre Figur Shadow Moon: Ist das ein gewöhnlicher Mensch in einer ungewöhnlichen Situation?

WHITTLE: Genau das. Und die anderen, die Götter, das sind ungewöhnliche Menschen in einer gewöhnlichen Situation. Wie Odin alias Mr. Wednesday haben sie ihren Glauben, ihre Macht, ihren Einfluss verloren. Und fangen jetzt an, darum zu kämpfen. Und Shadow Moon mittendrin, wir erleben die Geschichte durch ihn, sehen sie durch seine Augen.

Was die Zuschauer zunächst nicht kapieren werden.

WHITTLE: Und Shadow versteht es auch erst allmählich. Die leere Hülle beginnt sich zu füllen. Da ist diese Welt der Götter, auf die er, der zynische Nichtgläubige, stößt. Wird er verrückt oder ist die Welt verrückt? Das ist sein Kampf in der ersten Staffel.

Erst mal schwer zu verstehen.

WHITTLE: Richtig – und gut so. „American Gods“ ist eine intelligente Serie. Wir wollen nicht, dass der Zuschauer gleich alle Antworten kennt. Und so lernst du Shadow Moon kennen, der auch keine Antwort kennt. Wie alle anderen Figuren bewegt auch er sich in der Show sehr dynamisch voran.

Kann man über die Figuren sagen: Sie sind, was sie anbeten?

MCSHANE: Was hast du denn, wenn du an nichts glaubst? Du leidest an Frustration. Du bist eine leere, zynische Hülle. Das Leben wird von einem nihilistischen Standpunkt aus betrachtet. Und davon ist Mr. Wednesday überzeugt: Die neuen Götter – Medien, Technologie – betrügen die Menschen.

Auf welcher Seite sind Sie? Auf der Seite der neuen oder der alten Götter?

MCSHANE: Ich bin auf der Seite der alten Götter. Ich habe noch nicht einmal ein iPhone.

Nur ein Fünftel des Romans wurde verfilmt

Wie viel vom Roman wird in der ersten Staffel von „American Gods“ verarbeitet?

MCSHANE: Ein Fünftel, wenn überhaupt. Ich bin sicher, die Produzenten und Amazon schauen weit über die erste Staffel hinaus. Ich bin sehr gespannt, wie die Hardcore-Fans des Buches reagieren werden. Was hat das Streaming-Fernsehen aus dieser fantastischen Vorlage gemacht?

An der Grundlinie des Romans wird sich in der Adaption sicher nichts ändern. In Amerika suchen die alten Mächte die Auseinandersetzung mit den neuen.

MCSHANE: Die alten Götter, die nach Amerika gekommen sind, sind heute gewöhnliche Leute, die gewöhnliche Dinge tun. Aber Wednesday rüttelt sie auf. Vielleicht müssen mehr Menschen aufgerüttelt werden: Die Briten nach dem Brexit, weil es keinen Plan für die Zeit nach dem Brexit gab, die Amerikaner nach der Wahl von Donald Trump, der auch keinen Plan hat.

Auf der Suche. Der Ex-Häftling Shadow Moon (Ricky Whittle) glaubt an nichts und niemand mehr. Dann trifft er Mr. Wednesday.
Auf der Suche. Der Ex-Häftling Shadow Moon (Ricky Whittle) glaubt an nichts und niemand mehr. Dann trifft er Mr. Wednesday.
© Amazon

Gibt es eine Überschrift, unter der das alles passiert?

WHITTLE: Es geht um Religion. Immigration, Sexismus, Rassismus, Homophobie, all diese Fragen und Themen werden berührt. Wir wollen eine Diskussion darüber anstoßen. Und über alledem schwebt die Gewissheit: Nur der Glaube an etwas bringt dich voran.

Aber Immigration ist schon ein, wenn nicht das wesentliche Thema?

WHITTLE: Natürlich, weil jeder Amerikaner ein Immigrant ist, auch Präsident Trump ist einer. Wir kamen mit unseren Träumen, unseren Glauben, unseren Überzeugungen. Wie die alten Götter, die jetzt befürchten müssen, dass sie erst zur Seite geschoben und dann vergessen werden.

Die Ähnlichkeiten mit dem gegenwärtigen Amerika sind Zufall, oder?

WHITTLE: Ja, aber sie sind ein fantastischer Gewinn für uns. Das Buch stammt ja von 2001. Aber die Serie ist weit mehr als das Buch. Es gibt weitere Figuren, es gibt Erweiterungen, Extensions, sodass auch die Fans des Romans begeistert sein werden. Sechs, sieben Seasons sind locker für uns drin.

MCSHANE: Wir haben vor gut einem Jahr mit den Dreharbeiten begonnen. Was dann geschah: Die Welt hat sich auf die Show zubewegt – und nicht die Show auf die Welt. Immigration, Gender, all diese Fragen stecken in der Serie und in der Welt. Das ist keine schlechte PR für „American Gods“. Aber die Serie ist keine politische Show, sondern eine spirituelle. Politisch ist sie höchstens in einem naiven Sinne.

Auf welcher Götterseite sind Sie, Mister Whittle?
WHITTLE: Der modernen Götter. Ich glaube an die Evolution.

Shadow Moon ist ein amerikanischer Jedermann

Gilt das auch für Ihre Figur, für Shadow Moon?

WHITTLE: Er ist ein Schatten, eine neutrale Person.

Eine amerikanische Figur.

WHITTLE: Ein Jedermann. Und weil er nichts und an niemand glaubt, ist er ein offenes Buch. Wie Amerika selbst. Was ist Amerika? Es gibt viele, viele Amerikas, aber nicht das eine Amerika.

Was zum Teufel ist ein Amerikaner als Frage aller Fragen?

WHITTLE: Genau das.

Aber die Geschichte von Shadow Moon ist auch eine Lovestory.

WHITTLE: Unbedingt. Und die Beziehung, die Liebesbeziehung zwischen Shadow Moon und seiner Frau Laura bringt all das Menschliche, die Humanität in die Geschichte.

Kann „American Gods“ „Game of Thrones“ in Herz und Hirn ersetzen?

MCSHANE: Nein, das sind wirklich zwei verschiedene Planeten. Ich hoffe nur, dass „American Gods“ solch einen tiefen Eindruck hinterlassen kann wie „Game of Thrones“.

Das Interview führte Joachim Huber.

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