„Anne Will“ über Grundrenten-Beschluss: Warum die Koalition auch Erfolge wie halbe Niederlagen aussehen lässt
Bei „Anne Will“ wollten die Chefinnen von CDU und SPD die Grundrente feiern. Doch das misslang, deutlich wurde in der drögen Debatte das Grundproblem der Groko.
Die "Halbzeit für die Große Koalition" ließ auch Anne Will am Sonntagabend fragen, wie es um die Regierungsarbeit bestellt ist: viel erreicht, viel versäumt? Zuschauer, die erwarteten, eine Liste von schwarz-roten Erfolgen und Misserfolgen präsentiert zu bekommen, wurden aber enttäuscht. Stattdessen zerfaserte die eher träge Debatte in eine Hymne auf die gerade beschlossene Grundrente sowie Personalwehwehchen beider Regierungsparteien.
"Diese Koalition ist aus Verantwortung zusammengekommen", sagte CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Keine der Parteien hat sich damit leicht getan."
Das Zweckbündnis, das nun bereits zwei Jahre hält, wirkt auf die Öffentlichkeit aber genau deshalb wie eine unglückliche Ehe, in der sich Eltern nur wegen der Kinder nicht scheiden lassen. "Die Bilanz der Groko ist gut", beteuerte dennoch Malu Dreyer, kommissarische SPD-Chefin und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. "Nur die Wahrnehmung ist schlecht."
Immerhin, die Grundrente soll es erstmal richten: Union und SPD werten es beide als "Durchbruch" und "sozialpolitischen Meilenstein", dass rund 1,2 bis 1,5 Millionen Rentner künftig von ihr profitieren dürfen. Allerdings erst nach einer Einkommensprüfung - und, falls die Fraktionen mit dieser Lösung einverstanden sind. Da sei man zuversichtlich. "Wir wollen ja etwas für Menschen bewegen und nicht ständig darüber reden, ob die Koalition morgen noch funktioniert", sagte Dreyer.
„Kompromisse wie halbe Niederlagen“
Hat sie bisher funktioniert? Zumindest für Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin der "Welt", ist der Lack eher rostig. "Es ist eine Spezialität der Koalition, Kompromisse wie halbe Niederlagen zu verkaufen", fand sie. Beide Parteien bestünden bei wichtigen Themen auf ihren Maximalforderungen, sodass jedes Mal die Frage im Raum stehe, ob und wie lange die Koalition noch halte.
Nico Fried, Leiter der Parlamentsredaktion der "Süddeutschen Zeitung", glaubt zwar, dass die Groko Themen, die im Koalitionsplan stehen, "abarbeitet" - aber nicht mehr flexibel auf neue Herausforderungen wie die Wirtschaftsentwicklung reagiert. Ein eher durchwachsenes Zeugnis, das Kramp-Karrenbauer und Dreyer nicht wirklich zu stören schien.
Beide lobten ihre Parteien reichlich für gute Arbeit und Durchhaltevermögen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, wo etwa die SPD derzeit stehe. Besser gesagt liege: nämlich am Boden.
Die "Parteiensoap" geht weiter
Danach schwenkte die Sendung weg von konkreten Erfolgs- und Misserfolgsfragen - und wandte sich dem zu, was der normale Bürger wohl eher als "Parteiensoap" erlebt. Bei beiden Koalitionspartnern stehen im November und Dezember Parteitage an: Bei der CDU gibt es ungelöste Ränkespiele um die Parteiführung und eine Kanzlerkandidatur nach Angela Merkel - nachdem der unverwüstliche Stehaufmann Friedrich Merz eine Rede auf eben jenem Parteitag angekündigt hat.
Politikwissenschaftler Herfried Münkler, selbst SPD-Mitglied, glaubt, Merkel habe eigentlich Kramp-Karrenbauer Schritt für Schritt zur Kanzlerin heranziehen wollen - ähnlich der eleganten "Übergabe eines Staffelholzes". Kramp-Karrenbauer gab sich bescheiden und betonte, dass es in Deutschland ja keine Erbmonarchie gäbe. Dafür innerhalb der Union aber eine "Gesamtaufstellungsfrage".
Bröselt die Koaliton?
Die SPD steckt quasi in noch größeren Wirren und soll sich zwischen zwei Führungsduos entscheiden: Olaf Scholz und Klara Geywitz oder Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Ob eine neue Führung auch die Koalition an sich bröseln lasse, wollte Dreyer nicht direkt beantworten. Und auch Kramp-Karrenbauer gab sich bedeckt: Die CDU sei einsatzbereit - aber auch "gerüstet", für alles was komme.
Dagmar Rosenfeld sieht den Frieden kritischer. Die Groko habe keine großen, gemeinsamen Ziele. Anstatt gemeinsam an einem politischen Strang zu ziehen, würden beide Parteien viel Zeit mit Profilierung verbringen - damit der Abwärtstrend der Volksparteien nicht weiter anhält. Eine Strategie, die bereits in den letzten Landtagswahlen nicht aufging.