Phänomen Podcast: Vorsprecher des Subjektiven
Radio Eins bietet einen Internetpodcast an - mit Comedian Julius Fischer. Der hat ein Selbstfindungs-Problem.
Bianca Heinicke sieht in schwarz-grünblauer Perücke scheiße aus. Das interessiert Sie nicht? Dann empfinden mindestens zwei Millionen Internetnutzer anders als Sie. Sie verfolgten die Folge „Kurzhaarschnitt!?“ beim Podcast „Bibis Beauty Palace“ auf YouTube. Das Aussehen von Bianca Heinickes bunter Perücke ist eine der drei Hauptaussagen einer ihrer Podcast-Folgen. Im „Beauty Palace“ spricht Heinicke über ihre Einläufe, ihre Freuden und Wehwehchen. Fast vier Millionen Nutzer folgen ihr – wollen sehen, was sie nun wieder Verrücktes macht. Denn das Subjektive bringt Klicks. Viel mehr noch als Katzenvideos.
Mit Podcasts – das sind abonnierbare Mediendateien (Audio und Video) vor allem für MP3-Player oder iPods – erreicht das Subjektive jetzt auch den Hörfunk. Audioformate, in denen meist junge Menschen erzählen, was immer ihnen durch den Kopf geht. In Deutschland machte Jan Böhmermanns und Olli Schulz’ „Sanft- und sorgfältig“ das Format populär. Früher lief ihre Sendung bei Radio Eins, heute ist sie als „Fest und flauschig“ bei Spotify zu hören. Gerade sucht der digitale Musikdienst zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk nach „innovativen“ Formaten: „Call for Podcast“. Den Hör-Serien wird der Sprung raus aus der Nische prophezeit.
Auch Radio Eins versucht sich an neuen Podcasts. Der Fünfteiler „Die Stadt und das Gras“ von Diane Arapovic ist unter den Top 20 bei iTunes. Hoch im Kurs steht auch Serdar Somuncu. Sein Sonntags-Format „Die blaue Stunde“ schafft pro Folge über direkten Zugriff und Abonnements bei radioeins.de rund 30 000 Downloads. Das Deutschlandradio bietet über 100 Podcasts an, Radio zum Herunterladen und Mitnehmen. Und seit ein paar Wochen ist „Zwei zu viel“ mit Julius Fischer und Sebastian Lehmann im Internet zu hören. Ein wöchentliches Format à 25 Minuten. Wie Bibi sitzen die beiden darin vor dem Mikrofon und quasseln so drauflos.
Beide sind Poetry-Slam-Dauergäste
In der Pilotfolge über Gewalt, in der zweiten übers Klauen. Klingt witzig, ist wenig informativ, bietet die volle Ladung Subjektives. Abseits des Gequatsches dichten die Moderatoren zudem. Beide sind Poetry-Slam-Dauergäste und Mitglieder der Berliner Lesebühne „Lesedüne“ im SO36. Manchmal singen sie auch, wenn man den Begriff „singen“ nur weit genug dehnt. Und sie geben sich Aufgaben. Wenn die beiden mal wieder im der Bahn von A nach B sind, dann müssen sie dabei zum Beispiel eine imaginäre Bahnansage schreiben, in der jedes Wort den Buchstaben E enthält.
Bianca Heinicke nennt Derartiges bei YouTube „Competition“. Dass sich beide Formate in vielem gleichen, heißt nicht, dass sie inhaltlich viel gemein haben. Mit Julius Fischer fand der RBB einen, bei dem es oft einer Ecke bedarf, um die herumzudenken ist. Er will auch das ansprechen, was intellektuelle Tiefe aufweist, sagt er. Wenn ihm das auch nicht immer gelingt. „Mein Problem ist: Sogar heute, nach neun Jahren Bühnenleben, finde ich nicht immer die einfachsten Worte.“
Da sei er auf der Suche – und er wird dieses Wort noch oft sagen: Suche. Dabei ist seine Haltung eine bescheidene. Man gebe Fischer eine Bühne und sie gehört ihm. Immer strahlend, immer spontan, meistens clever. Entsprechend häufig ist der Entertainer im Scheinwerferlicht zu Gast. Solo, zusammen mit Christian Meyer als „The Fuck Hornisschen Orchestra“, mit André Herrmann als „Team Totale Zerstörung“ und als Musiker der Band „Arbeitsgruppe Zukunft“ mit Marc-Uwe Kling und Michael Krebs.
Früher, als die Uni Leipzig ihn exmatrikulierte, da gab Fischer bis zu 250 Auftritte im Jahr. So viele sind es heute längst nicht mehr. Dafür jedoch umso größere. Im MDR moderiert der Blonde mit Hundeblick das Format „Comedy mit Karsten“ neben Christian Meyer. Flachwitz reiht sich da an Flachwitz. Viele über sein Aussehen, das in keinem Katalog eines Schönheitschirurgen zu finden ist. „Aber Fernsehen ist ja auch mehr Mainstream“, sagt Fischer. Da kommt so was an. „Und wir sind da noch auf der Suche.“ Mal wieder. Es gehe ihm um Präzision.
Das sagt einer, der erst lernen musste, dass das Publikum nicht alles interessiert, was ihn interessiert (Literaturtheorien zum Beispiel kommen eher nicht so gut), dessen Karriere begann, ehe jeder dritte Student sich plötzlich zum Poetry-Slam hingezogen fühlte. Der bemängelt, es gebe auf Poetry-Slams einen Trend, hin zur immer gleichen Art von Humor, weg vom Abstrusen. „Vielleicht würde ich heute nicht mehr anfangen mit dem Dichten, einfach, weil es so Mainstream geworden ist.“ Jetzt ist er drin, im Mainstream. Immerhin: Internetpodcasts sind (noch) kein Mainstream.
Die meisten Schlagzeilen heimste ihm sein Buch „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ ein. Eines Rechtstreits wegen: Der Wanderhuren-Verlag Knaur fand den Titel bei Weitem nicht so lustig wie Fischer. Im Anschluss musste ein Gericht feststellen, dass Fischer offiziell Satire macht. Oft verkaufte sich das Werk trotzdem nicht.
„Das Buch ist ja auch nicht so geil“, sagt der Comedian. „Nur, weil alle den Titel gut finden, heißt das ja noch lange nicht, dass sie auch den Inhalt mögen.“ Das Buch, sagt Fischer, es war ein Versuch, eine Suche. Wie alles andere. Wie auch sein Podcast-Format mit Sebastian Lehmann. Da könne er sich ausprobieren. Was kommt an und was nicht? Und inwieweit ist das Subjektive auch als Podcast wirklich massentauglich?
Podcast „Zwei zu viel“ immer donnerstags auf radioeins.de.
Julius Heinrichs