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An der Copacabana.
© WDR

Fußball-WM: Vor der WM stimmen Dokus auf Brasilien ein – und bedienen manches Klischee

Begegnung in Brasilien: Ein Film könnte auch „Begegnung mit Reinhold Beckmann in Brasilien“ heißen, der Moderator mischt sich ungezählte Male ins Bild.

„Wir müssen dieses Bild vom primitiven Paradies endlich hinter uns lassen“, sagt Bürgermeister Eduardo Paes über Rio de Janeiro. Brasilien, das fünftgrößte Land der Erde, ist ab kommenden Donnerstag Schauplatz der Fußball-Weltmeisterschaft. Und zwei Jahre später der Olympischen Sommerspiele. In verschiedenen Dokumentationen bemüht sich das Fernsehen am Pfingstwochenende um Einblicke in die brasilianische Gesellschaft, ehe die Live-Übertragungen die Programme bestimmen und die Aufmerksamkeit auf Stars und Tore lenken.

Kritik an der Korruption, an zu teuren WM-Stadien und hohen Eintrittspreisen ist schon der Tenor zum Auftakt, in „Begegnung mit Brasilien“ (ARD, Samstag, 18 Uhr 30). Dieser Film könnte allerdings auch „Begegnung mit Reinhold Beckmann in Brasilien“ heißen, denn der Produzent und Autor mischt sich ungezählte Male ins Bild. Warum eigentlich? Das Stück bietet einen gewissen Überblick über die Probleme vor der WM. Vom Umbau des Maracana-Stadions in Rio, dessen Besuch sich einfache Leute nun nicht mehr leisten können, bis zu dem Irrsinn, eine 200 Millionen Euro teure Arena für vier WM-Spiele in Manaus im Amazonas-Gebiet zu bauen.

Zwischen Abseits und Jenseits

Seine besten Momente hat der Film, wenn Beckmann von den Niederungen des brasilianischen Fußballs erzählt. Von Rios Traditionsklub Olaria AC zum Beispiel, einem Zweitligisten, bei dem einst Weltstars wie Garrincha und Romario spielten. Vorgestellt werden auch kickende Augustiner-Mönche. In dieser Episode hagelt es besonders viele Beckmann-Floskeln („Das Tor zum Himmel“, „zwischen Abseits und Jenseits“). Und dass stets die Liebe der Brasilianer zum Fußball betont wird, nervt auch irgendwann. Vergleichsweise dezent wird Ex-Profi und WM-Experte Giovane Elber vorgestellt. Sein WM-Tipp: „Wenn Brasilien nicht Weltmeister wird, kommt mit Sicherheit ein neuer Präsident.“ Denn: „Wir“, also auch Elber, der nun unter die Rinderzüchter gegangen ist, „haben die Schnauze voll von den Politikern.“

Woher kommt dieser Zorn? Mitreißend und rasant erzählt vor allem der Brite Julien Temple in seinem von WDR und Arte koproduzierten BBC-Dokumentarfilm „Rio – 50 Grad Celsius“ (Arte, Samstag, 22 Uhr) von der Stimmung im Land, genauer: in Rio de Janeiro. Straßenszenen, historische Aufnahmen, Interviews und Spielfilm-Sequenzen kombiniert Temple zu einem aufregenden Trip durch die Metropole und ihre Geschichte. Es geht sexy, laut und schrill zu. Brasilien ist hier ein Schauplatz, in dem die „Kultur als Kriegswaffe“ eingesetzt wird, wie „City of God“-Autor Paulo Lins erklärt. Wo die populäre Musik von Gilberto Gil und Caetano Veloso in den 70er Jahren die Militärdiktatur herausforderte, wo die Jugendlichen in den Favelas zu Hip-Hop tanzen oder Funk-Partys organisieren.

In den Armenvierteln, die sich auf den Hügeln Rios ausgebreitet haben, leben die Nachfahren der schwarzen Sklaven. Nach 20 Jahren Militärdiktatur haben 20 Jahre lang Drogenbanden die Slums kontrolliert. Seit 2008 versucht der Staat, die Favelas zurückzuerobern. Eine dauerhaft stationierte „Befriedungspolizei“ soll für Sicherheit sorgen. Differenziert beschreibt diese Politik der ebenfalls sehenswerte Dokumentarfilm „Rio – Kampf um Frieden“ (Arte, Dienstag, 22 Uhr 40). Bis WM-Beginn wurden demnach 60 (laut Reinhold Beckmann 40) von 900 Favelas in Rio „befriedet“, bis Olympia sollen es 60 weitere sein. Eine Herkulesaufgabe – und eine Quelle für neue Spannungen.

Für die Sport-Spektakel müssen Häuser und Menschen weichen, für Parkplätze am Maracana-Stadion sogar ganze Favelas. Das zeigt sogar der launige Reise-Zweiteiler „Tour de Brasil“ (ARD, Sonntag und Montag, jeweils 19 Uhr 15), der sich sonst nur am Rande mit den gesellschaftlichen Konflikten Brasiliens beschäftigt. Der ehemalige SWR-Sportchef und „Sportschau“-Moderator Michael Antwerpes sowie Südamerika-Korrespondent Michael Stocks sammeln fleißig Flugkilometer, doch gerät diese Reisereportage über weite Strecken zu einer Aneinanderreihung von Klischees und Belanglosigkeiten. Insbesondere Antwerpes klappert unter großem Hallo Sehenswürdigkeiten ab, vom Oktoberfest in Blumenau bis zum deutschen WM-Spielort Salvador de Bahia, der natürlich „die schwarze Seele Brasiliens“ ist, inklusive eines verschenkten Besuchs beim Vater von Bayern-Profi Dante.

In diesem Stil wird hier ein Programm abgespult, das die ARD als Reiseratgeber für WM-Touristen bewirbt. Man fragt sich allerdings, ob das nicht eigentlich eine etwas kleine Zielgruppe für eine Ausstrahlung im Ersten ist, und wieso gehaltvollere Filme am späten Abend bei Arte ausgestrahlt werden.

„Begegnung mit Brasilien“, ARD, um 18 Uhr 30; „Rio – 50 Grad Celsius“, Arte, 22 Uhr, beide Dokus am Samstag

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