"Mata Mata": Ein Dokumentarfilm erzählt vom Geschäft mit brasilianischen Fußball-Talenten
Wo die Dantes herkommen und wo sich Marketing-Agenturen vom Handel mit den jungen Fußballern glänzende Firmen-Zentralen bauen können.
Carlinhos schlurft durch Leverkusen, vorbei an Einfamilienhäusern, unter der Autobahnbrücke hindurch. Täglich zehn Minuten zu Fuß bis zum Training. Für den 18-Jährigen aus São Paulo ist die Chemie-Stadt am Rhein so etwas wie ein fremder Planet. „Hier sind die Leute wie das Wetter“, sagt er. „Wenn es warm ist, sprechen sie mit einem. Wenn es kalt ist, kommt nur ein ,Hallo’.“ Und aus der Sicht eines jungen Brasilianers mit Heimweh ist es in Leverkusen eigentlich immer kalt. Der örtliche Bundesliga-Klub Bayer 04 hatte Carlinhos vor der Saison 2012/13 verpflichtet, da war er noch 17. Ein talentierter Junge aus einem der Armenviertel, den Favelas, der daheim auf einer Matratze in der Ecke schläft und jetzt der Familie zu etwas Wohlstand verhelfen soll, indem er als rechter Außenverteidiger über Fußballplätze rennt. „Das ist die Uniform, in der er für uns kämpfen wird“, sagt seine Mutter und hält eine Trainingsjacke des Leverkusener Vereins in die Kamera.
In dem Dokumentarfilm „Mata Mata – Spiel des Lebens“ ist Carlinhos einer von fünf jungen Fußballern, die Jens Hoffmann und Cleonice Comino über einen Zeitraum von zwei Jahren begleitet haben. Sie träumen von einer großen Karriere, von Spielen im Trikot der Nationalmannschaft, von Verträgen mit den reichen Klubs in Europa. Dante hat all das schon geschafft. Der Abwehrchef des FC Bayern München ist der sechste Protagonist des Films. Als er das erste Mal für die Selecão nominiert wird, hüpft er wild durch seine schicke Wohnung. Man fragt sich allerdings, ob brasilianische Profis davon tatsächlich immer aus dem Fernsehen erfahren.
Vater trägt Rastalocken
Die Autoren folgen Dante auch nach Brasilien zum Confederations Cup, wo er in seinem ersten Länderspiel gegen Italien gleich ein Tor erzielt. Und in das enge, ärmliche Stadtviertel von Salvador, wo er aufgewachsen ist. Seine ganze Familie ist da. Mutter, Oma und Opa, der Alzheimer hat. Der Vater, der Rastalocken trägt, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichen. Und der Onkel, der selbst mal Profi war und über seinen Neffen Dante sagt: „Nur weil er so stur war, hat er es geschafft.“
Dante und seine Familie sind sehr sympathisch, aber interessanter als diese bekannte Geschichte vom Jungen aus den Favelas, dessen Traum schon wahr geworden ist, sind die anderen Geschichten. Die von den jungen Männern, die sich gerade auf den Weg machen. Von Danilo, 15, dessen Vater trank und irgendwann einfach verschwand. Der Jugendnationalspieler wird am Ende an eine portugiesische Investorengruppe verkauft, lebt mit seiner Familie in einer Villa und weint um den verlorenen Vater.
Oder von Mosquito, 15, dessen Vater im Gefängnis sitzt, ausbricht und wieder verhaftet wird. Und der plötzlich ohne Klub dasteht, weil sich sein Stiefvater, der Verein und sein Spielerberater streiten. Oder von Thiago, 19, der gerne für Freiburg in Deutschland spielen würde, aber der auch gerne ein wildes Leben führt. Am Ende sagt ein Vereinsfunktionär, Thiago werde wohl Drogendealer und ein kurzes Leben haben.
Hoffmann und Comino hetzen atemlos durch den schnell geschnittenen Film, der wie ein ausgedehnter Werbeclip daherkommt mit seinen Zitatschnipseln, Wackelbildern und den Musikfetzen. Immer wieder aber gibt es auch eindringliche, wunderbare Szenen aus dem Land des WM-Gastgebers, wo Spielerberater mit Mutter und Sohn am Küchentisch sitzen und um Verträge feilschen.
Wo sich Marketing-Agenturen vom Handel mit den jungen Fußballern glänzende Firmen-Zentralen bauen können. Und wo sich junge Profis vor dem Wechsel zu einem großen Klub noch einmal mit den Freunden zu einem letzten Match auf dem Bolzplatz verabreden und durch die Pfützen jagen.
„Mata Mata – Spiel des Lebens“, ARD, Samstag, 18 Uhr 20