Start von „RTL Direkt“: Volle Pulle daneben
Falsches Thema, falscher Gast: Das neue Nachrichtenjournal des Privatsenders ist am Montag als große Enttäuschung gestartet.
Das war knapp vor nix, die Premiere des neuen Nachrichtenjournals "RTL Direkt". Was da am Montagabend ab 22 Uhr 15 für 20 Minuten im Berliner Studio passierte, war ein Irrtum, eine Verwechslung. Der Privatsender war im Vorfeld so mächtig stolz auf seinen ersten Gast gewesen: Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Bündnisgrünen.
Aber an diesem dramatischen Montag waren weder die Grüne noch die Grünen das Thema des Tages - das waren die horriblen Zustände in Kabul, wo sich verzweifelte Menschen an Gangways und Flugzeuge hängten, um den Taliban zu entkommen. Gut. Moderator Jan Hofer versuchte zum Auftakt der Sendung, mit der Grünenpolitikerin das Versagen deutscher, internationaler Politik zu thematisieren.
Es blieb beim Versuch, Baerbock erkannte und benannte Fehler der Bundesregierung. Aber war sie wirklich der Gast, an dem das Desaster in Afghanistan zu diskutieren war?
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Das Thema bekam keine Tiefe und keinen Tiefgang, es fehlten eigene Berichte, eigene Perspektive und - fast eine Sensation im Privatfernsehen - nahezu jede Emotion. Was da damit gemeint ist, konnte der erleben, der kurz zuvor noch das "heute-journal" eingeschaltet hatte und erlebte, wie Moderatorin Marietta Slomka mit einem früheren Bundeswehrsoldaten besprach, wie er mit eigener Mission Ortskräfte aus Afghanistan nach Deutschland holen will. Ein Gespräch, das tief bewegte und unter die Haut fuhr.
Was kostet grüne Politik?
Da hatte "RTL Direkt" knapp und kurz die "Nachrichten des Tages" abgeräumt, um sich dann ausführlich dem Studiogast und der Frage, was grüne Politik Bürgerinnen und Bürger kosten wird, zu widmen. Dafür war eine Reporterin zu einer fünfköpfigen Familie nach Niedersachsen aufgebrochen. Man ging einkaufen und shoppen, der Einkauf im Bioladen kostete die Familie 85 Euro mehr als beim konventionellen Discounter. Diese Art von Beweisführung, dass ein grüner Lebensstil die Menschen sehr teuer kommen wird, konnte die gewiefte Baerbock nicht schocken, wieder konnte sie ihr Narrativ vom sozial ausgewogenen Grünen-Programm unters Fernsehvolk bringen, als eine Kandidatin und ein Kandidat im Format "Direkt gefragt" zu Wort kamen, jubelte Baerbock über die "sehr gute Frage". Kurzum, Annalena Baerbock hatte, mehr begleitet als herausgefordert von Jan Hofer, einen schönen Fernsehabend. Hofer wollte offenbar nicht auffallen, jedenfalls nicht negativ, zu einer Moderatorenpersönlichkeit hat er noch einen weiten Weg zu gehen.
Der Zuschauer konnte nur konsterniert reagieren. Er sah die falsche Infosendung am falschen Abend in einem sehr geräumigen Studio. Die RTL-Verantwortlichen, die - siehe "RTL Aktuell" und "Nachtjournal" - sonst sehr wissen, was Nachrichten sind und sein müssen, haben die Premiere sauber vergeigt. Und wenn sie schon die 20 Minuten mit einem versöhnlichen Schlussakkord beschließen wollen, dann bitte mit einer positiven Nachricht und nicht mit dem derzeit überstrapazierten Comedian Abdelkarim.
Eine einzige Enttäuschung
"RTL Direkt" hat begonnen, in Ansätzen wurde erkennbar, dass hier ein Bürger- statt eines ausdrücklichen Informationsfernehens angestrebt wird. Das könnte schon klappen, gerade als Absetzbewegung zu "heute-journal" und "Tagesthemen". Aber auch dafür braucht es weniger Parlando und mehr Klarsprech, weniger Ranschmeiße ans potenzielle Publikum und mehr Herausforderung, wenn es um die Themen und das Thema des Tages geht. Die Premiere von "RTL Direkt" war keine Pleite, sie war eine Enttäuschung. Der Anspruch, eine Nachrichtensendung zu sein wie keine andere, wurde ins Absurde verkehrt. Entsprechend schmal die Zuschauerzahl: 1,87 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.