Urteil zum ZDF-Staatsvertrag: Verfassungsgericht: Politik hat zu viel Einfluss auf öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Die Klagen gegen zu viel staatlichen Einfluss auf das ZDF sind überwiegend erfolgreich. Das Urteil des Verfassungsgerichts in Karlsruhe könnte weitreichende Folgen haben - nicht nur für den Mainzer Sender.
Die Politik hat einen zu großen Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In einem einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag angeordnet, dass sich die Zusammensetzung des Fernsehrats und des Verwaltungsrats des ZDF massiv ändern muss. Der Anteil der "staatsnahen" Personen muss von derzeit 44 Prozent auf ein Drittel reduziert werden. Zudem dürfen Politiker bei der Auswahl der aus gesellschaftlichen Gruppen entsandten Mitglieder des Fernsehrates „keinen bestimmenden Einfluss“ mehr ausüben.
Die bisherigen Regelungen seien nicht verfassungsgemäß und verstießen gegen die Rundfunkfreiheit, entschied das oberste Gericht. Die Normenkontrollanträge der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg, die einen zu starken Einfluss von Staat und Politik im ZDF beklagt hatten, waren damit erfolgreich. Die Bundesländer müssen bis spätestens 30. Juni 2015 eine verfassungsgemäße Neuregelung finden. "Das Gebot der Staatsferne verbietet eine Instrumentalisierung des Rundfunks durch den Staat und verlangt eine weitgehende Besetzung der Aufsichtsgremien mit staatsfernen Mitgliedern", sagte Ferdinand Kirchof, der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, bei der Urteilsverkündung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk „darf nicht zum Staatsfunk werden“, sondern müsse die in der Gesellschaft vertretenen Meinungen „facettenreich widerspiegeln“, sagte Kirchhof.
Geklagt hatten die SPD-geführten Länder Rheinland-Pfalz und Hamburg. Anlass für das Verfahren ist die „Causa Brender“. Der unionsdominierte ZDF-Verwaltungsrat hatte es 2009 abgelehnt, den Vertrag des damaligen Chefredakteurs Nikolaus Brender zu verlängern. Brender hatte der Union vorgeworfen, den Verwaltungsrat des Senders dominieren zu wollen. Wortführer im ZDF-Verwaltungsrat war damals der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Das Urteil hat erhebliche Folgen für die Besetzung der ZDF-Gremien.
Brender: Auseinandersetzung hat sich gelohnt
Nikolaus Brender reagierte erfreut auf Urteil. „Ich glaube, die Auseinandersetzungen um meinen Fall haben sich gelohnt“, sagte er am Dienstag. „Das Urteil des Gerichts ist relativ klar: Es erfordert eine Menge an Veränderungen in den Bundesländern, neue Staatsverträge. Und es zeigt deutlich den Politikern die Grenzen ihres Einflusses auf. Es sichert die Unabhängigkeit des Journalismus in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und stützt die Freiheit des ZDF.“ Besonderen Wert haben die Karlsruher Richter auf eine stärkere Vielfalt in den Gremien gelegt. „Es ist absurd, dass im ZDF-Fernsehrat noch kein Migrant oder Muslim sitzt“, sagte Brender dem Tagesspiegel und sprach sich für die Aufnahme weiterer gesellschaftlicher Gruppen aus, „nicht nur der Lautsprecher, sondern auch von kleineren Verbänden“.
Weniger Politiker in ZDF-Gremien
Der Medienrechtler Matthias Cornils schlägt vor, weniger Politiker in ZDF-Aufsichtsgremien zu berufen. Das Bestimmungsrecht der Ministerpräsidenten sei beim ZDF "zu stark ausgestaltet", sagte der Mainzer Professor. „Es gibt hier eine schon zahlenmäßige Dominanz der politischen Parteien und Inhaber politischer Ämter auch gegenüber den Verbandsvertretern gesellschaftlicher Gruppen.“ Daher liege nahe, die Zahl der Vertreter von Staat und Parteien oder das Bestimmungsrecht der Ministerpräsidenten zu reduzieren. Die Erfahrung zeige aber: Der Staats- und Parteieneinfluss habe nicht allein mit der Zahlenstärke zu tun.
Das ZDF sieht sich durch das Urteil bestärkt. "Die Entscheidung stärkt die Unabhängigkeit des ZDF im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Karlsruhe hat die Bedeutung eines unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks betont", sagte Intendant Thomas Bellut nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Das Urteil entspreche dem Vorschlag, den das ZDF bereits in seiner Stellungnahme zum Verfahren eingebracht hat. Das ZDF werde die anstehenden Beratungen der Länder zu den erforderlichen Anpassungen des ZDF-Staatsvertrages konstruktiv begleiten.
Das ZDF hat zwei Aufsichtsgremien: Der Fernsehrat mit 77 Mitgliedern überwacht das Programm, genehmigt den Haushalt und wählt den Intendanten. Der Bund schickt drei Vertreter, die 16 Länder je einen, die politischen Parteien zwölf. Der Verwaltungsrat kontrolliert den Intendanten. Die Länder sind mit fünf aktiven oder früheren Regierungschefs vertreten, der Bund hat einen Vertreter, dazu kommen acht gewählte Mitglieder, die keine aktiven Politiker sein sollen. Die "staatsfernen Gruppen" werden derzeit unter anderem von den Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgebern repräsentiert. Um eine neuerliche Einflussnahme der Politik durch die Hintertür zu verhindern, schreibt das Urteil des Verfassungsgerichts ausdrücklich vor, dass diese Gruppen keine Parlamentarier oder hochrangige Vertreter aus Parteien oder Regierungen in die Gremien schicken dürfen.
Das Urteil der Richter lässt sich allerdings auch als Bestätigung für den bisherigen Kontrollkurs des Senders lesen: Schließlich dürfen politische Funktionäre, insbesondere aus der Exekutive, in den Gremien verbleiben. Das Gericht formuliert lediglich die Forderung nach einer "hinreichenden" Staatsferne. Richter Andreas Paulus sieht darin eine Relativierung, denn 2008 habe sich Karlsruhe deutlich positioniert: "Der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks bezieht sich nicht nur auf die manifesten Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung des Rundfunks; es sollen auch, weitergehend, alle mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates verhindert werden“, hieß es damals. Das gegenwärtige Geschacher wird bleiben, fürchtet der Kritiker jetzt, der zum Urteil ein Sondervotum abgegeben hat: Die Rundfunk- und Fernsehgremien seien ein "Spielfeld von Medienpolitikern". Faktisch dominierten auch weiterhin parteipolitische Maßstäbe. Das Urteil sei ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, allerdings bleibe "das Versprechen eines staatsfernen Rundfunks und Fernsehens auch nach der nunmehr 14. Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts unerfüllt."
Journalistenorganisation für grundsätzliche Einflussbeschneidung der Politik
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert in einer ersten Reaktion die Bundesländer auf, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für eine umfassende Reform der Aufsichtsgremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu nehmen. "Das Urteil macht deutlich, dass das Gebot der Staatsferne kein abstraktes Ideal ist, sondern konkreter Maßstab für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein muss", sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. "Nicht nur beim ZDF, sondern auch bei anderen öffentlich-rechtlichen Sendern muss der Einfluss der Parteien beschnitten werden. Rundfunkaufseher sollten aus der Mitte der Gesellschaft kommen und allein der Öffentlichkeit verpflichtet sein." (mit dpa/AFP/rtr)
Jost Müller-Neuhof, Kurt Sagatz