Inklusion im Fernsehen: Untertitel ersetzen keine Gebärden
Viele Gehörlose können komplizierte Sachverhalte in Schriftsprache nur schwer erfassen. Der Fernsehsender Phoenix hat darauf doppelt reagiert.
Weiter kann eine Text-Bild-Schere nicht auseinandergehen: „Kennst du den Begriff Bumsmädchen?“ stand da plötzlich in den Untertiteln zur Sendung „Sport Aktuell“ des Schweizer Fernsehens. Im genauso unsportlichen Stil folgte wenig später: „Jetzt gehts an die Nippel“. Ursache der „technischen Panne“ war eine Verwechslung. Parallel lief auf SRF 2 nämlich die Komödie „Jungfrau (40), männlich, sucht“. Immerhin: Die Geschichte machte die Runde und zeigte, wie wichtig Untertitel für Hörgeschädigte sind.
Für den ARD-Vorsitzenden Lutz Marmor war es nach der jüngsten Sitzung des Intendantengremiums aus einem anderen Grund ein gefundenes Fressen, über den Umgang der Sendergruppe mit Untertiteln zu berichten. Über 90 Prozent des Angebots im Ersten sei inzwischen mit Untertiteln versehen, die Untertitelquote habe sich damit seit 2012 nahezu verdoppelt. Für blinde Menschen werde zudem zu fast 40 Prozent des Hauptabendprogramms eine gesprochene Beschreibung der Sendung angeboten. Dies solle künftig auch verstärkt für Livesendungen erfolgen, jubilierte Marmor.
RTL bietet zu wenig barrierefreie Sende-Angebote
Besondere Freude dürften diese Erfolgsmeldungen dem ARD-Chef mit Blick auf die private Konkurrenz gemacht haben. RTL hatte sich gerade einen Rüffel von den Landesmedienanstalten eingefangen. Auf ihrer Gesamtkonferenz Mitte November kritisierten die Medienwächter den Kölner Sender für sein geringes Angebot an barrierefreien Sendungen. Es fehle vor allem an Sendungen mit Untertiteln, speziell für Hörgeschädigte auf festen Programmplätzen. Aber auch bei Sendungen mit einfachen Untertiteln sei die Senderfamilie ProSiebenSat1 deutlich weiter, die zudem gerade die Untertitelung von Livesendungen vorbereite, so die Medienanstalten.
Möglich macht dies die fortschreitende technische Entwicklung. Die ARD setzt bei der Untertitelung ihrer Sendungen zum Beispiel „die modernste auf dem Markt erhältliche Technologie ein“. In der Liveuntertitelung kommt eine auf die Bedürfnisse des Senders zugeschnittene Software für Spracherkennung zum Einsatz, die gesprochenes Wort in Text umwandelt.
Untertitel sind allerdings nicht die Lösung aller Probleme. Dies zeigte sich besonders deutlich, als der gemeinsame Ereignis- und Informationskanal Phoenix von ARD und ZDF Mitte 2013 die Begleitung von „Tagesschau“ und „heute-journal“ durch Gebärdensprachen-Dolmetscher aufgeben wollte. Der Schritt war damit begründet worden, dass die beiden Nachrichtenformate mit Untertiteln ausgestrahlt würden und auch andere Sendungen wie die Phoenix-Eigenproduktion „Forum Politik“ künftig Untertitel erhalten sollten.
Die BBC ist Vorbild: Dort wird jede Sendung untertitelt und gedolmetscht
Die Ankündigung löste heftige Proteste aus, denn Untertitel sind für viele Hörgeschädigte kein vollwertiger Ersatz für Gebärdensprache, wie unter anderem Julia Probst kritisierte. Probst, die selbst von Geburt an gehörlos ist, war bundesweit bekannt geworden, als sie als Lippenleserin während der Fußballweltmeisterschaft die Gespräche von Joachim Löw auf der Trainerbank verfolgte und per Twitter meldete. „Für die Mehrheit der Gehörlosen ist die Gebärdensprache die Muttersprache – deswegen ist es bei Nachrichtensendungen von Vorteil, wenn dort komplizierte Inhalte in Gebärdensprache übersetzt werden. Gleichzeitig sollten aber auch Untertitel angeboten werden für die schriftkompetenten Gehörlosen und Schwerhörigen“, sagte Julia Probst. Wenn schon Untertitel, dann am besten 1:1 und nicht verkürzt oder vereinfacht: „In anderen Ländern funktioniert das ja auch problemlos.“ Vorbildlich in diesem Bereich sei die BBC. „Die bieten 100 Prozent Untertitel, alles in Gebärdensprache sowie Audiodeskription an. Aber auch die Niederlande und Österreich sind uns deutlich voraus.“
Die deutschen Sender setzen trotzdem vor allem auf Untertitel: „Damit erreichen wir die meisten Menschen: Schwerhörige, Gehörlose, Menschen mit Migrationshintergrund. Die Gebärdensprache wird nur von gehörlosen Menschen verstanden“, teilte der NDR, der innerhalb der ARD für dieses Thema zuständig ist, auf Anfrage mit.
Doch die Bereitschaft der Sender zum Abbau von Barrieren ist da. Und auch der Wille, eine nicht optimale Route wieder zu ändern: „Im Gespräch mit Phoenix-Vertretern hatten Fach- und Selbsthilfeverbände deutlich gemacht, dass die Gebärdensprache für viele Gehörlose von elementarer Bedeutung ist. Diesem Umstand haben wir Rechnung getragen und den Service beibehalten“, sagte eine Phoenix-Sprecherin. Das Angebot wurde zudem optisch überarbeitet: Die Gebärdensprachdolmetscher stehen nun im Vordergrund und sind deutlich größer auf dem Bildschirm zu sehen. Das senkt auch die Gefahr, dass Phoenix durch eine „technische Panne“ anrüchige Untertitel ausspielt.
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