zum Hauptinhalt
So viel Smoking muss schon sein. Jörg Draeger wird die „Tutti Frutti“-Zuschauer in perfekter Gastgebermanier begrüßen.
© RTL NITRO / Markaus Nass

Jörg Draeger im Porträt: Und es hat „Zonk“ gemacht

Geht wieder aufs Ganze: Jörg Draeger moderiert die Neuauflage von „Tutti Frutti“ bei RTL Nitro. Eine Begegnung

Das Interview in einem Café am Tempelhofer Hafen dauert nun schon mehr als eine Stunde, da hat Jörg Draeger seinen Jörg-Draeger-haftesten Moment. Am Nebentisch möchte sich ein betagtes Pärchen setzen, er hat sich bereits ächzend auf einen Stuhl fallen lassen, sie erkennt, dass kein weiterer Sitzplatz in greifbarer Nähe frei ist. Draeger, die Haare braun mit hellen Strähnen und vor allem mit Zähnen so weiß wie die Serviette vor ihm, springt auf. Greift einen Stuhl, schiebt ihn der alten Dame zurecht, und als sie mit dankbarem Blick am Tisch Platz genommen hat, dreht sich Draeger zum greisen Gatten und bringt mit samtweicher Stimme einen feinen Scherz: „Ist das ihre Frau oder ihre Tochter?“ Heiseres Lachen, der perfekte Schwiegersohn-Moment. Würde Draeger wollen, er könnte dem Paar jetzt noch eine Waschmaschine unterjubeln. Aber damit ist er längst durch. Das Interview geht weiter.

Jörg Draeger, Moderator und inzwischen 70 Jahre alt, hat schon viele Rollen gespielt in seinem Leben. Seine neueste ist die des Gastgebers in der Comeback-Show von „Tutti Frutti“, der Nackedei-Sendung aus den frühen neunziger Jahren. Hugo Egon Balder, damals Gesicht der semisexy Softporno-Unterhaltung, wollte diesmal nicht. Jörg Draeger schon. Wenn RTL am 30. Dezember auf dem Spartensender Nitro die nächste Retrokeule auspackt, betritt auch Draeger wieder die Bühne.

"Ich bin ein miserabler Schauspieler"

Obwohl oder weil er beim Rollenspiel immer er selbst blieb, sagt er. „Ich bin ein miserabler Schauspieler.“ Dabei war das Theater seine große Leidenschaft. 1967 schrieb sich der in Berlin geborene, aber in Spanien aufgewachsene Draeger an der Freien Universität Berlin für Theaterwissenschaften, Politik und Germanistik ein. Am Schiller Theater suchten sie damals regelmäßig Komparsen. „Einmal spielte ich für die Rolle eines kastrierten Eunuchen vor, der mit einem Silbertablett voller gefüllter Burgunder-Gläser über die Bühne laufen und dabei laut rufen musste: ,Burgunder! Burgunder! Burgunder!‘ Bei den Proben vermasselte ich es vor lauter Aufregung.“ Der große Regisseur Fritz Kortner beendete die Schauspiellaufbahn des jungen Studenten mit dem Satz: „Jörg, es hat keinen Sinn.“

Das Experiment Berlin ließ Draeger kurzzeitig gar zum hippen Revoluzzer werden. Der SDS beschäftigte den bilingualen Jüngling als Dolmetscher, und „es dauerte nicht lange, und ich ging in der Kommune 3 ein und aus, hatte die Haare bis zum Hintern und trug einen ,Enteignet Springer!‘-Button auf der Brust. Aber ich war nur Mitläufer.“

Auch am 2. Juni 1967, als Benno Ohnesorg am Rande der Proteste gegen den Schah-Besuch in Berlin erschossen wurde. Draeger befand sich zu dem Zeitpunkt genau eine Straße weiter. Aber letztlich habe er erkannt, dass ihn mit den so politisierten Kommilitonen ideologisch nicht viel verband. Er verließ Berlin, ging nach Essen – und verpflichtete sich bei der Bundeswehr.

Draeger entdeckte beim Soldatenrundfunk Radio Andernach sein Talent als Journalist, über Kontakte schaffte es der Zeitsoldat 1981 zum NDR und heraus aus seiner Rolle als Uniformierter. 1987 gelang ihm, inzwischen bei Radio Hamburg unter Vertrag, sein größter Coup. Im Zuge der Barschel-Affäre bekam der Berliner über alte Kontakte aus Bundeswehrzeiten exklusive Kurzinterviews mit Björn Engholm, „Spiegel“-Chef Erich Böhme und Uwe Barschel selbst.

"Geh aufs Ganze" - die Rolle seines Lebens

Im Café am Tempelhofer Hafen lehnt sich der Draeger jetzt zurück, breitet die Arme aus, bleckt die Serviettenzähne und ruft in Erinnerung an die große Tat von einst: „Wir waren die Größten!“ Kurz nach dem Barschel-Erfolg wechselte er zu Sat 1, „der Kohle wegen“. Und wurde 1992 nach München geschickt, um sich ein neues Spielshow-Format anzuschauen: „Lets Make a Deal!“, eine Sendung, die schon Jahrzehnte in den USA Erfolg hatte. Aber Draeger, doch eigentlich seriöser Journalist, zögerte. Erst als er beim Casting einen ungeliebten Kollegen als möglichen Konkurrenten entdeckte, sorgten Eitelkeit und Ehrgeiz dafür, dass das deutsche Pendant „Geh aufs Ganze“ ein Gesicht bekam. Und Draeger die Rolle seines Lebens.

Warum? „Weil ich nicht schauspielern kann und dort einfach der Jörg sein durfte“, sagt Draeger. Und der Jörg trug den Schnurrbart schön dünn und dicht, die Sakkos breit und bunt wie ein Milli-Vanilli-Video (Draeger: „Aus heutiger Sicht: furchtbar.“) und führte nach anfänglichen Wackler-Sendungen bald so selbstbewusst durch die jeweils an einem Stück gedrehten und unverändert gesendeten Folgen, als wäre das Studio sein Wohnzimmer.

„Ich habe mich deshalb auch so wohlgefühlt, weil ich einfach machen durfte, was ich gut kann“, sagt er. Nämlich so sein: eine Mischung aus lieb gewonnener Patenonkel, Vertreter, Spielbank-Mitarbeiter, freundlicher Nachbar und Rummelplatzlegende. Zwischen 1992 und 2003 durfte Draeger mit kurzer Unterbrechung beinahe zehn Jahre lang aufs Ganze gehen. Die letzten vier Jahre in einem etwas seriöserem Bühnenbild. Eine halbe Ewigkeit in diesem Geschäft.

Zonk, die Stoffmaus

Seine Popularität, und Draeger weiß das, verbindet sich allerdings mit einer Stoffmaus. Die fanden der Moderator und sein Ko-Produzent, der zu früh verstorbene Erasmus Boelte, auf einer Spielzeugmesse in Nürnberg. „Erasmus bediente sich bei der Namensgebung an der US-Comic-Sprache“, erinnert sich Draeger, „da heißt ,Thong‘ so viel wie ,raus‘ oder ,weg‘. Als er uns den ersten Zonk in voller Pracht mit dem dazugehörigen Geräusch präsentierte, wussten wir alle: Das ist es!“ Diesem vielleicht bekanntesten Trostpreis der jüngeren deutschen Fernsehgeschichte, sagt Draeger, habe er viel zu verdanken. In seinem Haus auf Teneriffa gibt es sogar ein eigenes Zonk-Zimmer, zum Ausstand schenkten ihm die Sendeverantwortlichen Zonks in jeder Größe. Eine 2,5 Meter große trostspendende Maus musste mit einem Kran in ein eigens dafür geschaffenes Loch im Dach geliefert werden.

„Charmante Erotik“, beschreibt Draeger das Sendekonzept des „Tutti“-Remakes. Und „eine Hommage an schöne Körper“. Er selbst wird Smoking tragen und freut sich schon drauf, wie sich halt einer freuen kann, wenn er schon 70 ist und noch immer wie 58 aussieht. Nur: Funktioniert Jörg Draeger denn noch? Kann er noch Quote machen mit seinem bewährten, aber eventuell nicht mehr so zeitgemäßen Sakko-Charme? Er selbst sagt: „Wenn ich nur für den Bruchteil einer Sekunde gedacht hätte: Oh, Opa erlebt seinen fünften Frühling, dann hätte ich das nicht gemacht.“

Für Jörg Draeger befindet sich die Karriere von Jörg Draeger immer noch im Spätsommer.

Zur Startseite