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Einst enge Verbündete, später erbitterte Feinde: Fethullah Gülen (l.) und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan.
© AFP/Getty Images/Promo

TV-Doku über Gülen-Bewegung: Türkisches Trugbild

Eine Arte-Dokumentation blickt hinter die Kulissen der Gülen-Bewegung. Das Bild von den "freundlichen Islamisten" hält dem nicht stand.

Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan steht fest: hinter dem Putschversuch im Jahr 2016 steckt die Gülen-Bewegung. Ist diese Behauptung zutreffend? Für was steht eigentlich die multinationale Vereinigung, die sich für Bildung und Leistung einsetzt? Eine Arte-Dokumentation im Rahmen eines Thementages zur Türkei blickt hinter die Kulissen jener „freundlichen Islamisten“, deren Anhänger in der Türkei zu Hunderttausenden verfolgt werden.

Gemeinsam mit dem TV-Journalisten Halil Gülbeyaz schlägt der Grimme-Preisträger Osman Okkan einen Bogen zurück bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001. Weltweit jubelten Muslime euphorisch angesichts der Bilder der brennenden Türme. Seinerzeit geriet der Islam als Hass-Religion in den Fokus. Fethullah Gülen konnte sich in dieser Phase medienwirksam absetzen. Sogar der einstige US-Präsident Bill Clinton lobte den gemäßigten türkischen Imam für seinen „interreligiösen Dialog“. Dieses Bild eines Islam light ist möglicherweise eine geschickte Täuschung. Welche Ziele Gülen tatsächlich verfolgt, verdeutlichen Gülbeyaz und Okkan mit einem Rückblick auf die Entstehungsphase seiner Bewegung. Vor der Kamera erklärt ein ausgestiegener Anhänger, „die Gemeinde“, wie man Gülens Vereinigung in der Türkei nennt, sei „nur in den Anfängen eine unschuldige Bewegung“ gewesen. Mit seinem Wahlspruch, er wolle keine Moscheen, sondern Schulen bauen, ging der Prediger auf Distanz zu den fundamentalistischen religiösen Kräften.

Gleichzeitig blieb er unter dem Radar jener laizistischen Machthaber, die mit dem Militärputsch 1980 das Ruder übernommen hatten. Bildung, die in Gülens Namen durch ein Netz von Nachhilfezentren und sogenannten „Lichthäusern“ vermittelt wird, ist für die Bewegung aber kein Selbstzweck. Sie dient einer straff organisierten Kaderschmiede. Offensichtlich wurden Gülens Ziele, als er 1999 öffentlich zur religiösen Unterwanderung der säkularen Staatsorgane aufrief und deshalb in den Fokus der Justiz geriet.

Der Prophet im US-Exil

Der Prophet floh daraufhin nach Pennsylvania ins US-Exil. Seine Popularität in der Türkei wuchs derweil ständig weiter. Wie effektiv seine Netzwerke in der Zwischenzeit geworden sind, zeigt ein Schlüsselereignis der jüngeren türkischen Geschichte: die sogenannten Ergenekon-Prozesse. Medienwirksam deckten Polizisten aus dem Gülen-Umfeld 2007 eine angebliche Verschwörung der Militärs gegen die islamische Regierung Erdogans auf. Es folgte eine erste Säuberungswelle. Linke, Intellektuelle und Kurden aus dem säkularen Spektrum wurden in Scheinprozessen zum Schweigen gebracht. Unter ihnen: Ahmed Sik. In seinem Buch „Die Armee des Imam“, das noch vor der Veröffentlichung beschlagnahmt wurde, hatte der Journalist recherchiert, dass die unterwanderte Polizei der bewaffnete Arm der Gülen-Bewegung ist.

Der Film zeichnet nach, wie Erdogans islamische Partei AKP von den Gülen-Netzwerken zunächst massiv profitierte. Es kam jedoch zu einem Machtkampf, der in einer öffentlichen Schlammschlacht gipfelte. Gülen nahe stehende Medien veröffentlichten 2014 ein Telefonmitschnitt, der Erdogans korrupte Machenschaften offen legte. Höhepunkt dieses Tauziehens ist der misslungene Staatsstreich von 2016. Der Film dokumentiert, dass ein Gülen nahe stehender Pilot als Verräter fungierte: „Der Geheimdienst war über den bevorstehenden Putsch offenbar genauestens informiert“. Hat Erdogan die Aufständischen ins offene Messer laufen lassen? Für den sozialdemokratische CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrikulu steht fest: „Wenn die Sache korrekt gehandhabt worden wäre, hätten über 250 Menschen nicht sterben müssen“.

Hinter der Fassade eines friedlichen Islam, so der Tenor des Films, verbirgt sich eine straff organisierte Sekte mit internationaler Konzernstruktur. Den Dialog mit der säkularen Kultur der westlichen Zivilisation sucht Gülen nicht wirklich. Seine Anhänger, unter anderem Vertreter der islamischen Wirtschaftselite, treten allerdings nicht auf wie fundamentalistische Dschihadisten aus der Parallelgesellschaft. Wie gefährlich sind diese Netzwerke für Deutschland? Diese Frage hätte der informative und dichte Film präziser stellen können.

Arte-Thementag „Die Türkei – Regionalmacht am Scheideweg?“, Dienstag ab 20 Uhr 15. Die Dokumentation „Die freundlichen Islamisten? Auf den Spuren der Gülen-Bewegung“ läuft ab 23 Uhr 40

Manfred Riepe

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