Shitstorm überm ZDF: "Transparenz ist die einzige Chance"
Der erste Shitstorm von re:publica und Media Convention 2016 betrifft das ZDF - jedenfalls in einer Diskussionsrunde. Praktisch geht es um das erste Jahr des interaktiven Nachtmagazins "heute plus".
Ein Shitstorm ist schnell ausgelöst, das weiß das ZDF aus eigener Anschauung – und damit sind nicht nur entrüstete Kommentare nach Jan Böhmermanns Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten oder die Reaktionen auf ein Schnitzel in Hakenkreuzform gemeint, die ein Beitrag der „heute show“ über den Rechtsruck im Nachbarland Österreich hervor gerufen hat. Besonders im Fokus der Social-Media-Öffentlichkeit steht das junge ZDF-Nachrichtenformat „heute plus", das vor einem Jahr gestartet ist und die alte Nacht-Nachrichtensendung abgelöst hat.
Um im Netz einen Shitstorm vergessen zu machen, gibt es einen einfachen aber wirkungsvollen Trick. Um negative Treffer in den Suchlisten von Google und Co so weit nach unten zu schieben, dass der normal aufmerksame User sie nicht mehr findet, muss man nur dafür sorgen, dass andere, aktuellere Treffer zuerst erscheinen. Die ZDF-Doku „Shitstorm“ war da sicherlich hilfreich, aber auch die Diskussion am zweiten Tag von re:publica und Media Convention unter dem Motto „@heuteplus – oder wie wird Journalisten lernen, den Shitstorm zu lieben“ wird wieder einige unliebsame Suchmaschinentreffer verdrängen.
„heute plus“ ist nicht einfach ein Nachtjournal, das Nachrichten im „Logo“-Format für junge Erwachsene enthält. Es gibt kaum etwas, was die beiden jungen Moderatoren Eva Maria Lemke und Daniel Bröckerhoff mehr ärgert als dieses Klischee. Die Beiträge für „heute plus“ werden vielmehr speziell für die Social-Media-Kanäle produziert und über Facebook, Twitter und die Live-Streaming-App Periscope ausgespielt. In der Nachtsendung läuft dann eine moderierte Zusammenstellung dieser Beiträge.
Für das ZDF scheint die Rechnung aufzugehen. Über diesen neuen Weg und die Interaktion mit den Nutzern werden Menschen erreicht, die der Sender sonst nicht bekommt, sagt Elmar Theveßen, der stellvertretende Chefredakteur des ZDF. „,heute plus‘ hat einen Superstart hingelegt. Der Marktanteil liegt liegt unverändert bei 8,5 Prozent, die Zahl der Zuschauer hat sich von 750.000 sogar um 70.000 erhöht – wenn auch bei den älteren Zuschauern“, erzählt Theveßen. Das Fernsehen sei für diese Sendung zudem nicht der Maßstab. „Auf Facebook haben wir 95.000 Follower, bei uns passiert dort mehr als bei Bento und anderen Jugendangeboten.“
Periscope-Nutzer sind treu, aber selten
Allerdings funktioniert längst nicht alles, wie Eva Maria Lemke weiß. Die Fans von „heute plus“ auf Persicope seien zwar treu, aber eben nur sehr wenige, sagt sie. „Wenn ich sehe, dass Jan Böhmermann seine Hashtag-Konferenz beendet, weil er nur 1000 Nutzer erreicht, muss ich weinen.“ Elmar Theveßen ist sich trotzdem sicher: In interaktiven Formaten wie „heute plus“ liegt die Zukunft für die Fernsehsender.
Doch so easy ist es freilich nicht, ein Nachrichtenformat für die sozialen Medien zu machen. Bei Themen wie Impfverweigerung, der Homo-Ehe und über die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete ist der Shitstorm programmiert. Flüchtlinge, AfD, Pegida sind weitere Reizbegriffe, die sich sofort in den Kommentarspalten niederschlagen.
Theveßen ist trotzdem froh, dass die etwas andere Nachrichtensendung gerade jetzt gestartet ist. „Wenn man auf Fehler aufmerksam gemacht wird und sich rechtfertigen muss, wird man noch sorgfältiger“, sagt der stellvertretende Chefredakteur. „Wir haben die Tore gerade zu der Zeit geöffnet, in der sich Diskussionen radikalisiert haben. Besser als zu löschen oder zu blockieren ist es allerdings, dagegen zu halten“, sagt Lemke. Und wie war das mit den Shitstorms? Einmal habe sie den Fehler gemacht, in der Sendung ein Sweatshirt anzuziehen, erzählt die Moderatorin. Einen Mini-Shitstorm gab es wegen eines Berichts über eine Hackerattacke auf den Bundestag, den die Redaktion von „heute plus“ mit dem Uralt-Betriebssystem Windows XP erklärte – das allerdings zu diesem Zeitpunkt im Parlament schon ausgemustert war. Da könne man nichts machen, als die Gründe für die Fehlinformation – veralterte Informationen – zu erklären. „Transparenz ist die einzige Chance“, sagt Co-Moderator Daniel Bröckerhoff. Sobald aber in den Kommentaren das Keyword Zwangsgebühr fällt, kann man aufhören zurückzuschreiben.