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Maybrit Illner.
© dpa

TV-Kritik Maybrit Illner: Thema Jugendgewalt: Applaus für keine einfachen Antworten

Die Moderatorin trifft den richtigen Ton, und Gästen wie dem Jugendrichter Andreas Müller sieht man an, wie kompliziert auch für sie das Thema Jugendgewalt ist. Am Schluss aber können sich alle auf einen Punkt einigen.

Wann fing das eigentlich an, dass die Programmmacher auf die Idee kamen, nach jedem halbwegs gesellschaftlich brisantem Fernsehfilm eine Talkshow folgen zu lassen? Und ist diese Idee nun gut oder schlecht? Sie ist, wie so vieles, was das Fernsehen macht, beides. Am Montagabend, im ZDF, war es eine gute Idee.

Der Fernsehfilm „Kein Entkommen“, mit einem guten Ensemble (vor allem einem leider immer noch unterschätztem Benno Fürmann und einer wieder einmal grandiosen Ruby O. Fee), erzählte die Geschichte einer Frau, die Opfer von Jugendgewalt wird, und wie das Geschehene auf sie und ihre Familie wirkt. Kein schlechter Film – weil er die Ruhe bewahrte, weil er nie laut wurde – und diese Stimmung wurde von der anschließenden Spezial-Ausgabe der Talkshow „Maybrit Illner“ übernommen.

Obwohl Illner immer leicht desinteressiert wirkt, wenn es in ihrer Sendung nicht um die große Politik geht, führte sie souverän durch den Talk; auch sie vermied Aufgeregtheiten und traf den richtigen Ton. Die Runde machte es ihr leicht, allen voran Joe Bausch, den die Zuschauer als Rechtsmediziner aus dem Kölner „Tatort“ kennen, und der auch Arzt in einem Gefängnis ist. Bausch hört man gerne zu, selbst bei so einem Thema. Er argumentierte für die Opfer, die in der einstündigen Sendung im Mittelpunkt standen, aber seine Argumente waren immer die des Rechtsstaats.

Nicht leicht ist es mit Andreas Müller, dem Jugendrichter aus Bernau, den der Boulevard sträflicherweise den „härtesten Jugendrichter Deutschlands“ nennen. Es ist nicht leicht mit ihm, weil man ihm ansieht, wie schwer ihm sein Job fällt, wie groß die Last ist, die er trägt. Müller regte sich manchmal auf. Man kann das verstehen, er ist ein Zweifler, er hadert auch mit den Möglichkeiten, die ihm gegeben sind, er forderte ein anderes Strafrecht, eines, dass flexibler auf die Täter zugeht, denn bei manchen würde eine kürzere Haftstrafen reichen, bei anderen müsste sie länger ausfallen – auch mit dem Begriff „Intensivtäter“, zeigte sich Müller nicht einverstanden.

Glückliche Kinder werden keine Schläger

Und der Zuschauer sah durch ihn, wie schwer und kompliziert die Sache mit der Jugendgewalt ist: einfache Antworten konnte niemand in der Runde anbieten, nicht Renate Künast, die sich dagegen wehrte diesmal „die Politik“ zu sein, sondern von ihren Erfahrungen als Sozialarbeiterin im Knast erzählte, nicht der Psychotherapeut Christian Lüdke, der sich um die Opfer kümmert und auch nicht Tina K., deren Bruder Jonny vor anderthalb Jahren am Alexanderplatz zu Tode geprügelt wurde.

Am Ende gab es doch eine Antwort, sie war ziemlich einfach, aber die Runde war damit einverstanden: Vaja Marcone, deren Sohn Giuseppe starb, als er auf der Flucht vor Schlägern vor eine Auto lief , sagte zum Schluss, dass man seine Kinder lieben solle, denn glückliche Kinder seien gewaltlose Kinder. Vielleicht stimmt das – vielleicht auch nicht. Das Studiopublikum jedenfalls applaudierte. Und Andreas Müller auch. Es war ein leiser Applaus.

Matthias Kalle

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