Comeback im ZDF: "Kudamm'59": Tanz in die Freiheit
Der ZDF-Dreiteiler „Ku’damm 59“ schreibt die deutsche Sittenchronik fort – und feiert einen künstlerischen Triumph.
Tanzschule „Galant“ auf dem Westberliner Boulevard Kurfürstendamm. Kaum zehn Jahre nach Ende des Krieges sieht es dort aus, als seien die Hohenzollern auf Hitler gefolgt. Besitzerin Caterina Schöllack (Claudia Michelsen), eine Mischung aus frostiger Schneekönigin und Heidis nerviger Gouvernante Fräulein Rottenmeier, drillt Benimm. Tüll, Petticoats und Plüsch hat man über die Schrecken des Krieges gelegt. Handschuhkontrolle, Knicks und Wiegeschritt – die Kinder der Täter sollen keine dummen Fragen nach der Vergangenheit stellen.
So hält es Madame Caterina auch mit ihren drei Töchtern. Im „Ku'damm 56“ regiert ganz ungalant die eiskalte Frechheit der Lebenslügen. Die Chefin gibt sich als tapfere Kriegerwitwe aus, das „Galant“ ist das Werk des fleißigen Schöllack-Clans, den Stuss über die notwendige Unterwerfung der Frauen unter den Mann predigt die Mutter mit hysterischer Inbrunst. Zwei Töchter glauben Caterinas Erzählungen.
Die mittlere, Monika (Sonja Gerhardt), nicht. Fast hätte sie sich umgebracht als Versagerin in einer Haushaltsschule, dann aber entdeckt sie die befreiende Wirkung des Tanzens. Der Körper ist manchmal schlauer als die Idiotie der Erziehung.
Monika, auf dem Weg zum Rock-'n'-Roll-Star, verlässt die Welt der Mutter. Die Tochter hat sich für das Austragen des Kindes von ihrem Tanzpartner Freddy (Trystan Pütter) entschieden, obwohl sie weiß, dass dieser Freddy, ein traumatisierter KZ-Insasse, mit ihr nie eine feste Bindung eingehen kann. Ihr anderer Herzbube, der Fabrikerbe Joachim (Sabin Tambrea), ein eleganter Hamlet aus dem existenzialistischen Bilderbuch, bleibt im Herzen Monikas und ist mit diesem Wartestand einverstanden.
Wenn von diesem Sonntag an die Schöllack-Karawane, den Sendetitel von „Ku'damm 56“ zu „Ku'damm 59“ ändernd, weiterzieht, sollte man sich in der ZDF-Mediathek die erste Staffel noch mal ansehen. Die Autorin dieses fulminanten Fernsehromans, Annette Hess („In aller Freundschaft“, „Weissensee“), und der vorlagengetreue Regisseur Sven Bohse (Grimme-Preis für „Ku'damm 56“) verengen die Story nicht Richtung Freiheit, sondern haben den Rückspiegel fest im Auge. Der Ausbruch aus Mentalitätsgefängnissen erfordert historische Sorgfalt, keine Wunderblitze. Emotionale Veränderung ist eine Schnecke. Rückschläge sind möglich.
Bannflüche wie „unehelich“ und „Schande“
Auf dem gleichen Weg, auf dem Monika davongetanzt war, schleppt sie sich zu Beginn der zweiten Staffel zurück zum Schöllack’schen Drachensitz. Hochschwanger, keinen Koffer voller Geld in der Hand, sondern voller Schande. Mutter Caterina, die Schreckliche, hat sich von der Aufdeckung einiger ihrer Lebenslügen erholt. Nein: In ihrer Edelherberge gewährt sie keinen Krippenplatz, nicht mal für die eigene Tochter, dieses bebrillte Entlein mit den gebrochenen Flügeln. Bannflüche wie „unehelich“ und „Schande“ stößt die „Galant“-Besitzerin aus. Rache, Rouge und Rage – der Zuschauer blickt einer verlogenen Epoche ins Höllenherz. Claudia Michelsen spielt das grandios. Frauen sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Feministische Genderverklärung fällt aus.
Die Mutter fädelt eine perfide Kindeswegnahme ein. Monika gebiert Dorli, und dieses kleine Mädchen wird in die Obhut der ältesten, bisher kinderlosen Schöllack-Schwester Helga gegeben.
Diese Helga (Maria Ehrich) hat brav gemacht, was Mutter wollte: eine gute Partie. Der Jurist Wolfgang (August Wittgenstein) erscheint in seiner gestriegelten Steifheit als „galant“-optimaler Mustergatte. Er ist schwul, was Helga, ganz im Zeitgeist, für eine heilbare Krankheit hält und Wolfgang in eine grausame Therapie zwingt. Ihren Kinderwunsch für den Mann zu opfern, kommt ihr nicht infrage. Der verlogene Starrsinn der Mutter überspringt die Generationsgrenze.
Eine Tragödie unter Schwestern nimmt ihren Lauf. Helga wird Dorli nicht an die leibliche Mutter Monika zurückgeben, auch als es der besser geht. Monikas Sehnsucht nach ihrem leiblichen Kind verliert gegen die neurotische Besitzsucht der sozialen Mutter. Frauen wie Monika müssen von Sehnsüchten lassen, um sich beruflich zu entfalten.
Emanzipation ist keine kostenfreie Reise ins Glück, sondern immer auch Trennung von der Allseitigkeit gelingenden Frauenlebens. Ergreifend, wie der Film mit langem Bilder-Atem die schwesterliche Tragödie der Sehnsüchte dem Zuschauer schweigend nahebringt. Annette Hess' TV-Roman kann auch ohne Dialog überzeugen.
Im Fall der jüngsten Schöllack-Tochter Eva (Emilia Schüle) wird dagegen im Illustrierten-Stil der Zeit zugepackt. Auch Eva, die gelernte Krankenschwester, hat ihr von der Mutter empfohlenes höchstes Berufsziel erreicht und Professor Fassbender (großartig: Heino Ferch), den Psychiatrie-Halbgott, geheiratet, der sein Fach bei den Nazis gelernt hat. Das reine Frau-Professor-Hausfrauenleben aber langweilt die Leichtlebige. Sie hat die Erotik mit dem jungen Ost-Berliner Torwart (erste Staffel) nicht vergessen. Ihrem Othello im Arztkittel trotzt die hinterlistige Desdemona Eva die Erlaubnis ab, den Führerschein machen zu dürfen.
Eine Unverschämtheit und eine Dummheit
Das Auto ist für sie die Droge der 50er. Einfach fahren bringt ihr Erfahrung mit Männern, bei denen man nicht bleiben möchte. Und Geld ist, was letztlich von der Liebe bleibt. Eva wird zum „leichten Mädchen“, ein Schicksal wie das der 1957 ermordeten Edelhure Rosemarie Nitribitt droht. Im fiktiven „Ku'damm 59“ retten die beiden älteren Schöllack-Schwestern das Nesthäkchen Eva vor solchem Schicksal. Dem Ehetruchsess Professor Fassbender werden auf immer die Schlüssel zum Eheknast entzogen.
Und übrigens, Monikas Erfolgsstreben stellt sich der Verehrer der Mutter, der Knödelliebhaber Kurt Moser (Ulrich Noethen), ein ehemaliger Nazi-Durchhalte-Film-Regisseur, in den Weg. Der möchte die beginnende Musikerkarriere von Monika und Freddy im Kitsch des Lederhosen-Kinos ersticken.
Annette Hess hat sich zu Recht bitter beklagt, dass zuletzt beim Deutschen Filmpreis keine Autoren eingeladen wurden. Eine Unverschämtheit und eine Dummheit. Die von Nico Hofmanns Ufa Fiction produzierten „Ku'damm“-Filme beziehen ihre Wucht aus der Subjektivität einer zornig gewordenen Frau, die den Erzählungen ihrer Mutter zugehört hat. Ein unversöhnlicher und dennoch publikumsnaher Film ist so entstanden. Ganz ohne nostalgische Verliebtheit in die Naivität der geschilderten Epoche. Am „Ku'damm“ tanzt der deutsche Nachkriegszorn, auch das ist eine große Kunst.
„Ku’damm 59“, ZDF, Sonntag, Montag, Mittwoch, 20.15 Uhr
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