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Jährlich machen sich 30 000 junge Israelis auf, um unter anderem die im heutigen Polen liegenden Arbeits- und Vernichtungslager der Nazis zu besuchen. Die dabei entstandenen Youtube-Videos sammelt das Projekt #Uploading_Holocaust.
© BR

#Uploading_Holocaust: Spurensuche im Konzentrationslager

„Uploading Holocaust“ dokumentiert Youtube-Reiseberichte von israelischen Schülern. Das Webportal ist bereits online, die TV-Doku folgt in wenigen Tagen.

„Ich bin überrascht, dass hier alles in Farbe ist.“ Der Satz stammt aus einem Reisevideo, das ein israelischer Schüler auf Youtube hochgeladen hat. Er hat in Polen Konzentrationslager der Nazis besucht und bewegt sich damit als einer von jährlich 30 000 Schülern auf den Spuren der Geschichte seines Volkes. Aus den Videos entstand das crossmediale Projekt #Uploading_Holocaust. Die Macher des Medienprojektes untersuchen damit, wie sich die mittlerweile vierte Generation von jungen Menschen, die sich den Holocaust oft nur noch über Bücher und Filme erschließen kann, mit dieser Geschichte auseinandersetzt.

Auschwitz und Treblinka sind im Schulunterricht oft mit Schwarz-Weiß-Bildern und Texten repräsentiert und wirken wie eine Erzählung aus einer fernen Zeit. Die Erinnerungskultur hat längst neue Formen und den Weg ins Netz gefunden. Wer im Netz nach „Journey to Poland“ sucht, findet mittlerweile über 20 000 Videos. Neben dem Internetprojekt #uploading_holocaust gibt es nun auch einen Dokumentarfilm. Er besteht ausschließlich aus den Youtube-Reiseberichten der israelischen Jugendlichen, Lehrkräften und Familien.

Keine einfache Reise

„Uns ist es wichtig, eine Diskussion zum israelischen Umgang mit dem Holocaust in Gang zu setzen und Fragen zur Rolle des dokumentarischen Filmemachens im Youtube-Zeitalter aufzuwerfen“, sagt der Regisseur des Films, Udi Nir. #Uploading_Holocaust zeigt, welche Bedeutung das Erinnern für das Verständnis innerhalb der jüdischen Familien und für den Umgang mit dem alles bestimmenden Trauma hat. „Wir sind stolz auf dich, dass du diese Reise machst und dich mit der Geschichte unseres Volkes vereinst. Das wird keine einfache Reise. Wir hoffen, dass du stark genug für die schlimmen Erfahrungen sein wirst“, sagen die Familienangehörigen von Michel, einem der Schüler, der sich auf den Weg macht.

Das Web-Projekt #Uploading_Holocaust ist seit Freitag unter der Adresse www.uploading-holocaust.de zu erreichen. Die Macher wollen herausfinden, wie eine zeitgemäße Erinnerungskultur für Jugendliche aussehen kann, die längst keinen unmittelbaren Anknüpfungspunkt an die Zeit ihrer Urgroßeltern mehr haben. „Mit dem Webprojekt wollten wir Jugendliche in ,ihrem‘ Medium, dem Internet, und möglichst direkt und ohne Erwartungsdruck fragen, welche Rolle der Holocaust für sie spielt und wie sie mit ihm umgehen wollen. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse, die wir Ende Januar haben werden“, sagt Produzent Christian Beetz. Schulen können sich mit ihren Klassen an dem Projekt beteiligen. Die Umfragen unter den Schülern werden anonymisiert ausgewertet. Film und Webprojekt werden von mehreren Landesrundfunkanstalten und Vereinen gefördert.

In Gruften und Gräbern

Die israelischen Jugendlichen lesen nicht mehr nur über die Vergangenheit, vor Ort kann sie nachgefühlt werden. Auf einem Friedhof in Warschau schildern Zeitzeugen, wie sie sich vor der Verfolgung durch die Deutschen in unterirdischen Räumen zwischen Gruften und Gräbern versteckt haben. Die Schüler von heute steigen selbst hinein und bekommen so ein Gefühl für die Enge. Nicht alle Schüler können sich sofort in das hineinversetzen, was sich Jahrzehnte vor ihrer Geburt im Warschauer Ghetto abgespielt hat. Doch mit jedem Tag schwindet die anfangs lockere Atmosphäre einer Klassenfahrt. „Ich bin mir sicher, dass sie heute beginnen werden, die Last dieser Reise zu spüren. Wir werden es in ihren Gesichtern sehen“, meint ein Lehrer, als der Besuch des Konzentrationslagers Majdanek ansteht.

Als fester Bestandteil im Unterricht haben sich die Schüler ihren Zugang zum schwierigen Thema des Holocaust auch in Tanz- und Theaterprojekten erarbeitet. Jetzt fühlen sie der Geschichte ihrer Urgroßeltern und Verwandten nach. An den Orten der Vernichtung, in den Lagern und Wäldern, sind die Opfer nicht mehr reduziert auf ihre Anzahl, das Sterbedatum oder den Sterbeort. Die Schüler tragen Bilder der getöteten Kinder, fühlen die Enge in den Transportwagons und Baracken und verlesen Texte, in denen die Brutalität der Nationalsozialisten deutlich wird – dokumentiert mit den Youtube-Reisevideos. „Wir senden dir von zu Hause viel Kraft. Wir vermissen und lieben dich und warten auf dich“, sagen die Angehörigen von Michel und wissen von ihrer eigenen Reise, wie hart die Erlebnisse vor Ort sein können.

„#Uploading_Holocaust“, BR-Fernsehen, 8. November, 22 Uhr 30

Daniel Lücking

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