Geoblocking in der EU: Spiele ohne Grenzen
Bundesliga oder „House of Cards“ am Mittelmeer? Die EU hatte sich mal viel vorgenommen, doch auf das Ende des Geoblockings müssen wir warten. Die Gebietslizenzen bleiben erhalten. So will es jetzt die EU.
Andrus Ansip ist Fußballfan, im Ausland hat der Politiker mit dieser Leidenschaft ein Problem. „Ich bezahle fürs exklusive Fußballgucken Gebühren in Estland, aber die Live-Spiele sind in Brüssel geblockt“, beschwert sich Ansip. Schwierigkeiten, die viele Verbraucher in Deutschland haben: Sie können auf Laptops und Tablet kaum Sendungen aus anderen EU-Ländern sehen. Selbst öffentlich-rechtliche Mediatheken, Fußballspiele und andere Videos aus der Heimat sind im Urlaub nicht erreichbar. „Tatort“ gucken am Laptop am italienischen Strand? Geht nicht. Dem steht das Geoblocking entgegen: die regionale Sperrung von Internetinhalten durch den Anbieter, Senderechte sind nur national. Ansip ist EU-Kommissar für den digitalen Binnenmarkt und will diese Internetsperren abschaffen. „Ich hasse Geoblocking aus tiefstem Herzen“, sagt er.
Das Großprojekt digitaler Binnenmarkt könnte eine Revolution werden. Mit durchaus negativen Konsequenzen für die bisherigen TV-Rechteinhaber, die gut am alten System verdienen, wenn sie eine Sendelizenz in jedem EU-Land separat verkaufen. Wie die Deutsche Fußball Liga (DFL), die die Bundesligarechte für die Ausstrahlung in Deutschland ausschreibt und darüber hinaus noch mit der Auslandsvermarktung gutes Geld verdient.
Aber auch Sportverbände, -Ligen und -vereine blicken bang nach Brüssel, wo an diesem Donnerstag das EU-Parlament eine Resolution zum Urheberrecht verabschiedet. „Eine Änderung wäre gefährlich für unsere Einkünfte“, sagt Franciska Laurence. Der Slowake ist führender Funktionär im europäischen Fußballverband Uefa. „Die Fernsehsender würden uns nicht mehr so viel für die Übertragungsrechte zahlen, wenn sie nicht mehr national exklusiv wären.“ Das Geld fehle dann, um teure Spieler zu verpflichten und zu bezahlen, aber auch für Jugendarbeit und soziale Projekte. Die deutsche Fußball-Bundesliga etwa erzielt gut ein Drittel ihrer Einnahmen aus der medialen Verwertung, 716,8 Millionen Euro jährlich. Die Summe soll sogar steigen, bei der nächsten Ausschreibung der Rechte ab 2017. Das wäre schwierig, wenn der Sport Rechte-Käufern keine geschützte Exklusivität anbieten könnte.
Der digitale Binnenmarkt war im vergangenen Herbst eines der Hauptziele des neuen EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker. Die Bürger sollten künftig „unabhängig von Grenzen in ganz Europa Zugang zu Diensten, Musik, Filmen und Sport angeboten bekommen“. Was sich für Verbraucher toll anhört, versetzte die Branche in Schrecken: Würde es nur noch einen Rechteinhaber für ganz Europa geben? Müssten also Sportereignisse wie die Fußball-Bundesliga bald europaweit ausgeschrieben werden? Ähnlich lief es zuletzt bei den Olympischen Spielen, die der US-Konzern Discovery nun in ganz Europa übertragen darf.
Vom ambitionierten Plan Julia Redas bleibt wenig übrig
Die Bedenken, vor allem im Filmgeschäft und der Spezlwirtschaft, nahmen noch zu, als die Piraten-Abgeordnete Julia Reda im Europaparlament für das Thema zuständig wurde. Sie forderte im Frühjahr in einem Bericht, dass ein Werk in den 28 EU-Staaten nicht länger auf 28 Weisen geschützt werden dürfe. Vertreter der Bundesliga und anderer Sportverbände reisten daraufhin nach Brüssel, um mit Lobbyarbeit radikale Änderungen zu verhindern. Offenbar erfolgreich. „Wir bereiten einen Gesetzesvorschlag vor“, sagt Günter Oettinger, seit 2014 EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, „bei Sportrechten werden wir die bewährten Strukturen und Geschäftsmodelle nicht gefährden.“
Von der großen Lösung, einem europäischen Übertragungsrecht für einen einziger Anbieter, ist also zunächst keine Rede mehr. Es gäbe auch kaum einen europäischen oder internationalen Medienriesen, ähnlich Discovery, der sich alle Sportrechte wie bei Olympia auf einmal leisten und alles ausstrahlen könnte. Doch auch kleinere Lösungen bergen Risiken für Rechteinhaber. Ohne Ländersperren könnte sich ein Verbraucher in Deutschland ja aussuchen, ob er sich ein Abo hierzulande bei Sky kauft oder billiger Bundesliga schaut, etwa bei einem rumänischen Anbieter. Dass ein Kunde dagegen sein Abo bei Urlaubsreisen im Ausland nutzen kann, Portabilität genannt, damit könnten der Sport und die TV-Sender leben. Hauptsache, das alte Modell bleibt erhalten.
Dieses Modell überdauerte auch, dass 2011 eine englische Wirtin mit einer griechischen Decoder-Karte englische Ligaspiele zeigte und vom Europäischen Gerichtshof recht bekam. Den Lizenzhandel veränderte das kaum. Das Territorialprinzip, die Aufteilung von Rechten auf Nationen, bleibt aber dennoch umstritten. Auch weil die technischen Möglichkeiten, es bequem zu überwinden, besser werden. Doch noch sind die meisten europäischen Nutzer national orientiert und zahlen am meisten dafür, ihre einheimische Sportline zu sehen. Sollten die Ländersperren ganz wegfallen, würde die Bundesliga darum wohl lieber ganz darauf verzichten, Senderechte ins EU-Ausland zu verkaufen. Und so nationalen Bietern Exklusivität in Deutschland garantieren. Etwa zehn Prozent der Medienerlöse der Liga kommen aus dem Ausland. Betroffen wären am Ende wohl kleine Länder, die kaum mehr Senderechte verkaufen und kaufen könnten.
Ein Gesetz gegen Geoblocking kommt frühestens 2017
Dazu kommt noch das Thema Geoblocking, sprich, die im Internet eingesetzte Technik zur regionalen Sperrung von Internetinhalten durch den Anbieter. Die Technik kommt bei dem urheberrechtlichen Schutz über das Internet verbreiteter digitaler Medien wie Film und Fernsehen (Serien, Fußball) zum Einsatz. Zunächst hatte es den Anschein, Geoblocking werde abgeschafft. Aber der Wind hat sich gedreht im Europaparlament, das nun frühestens 2017 über ein Gesetz abstimmen könnte. Am Donnerstag werden die Abgeordneten eine Resolution mit Empfehlungen an die EU-Kommission verabschieden, für den Erhalt von Territorialprinzip und Gebietslizenzen. Der Forderungskatalog weist nach über 500 Änderungsanträgen einen extremen Unterschied zu dem von Julia Reda auf.
Die Piratin bedauert, dass sie mit ihrem Wunsch nach einen einheitlichen Urheberrechtstitel für Europa gescheitert ist: „Man hätte damit verschiedene Gebietslizenzen vergeben können – bis hin für einzelne bayerische Biergärten.“ Die 28-Jährige freut sich dennoch, dass der Kompromiss ein Ende des Geoblockings verspricht und ein einmal gekaufter Online-Inhalt im EU-Ausland bald sichtbar wird. Vielleicht auch die estnische Liga für Andrus Ansip. Wenn sie überhaupt jemand überträgt.
Update: Mit großer Mehrheit ist das Europaparlament in Straßburg am Donnerstag Befürchtungen der Filmindustrie und der Sportfernsehsender entgegengetreten, die das geplante EU-Urheberrecht als Gefahr sehen. In einer mit 445 zu 65 Stimmen angenommen Resolution fordern die Abgeordneten den Erhalt sogenannter “Gebietslizenzen, die besonders für die Finanzierung audiovisueller Produktionen wichtig sind”. Die CSU-Europaparlamentarierin Angelika Niebler wies auf die Bedeutung des Beschlusses “etwa für Filme oder Übertragungsrechte von Sportveranstaltungen“ hin. Diese Branchen befürchten seit dem Bekanntwerden der ersten Brüsseler Pläne, dass in Zukunft nur noch einen Rechteinhaber für ganz Europa vorgeschrieben werden würde. Veranstalter in kleineren Ländern hatten befürchtet, dann gar keine Käufer mehr für ihre Veranstaltungen zu finden, während in großen Ländern, etwa bei den Vermarktern des Fußball-Bundesliga, befürchtet worden war, die Gewinne würden geschmälert, wenn die Übertragungsrechte nur noch ein und nicht mehr 28 mal verkauft werden könnten. Die Parlamentsresolution ist zwar nicht bindend, doch dürfte die EU-Kommission in ihrem für das Jahresende geplanten Gesetzesvorschlag dennoch Rücksicht darauf nehmen.