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Im Dezember 2011 moderierte Thomas Gottschalk letztmals eine reguläre Ausgabe von „Wetten, dass..?“.
© Koch/dpa

Revival von „Wetten, dass..?“: Showtime für Thomas Gottschalk

„Wetten, dass..?“ - jahrzehntelang war das das Fernsehlagerfeuer schlechthin. Jetzt darf Thomas Gottschalk die ZDF-Show noch einmal moderieren.

Es war einmal, in einem Land vor unserer Zeit, da saßen siebenmal jährlich Abermillionen erwartungsfroher Menschen Punkt 20 Uhr 15 am Samstagabend in ihren Polstergarnituren, aßen überwürzte Speisen und blickten auf Röhrenfernseher, wo erst ein tugendhafter, dann ein impertinenter, zuletzt ein aasiger Mann Gäste von einiger Prominenz begrüßte. Dazu sang meistens Peter Alexander, Iris Berben wettete gegen Bagger, und nach drei Stunden war das größte Lagerfeuer der TV-Republik erloschen. Noch Fragen?

Die Generation Z hätte da einige: Was zum Beispiel sind Röhrenfernseher? Wer bitte ist Peter Alexander? Auf welcher Baustelle arbeitet Iris Berben sonst? Und wofür steht TV – Textverarbeitung, Tera-Volt, die Top-Level-Domain für Tuvalu oder gar Trachtenverein?

Alles richtig. Aber wer sich Fragmente der beerdigten ZDF-Show „Wetten, dass..?“ aus dem Netz fischt, könnte auch Letzteres vermuten. Stolze 22 Jahre lang hatte sie schließlich ein Zeremonienmeister moderiert, dessen Operettenuniform selbst aus der Schulterpolsterepoche hervorstach wie heutzutage Dokumentarfilmformate aus der öffentlich-rechtlichen Primetime.

[„Wetten, dass..?“, Samstag, 20 Uhr 15 im ZDF]

Was er wohl trägt, wenn der „göttliche Bub“, wie ihn Martin Walser unterhaltungsbesoffen nannte, nun an alter Wirkungsstätte auftritt? Weil sein nostalgiebesoffener Hauskanal das (vorgeblich) einmalige Revival des ehemaligen Zugpferds mit „skurrilen Wettideen, großen Maschinen, cleveren Kinder und vielen Stars auf der berühmten Couch“ ankündigt, könnte es geschmacklos werden. Zu dumm, dass Guido Maria Kretschmer offenbar nicht eingeladen wurde, um korrigierend zu intervenieren. Aber der war bei Gottschalks unfallbedingtem Abschied anno 2011 noch fern der Kameras als Kostümbildner tätig und auch beim Scheitern von Tommis Nachfolger Markus Lanz nur ein grelles Privatfernsehlicht unter vielen.

Zum 71. Geburtstag von Thomas Gottschalk begrüßt der blonde Jubilar Privatfernsehlichter von noch hellerer Strahlkraft. Joko & Klaas zum Beispiel, einst als Nachfolger im Gespräch, bevor das Zweite sich mit der dritten Wahl Lanz verkalkulierte. Für Boomer hingegen sind Helene Fischer und Udo Lindenberg in der Nürnberger Messehalle, für deren Kinder die Click-Milliardäre Lisa & Lena, für ihre Großeltern Heino Ferch und der männliche Teil von Abba, namentlich Björn und Benny. Nicht schlecht, aber buchstäblich nur halb so gut wie Agnetha und Anni-Frid.

Bis zu 24 Millionen Zuschauer zu Glanzzeiten

Ganz so gut wie zur Glanzzeit des linearen Fernsehens, als „Wetten, dass..?“ mit „ß“ geschrieben wurde und trotz der ewig gleichen Witze über die ewig gleichen Gäste zum ewig gleichen Rahmenprogramm bis zu 24 Millionen Zuschauer ans Lagerfeuer lockte, wird es daher kaum werden.

Und so quotenstark schon gar nicht, wenn der reaktivierte Dino gegen 30 Konkurrenzkanäle zuzüglich ähnlich vieler Streamingdienste um die Ressource Aufmerksamkeit kämpft. An aufmüpfiger Opposition war das erfolgsverwöhnte Format schließlich schon einmal gescheitert.

An diesem Samstag reaktiviert das ZDF Thomas Gottschalk für ein einmaliges Revival des Show-Klassikers.
An diesem Samstag reaktiviert das ZDF Thomas Gottschalk für ein einmaliges Revival des Show-Klassikers.
© ZDF und Tobias Schult

Weil die kommerziellen Emporkömmlinge dem gebührenfinanzierten Platzhirsch Anfang des neuen Jahrtausends plötzlich Wok-Rennen statt Wiederholungen vor die Nase programmierten, sank sein Zuspruch flugs Richtung Siebenstelligkeit. Als Markus Lanz den schlingernden Kahn des Segelzeitalters vor elf Jahren übernahm, war dessen Untergang demnach längst besiegelt.

Zum Glück, denn so konnte sich der Journalist im Entertainer auf die aktuell relevanteste Talkshow konzentrieren, während sein Vorgänger Antiklederjacken-Formate für gleichaltrige Geschlechtsgenossen moderiert. Wem das alles zu negativ klingt, gar gehässig: gut interpretiert! Trotzdem wohnt dem reanimierten Fossil natürlich ein Zauber der Sehnsucht inne.

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Wenn Baggerfahrer Andi heute baggert und Dartspieler Leon dartet, wenn der minderjährige Emil etwas Volljähriges vollführt und Vico Torrianis Wiedergänger Giovanni Zarrella die Außenwette kommentiert, wenn also alles ein kleines bisschen ist wie früher und früher ja auch nicht alles nur schlecht war – dann dürfen Nostalgiker gern in eine Zeit zurückreisen, als man Hass und Hetze noch faxen, gar äußern musste und in der „Tagesschau“ vor Showbeginn gelegentlich die halbe, aber selten die ganze Welt unterzugehen drohte. TV steht für Television und das wiederum für „fern“ und „sehen“. Also sehen wir uns am Ende des Katastrophenjahrs 2021 für drei gesellige Stunden zurück in ferne Zeiten, als das Leben noch zu bewältigen schien. Wenigstens am Samstag um 20 Uhr 15. Showtime.

Jan Freitag

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