Martin Schulz bei ARD und ZDF: Selbstdarstellung des Kandidaten, Selbstdarstellung der Journalisten
Der neue starke Mann der SPD, Martin Schulz, beim öffentlich-rechtlichen Vorstellungsgespräch: Tennismatch und Tiefenbohrung
Am Sonntag Abend hatte das öffentlich-rechtliche Fernsehen Martin Schulz zum Vorgestellungsgespräch eingeladen. Denn wohl noch nie war von einem ernsthaften Anwärter auf das Amt des Bundeskanzlers so wenig bekannt wie von Schulz, der in Brüssel Karriere machte, jenseits der Dauerbeobachtung der Hauptstadtmedien.
In der Sendung „Was nun, Herr Schulz?“ hatte das ZDF zwei Journalisten aufgeboten, um ihn vor 4,70 Millionen Zuschauern zu interviewen: Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Hauptstadtbüros, und Chefredakteur Peter Frey. Von der doppelten Besetzung wird sich gemeinhin versprochen, den Interviewpartner vor sich herzutreiben. Auch Frey und Schausten befragten Schulz in hohem Tempo. Jeder stellte abwechselnd eine Frage. Schulz, der in ihrer Mitte saß, mussten seinen Kopf hin- und herdrehen, als würde er ein Tennismatch verfolgen. Das Gespräch glich auch mehr einem sportlichen Wettstreit, als dass es einem Aufklärungsinteresse verpflichtet schien. Schausten und Frey gaben sich als wohl informierte Journalisten, die jede Frage oder Anmerkung mit einem kritischen Drall versahen, egal, ob Schulz etwas Sinnvolles darauf antworten konnte oder nicht. „Ihre Kandidatur verdanken Sie einer einsamen Entscheidung Sigmar Gabriels“, so setzte Frey zu Beginn des Interviews den Ton. „Finden Sie das in Ordnung, so einen Alleingang?“ Dabei spielte er auf Zeitungsberichte an, denen zufolge die SPD-Führungsspitze den Alleingang alles andere als in Ordnung fand. Schulz dürften solche Formfragen egal sein vor dem Hintergrund, dass er die Kanzlerkandidatur bekam, die er angeblich unbedingt will. Doch das sagte er so natürlich nicht. Stattdessen lobte er Gabriels Verzicht als „große charakterliche Leistung“. Zum zackigen Interviewstil von Schausten und Frey gehörte, dass sie Schulz fast reflexhaft ausgestoßenen Antworten meist stehen ließen und mit dem nächsten Thema weitermachten. Praktisch für Schulz, der die heikle Frage einfach übergehen konnte, wie er, der sich als derjenige darstellt, der für Gerechtigkeit sorgen will, zur Agenda 2010 steht.
Können Sie Kanzler, Herr Schulz?
Anne Will, bei der Schulz zwei Stunden später in der Sendung „Können Sie Kanzler, Herr Schulz?“ zu Gast war, verfolgte die gegenteilige Gesprächsstrategie. Sie bohrte nach, was ebenfalls nicht besonders erkenntnisreich geriet, denn viele ihrer Fragen waren auch so beschaffen, dass sie eine ehrliche Antwort ausschlossen. Was Schulz antreibe, wollte sie beispielsweise wissen: „Ehrgeiz, Machthunger, Selbstüberschätzung?“ Martin Schulz antwortete weitschweifig: Ein Antrieb sei der Europa-Gedanke, in dem Deutschland ein wichtiger Teil sei. Daraufhin sagte Will mahnend: Die Worte „Ehrgeiz, Selbstüberschätzung, Machthunger“ seien in der Antwort nicht vorgekommen. Das sei doch nicht überraschend, wandte Schulz ein, dass er sich selbst nicht der Selbstüberschätzung bezichtige.
„Wir haben es schwer miteinander heute Abend“, sagte Schulz irgendwann patzig, und man weiß nicht, ob es ein verunglückter Witz war oder ob er die Kritik nicht vertrug - obwohl diese am Sonntag nur der Selbstdarstellung der Journalisten diente.
Auch Schulz verfolgte vor 4,68 Millionen Zuschauern eine Selbstdarstellungsstrategie. Er, das unbeschriebene Blatt, wollte für sich ein Image etablieren, das er für am erfolgversprechendsten hielt: Er stehe für die „hart arbeitende Mitte der Gesellschaft“, die sich „an die Regeln“ halte. Dieses Versatzstück gebrauchte er immer wieder. Er sei ein „Typ mit Gefühl“, der „die Sorgen der Menschen kennt und mit ins Kanzleramt nimmt - das ist neu“. Schulz stellte Siegeswillen aus. Die SPD werde stärkste Partei. Dann müssten sich die anderen in den Koalitionsverhandlungen an den Sozialdemokraten orientieren. Die Verzagtheit, die der SPD oft vorgeworfen wird, hat Schulz am Sonntag Abend fast überkompensiert.