Debatte um Honorare von Fußballexperten: Schon Delling und Netzer erhielten Millionen-Beträge
Bereits lange vor Mehmet Scholl und Oliver Kahn haben die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Fußballexperten fürstlich entlohnt.
Catenaccio ist ein Spielsystem im Fußball. Getreu dem italienischen Wort „Türriegel“ steht es für sehr defensiven, ja destruktiven Fußball. Populär war das System nie, erfolgreich war es schon.
ARD und ZDF halten dem Catenaccio die Treue. Die Honorare für ihre Fußballexperten sollen für immer und ewig Sendergeheimnis bleiben. Aber wie das so ist mit dem Catenaccio: Zuweilen kommt doch ein Stürmer durch und wuchtet den Ball in die Maschen. Der Branchendienst kress.de lässt bei den Experten-Honoraren nicht locker. Bei den aktuellen Experten Mehmet Scholl (ARD) und Oliver Kahn (ZDF) standen die Rechercheure allerdings im Abseits, als sie für Scholl ein Jahressalär von etwa 1,6 Millionen Euro und bei Kahn ein siebenstelliges Jahreshonorar behaupteten. Die Zahlen waren deutlich zu hoch gegriffen – was ARD und ZDF die Abwehrarbeit deutlich erleichterte.
Am Donnerstag aber legte kress.de nach. Danach hat Günter Netzer als Fußballexperte zwischen 2007 und 2010 von der ARD Honorare von insgesamt 3,85 Millionen Euro erhalten. Das Medienmagazin bezieht sich dabei auf einen vertraulichen Bericht des Landesrechnungshofes in Rheinland-Pfalz. Netzers Sidekick, der NDR-Journalist Gerhard Delling, soll im gleichen Zeitraum 2,36 Millionen Euro bekommen haben. Damit ist klar, dass auch die Fragesteller im Duo – heute Matthias Opdenhövel für Scholl und ein Oliver Welke für Oliver Kahn im Zweiten – sehr anständig entlohnt werden. Das funktioniert, weil die Sidekicks wie die Experten für die Sender auf Vertragsbasis arbeiten. Matthias Opdenhövel wird vom WDR als freier Mitarbeiter beschäftigt, wenn er zusammen mit Mehmet Scholl Fußballspiele im Ersten analysiert; insofern werden die Honorare zwischen Sender und Opdenhövel in unbekannter, ungenannter Höhe ausgehandelt.
Bei Gerhard Delling verhielt und verhält sich das so: Gerhard Delling hat von 1997 bis 2012 als Fußball-Experte für die ARD gearbeitet, erst mit Günter Netzer, dann mit Mehmet Scholl. In dieser Zeit und bis 2014 hat NDR-Sportjournalist Delling bei seinem Sender unbezahlten Urlaub genommen, um auf freier Honorarbasis als Fußballexperte für die ARD zu arbeiten. Seit 2014 ist Delling freier Mitarbeiter des NDR, was heißt, dass er sein Rückkehrrecht aufgegeben hat. Zwischen März 2003 und Dezember 2006 war er nach NDR-Angaben laut NDR Leiter des Programmbereichs Sport im NDR. "In dieser Zeit hat Herr Delling dem NDR aus einer personellen Notlage geholfen und stand dem Sender ohne zusätzliches Honorar als Programmbereichsleiter zur Verfügung", sagte NDR-Sprecher Martin Gartzke.
ARD-Koordinator lobpreist Günter Netzer
Zum Netzer-Honorar sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky dem Tagesspiegel: „Bei Mehmet Scholl lagen die Autoren sehr daneben. Wir haben uns danach geschworen, solche Zahlen nicht mehr zu kommentieren. Günter Netzer hat für die ARD über viele Jahre einen Riesenjob gemacht und war ein exzellenter Begleiter, der viele Preise gewonnen hat. Er war von den Zuschauern hoch akzeptiert, und das ist für uns am Ende das Allerwichtigste.“
Das „Allerwichtigste“ für den Sportkoordinator muss nicht das Allerwichtigste für den Beitragszahler sein. Er will Transparenz über die öffentlich-rechtliche Ausgabenpolitik haben, dabei ist er nicht allein. Der SWR-Justiziar Hermann Eicher forderte im Tagesspiegel-Interview ebenfalls das Offenlegen der Honorare. In der ARD gibt es erkennbar eine Bewegung hin zu weiterer Transparenz, aber diese Bewegung ist noch nicht mächtig genug.
Die Wahrheit kommt nur stückchenweise ans Licht. Günter Netzer hat von 1997 bis 2010 als weithin respektierter ARD-Experte gearbeitet, die jetzt bekannt gewordenen Zahlen betreffen nur die letzten vier Jahre. Was davor gezahlt wurde, bleibt (noch) im Dunkeln.
Scholl bekommt weniger als Netzer
Ob sich sein Nachfolger Mehmet Scholl die Augen reibt? Der frühere Nationalspieler bekommt weniger als sein Vorgänger. Balkausky dazu: „Einheitspreise gibt es in dieser Welt nur in ganz wenigen Bereichen. Und die hat und wird es bei Protagonistinnen und Protagonisten im Fernsehen nie geben.“
Wahr daran ist, dass Mehmet Scholl ein erfolgreicher Fußballer war; wahr ist auch, dass Günter Netzer als Fußballer noch erfolgreicher war – und er war mehr als ein Fußballer. Er war das Idol einer Generation, mit seinem extravaganten Lebensstil, mit seinen Freiheiten auf und außerhalb des Spielfeldes war er, was in den 70er Jahren in der Bundesrepublik sehr selten war: ein Individualist. Was auch seine Expertisen für die ARD auszeichnete.
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