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Inkontinent? Der damalige Papst Benedikt XVI. klagte mit Erfolg gegen die Darstellung auf Titel- und Rückseite der "Titanic"
© promo

Was die Rechtsprechung sagt: Satire darf nicht alles

Was in der Debatte um "Charlie Hebdo" übersehen wird: Die Kommunikationsfreiheit muss hinter dem Schutz des Individuums vor Diffamierung zurücktreten. Ein Gastkommentar.

Nach den furchtbaren Ereignissen in Paris heißt es wieder allerorten „Satire darf alles“. In Leitartikeln, Kolumnen, in TV-Beiträgen und auch in Demonstrationen auf der Straße hat sich diese Zeile sicherlich aus nachvollziehbarer Solidarität mit den Opfern wie ein Claim neben „Je suis Charlie“ verselbstständigt. Ein Wort von Kurt Tucholsky, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch promovierter Jurist war, hat insofern eine neue Renaissance erfahren.
Aber darf Satire alles? Hatte und hat Kurt Tucholsky recht, dessen ebenso bekannter Ausspruch „Soldaten sind Mörder“ zuletzt Mitte der 1990er Jahre vom Bundesverfassungsgericht als zulässige Meinungsäußerung bewertet wurde? Ein Blick in die Rechtsprechung ergibt, dass die klare Antwort „Nein“ lauten muss. Sowohl in der Weimarer Republik als auch in der neuen wie alten Bundesrepublik haben Gerichte immer wieder bestimmte Grafiken, Fotomontagen oder auch Formulierungen, die unter dem Label „Satire“ liefen, wegen der Verletzung der Menschenwürde einzelner Personen, mitunter aber auch wegen der Verletzung religiöser Gefühle, gerichtlich untersagt. Zwar wurde dann nicht selten das Wort „Zensur“ laut, meist aber in Unkenntnis dessen, dass das im Grundgesetz in Artikel 5 verankerte Zensurverbot „Eine Zensur findet nicht statt“ sich bewusst auf die sogenannte Vorzensur durch staatliche Stellen beschränkt, nicht aber nachträglich Sanktionen durch Gerichte erfasst, bei denen eine Abwägung zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit auf der einen und der Menschenwürde auf der andere Seite zum Ergebnis führt, dass die Kommunikationsfreiheit hinter dem Schutz des Individuums vor Diffamierung zurücktreten muss.

Die Diskussion um Satire und Meinungsfreiheit wird gerade zuletzt im Zusammenhang mit dem Abdruck von Mohammed-Karikaturen nicht selten sehr aufgeheizt geführt: So brandmarkte der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlages, Mathias Döpfner, die von der „New York Times“ im Artikel „Charlie Hebdo und die Meinungsfreiheit“ erfolgte Erklärung, keine Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo abdrucken zu wollen, sofort als eine „offizielle Bankrotterklärung, die finale Unterwerfung der Pressefreiheit gegenüber der terroristischen Gewalt“. Nun rufen die Oberen des Springer-Verlages nicht nur in derartigen Fällen, sondern auch wenn deutsche Gerichte ihnen die Berichterstattung über Krankheiten von Prominenten untersagen, sofort nach der Pressefreiheit.

Wim Wenders findet Provokationen durch Karikaturen mies

Zudem gibt es auch leisere und differenziertere Stimmen zum Thema. Etwa sagte der gerade mit dem „Goldenen Bären“ für sein Lebenswerk ausgezeichnete Regisseur und Weltbürger Wim Wenders dieser Zeitung auf die Frage, warum er generell gegen religiöse Karikaturen sei, dass er Provokationen durch solche Karikaturen oft ziemlich billig fände, um nicht zu sagen mies. Woran man glaube, habe damit zu tun, wer man sei und deshalb gehe es bei vielen Menschen an die tiefste Substanz, wenn das ins Lächerliche gezogen werde. Insofern ist die Entscheidung der „New York Times“ letztlich nichts anderes als eine Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte.

Deren Chefredakteur Dean Baquet erklärte im „Spiegel“ seine Entscheidung durchaus nachvollziehbar. „So sehr ich es liebe, Solidarität zu zeigen: … Meine erste Aufgabe ist, den Lesern zu dienen und ein großer Teil unserer Leser sind Menschen, die sich durch Satire über den Propheten Mohammed beleidigt fühlen würden. Dieser Leser, um den ich mich kümmere, ist kein IS-Anhänger, sondern lebt in Brooklyn, hat Familie und ist streng gläubig. Entscheidend war für mich auch die Frage, ob wir ähnliche Cartoons über andere Religionen abdrucken würden. Das würden wir nicht.“

Gerade ein Blick auf deutsche Satire-Fälle, in denen es um die Kirche, den Papst oder das Kruzifix ging, macht diesen Punkt aufgreifend deutlich, dass auch in Deutschland in diesem Kontext sehr schnell religiöse Gefühle durch bestimmte Gestaltungen verletzt worden sind und eben auch nicht selten Gerichte das dann untersagt haben in Abwägung zwischen Pressefreiheit und anderen ebenso schützenswerten Gütern.

Wenn der "Streisand-Effekt" eintritt

Als Papst Benedikt XVI. gerichtlich der „Titanic“ eine Fotomontage zur Vatileaks-Affäre untersagte, die den Papst mit der Überschrift „Halleluja Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden“, auf der Titelseite mit einem Urin- und auf der Rückseite mit einem Kotfleck abbildete, kommentierte etwa Lucas Wiegelmann in der „Welt“, dass diejenigen, die hierin einen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit sähen, „die religiösen Gefühle von Katholiken ignorierten“. So sei es vielen Christen nicht egal, wenn ihre Religion ins Lächerliche gezogen werde. Deshalb bedeute Aufklärung und Meinungsfreiheit nicht, dass kirchliche Würdenträger moralisch dazu verpflichtet seien, Schmähungen und Verhöhnungen über sich ergehen zu lassen. Tatsächlich hatte Papst Benedikt erfolgreich vor dem Landgericht Hamburg per einstweiliger Verfügung die Gestaltung des „Titanic“-Covers untersagen lassen. Die Entscheidung war im Ergebnis auch richtig, wenngleich sie nicht auf die Verletzung religiöser Gefühle gestützt war, sondern auf die Persönlichkeitsrechte des Papstes. Die Gestaltung von Titel und Rückseite des Magazins verletzten eindeutig die Menschenwürde des Papstes.

Der Umstand, dass es eine Vatileaks-Affäre gab, also geheime Dinge aus dem Vatikan nach außen gedrungen waren, rechtfertigte auch nach Auffassung des Autors in keiner Weise, ihn als inkontinent darzustellen. Durch den Prozess war indes der sogenannte „Streisand-Effekt“ eingetreten. Die „Titanic“ nutzte die gerichtlichen Schritte des Papstes, um einen riesigen Wirbel aus der Sache zu machen und so selbst für sich zu werben. Das führte dazu, dass der Papst, obwohl er im Recht war und eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte, seinen Antrag zurücknahm. Aber bereits dieser Fall aus jüngster Vergangenheit macht deutlich, dass Satire nicht alles darf und die Gerichte, etwa bei der Verletzung von Menschenwürde, auch der Satire Grenzen setzen und setzen müssen.

Der Fall George Grosz

In die Rechts- wie in die Kunstgeschichte ein ging auch der so genannte George-Grosz-Fall aus den Ende der 1920er Jahre der Weimarer Republik. George Grosz musste sich in dem so genannten „Gotteslästerungsprozess“ wegen einer Zeichnung verantworten, die Christus am Kreuz mit Gasmaske und Soldatenstiefeln, in der linken erhobenen Hand ein Kreuz haltend, zeigte, unter der Überschrift „Maul halten und weiter dienen“. Der damalige Gotteslästerungsparagraf 166 StGB untersagte, in öffentlich beschimpfenden Äußerungen Gott zu lästern oder öffentlich eine der christlichen Kirchen zu beschimpfen. Das Landgericht sprach Grosz frei. Das Argument, Grosz habe mit dem Werk primär künstlerische, satirische Zwecke verfolgt, erkannte jedoch das Reichsgericht nicht an, da das Gemälde beim Betrachter jedenfalls eine gotteslästerliche Deutung nicht ganz ausschließe, beließ es bei dem Freispruch, ordnete aber die Unbrauchbarmachung der Grafik und Druckplatten an.

Letzteres würde heute sicherlich anders ausgehen, die Kunstfreiheit überwiegen, insbesondere da der Gotteslästerungsparagraf abgeschafft wurde und durch das heutige, nach wie vor aber umstrittene Blasphemieverbot des Paragrafen 166 StGB abgelöst wurde. Danach steht es nach wie vor unter Strafe, öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer, in einer Weise zu beschimpfen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Diese Vorschrift wird aktuell allerdings äußert restriktiv angewendet. Allerdings ist Paragraf 166 StGB nach wie vor auch als Begrenzung der Kunstfreiheit anerkannt. Verletzt eine künstlerische Betätigung dieses Toleranzgebot wegen ihres beschimpfenden Charakters in besonders schwerwiegender Weise und wird damit auch der öffentliche Frieden gestört, etwa durch Entladung von Gewalt und Gegengewalt, kann sie im Einzelfall nicht mehr von der Kunstfreiheit gedeckt sein.

Bundesverfassungsgericht verbot Strauß-Karikaturen

Doch auch jenseits der Fälle, die sich mit künstlerischen Darstellungen auseinandersetzen mussten, die sich auf Religion bezogen, wurden immer wieder durch deutsche Gerichte, zumeist wegen der Verletzung der Persönlichkeitsrechte der dargestellten Personen, satirische Darstellungen untersagt: Beispielhaft für die politische Satire sei etwa der Fall der Strauß-Karikaturen erwähnt. Das Bundesverfassungsgericht verbot ein Jahr vor dem Tod des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten zahlreiche Karikaturen des Zeichners Hachfeld für das Magazin „Konkret“, in denen Strauß als kopulierendes Schwein dargestellt wurde.

Bekannt wurde auch der gerichtlich ausgetragene Fall „Barschel Engholm“. Hier untersagte das Oberlandesgericht Hamburg der „Titanic“ 1993 eine Fotomontage, die Björn Engholms Kopf in die bekannte Badewannenfotografie des toten Uwe Barschels mit der Textzeile einkopiert hatte „Sehr komisch, Herr Engholm.“ Das Oberlandesgericht Hamburg sah darin eine Björn Enholm schwer beeinträchtigende Persönlichkeitsrechtsverletzung.

Auch ein anderer Fall verdient Erwähnung: Es ging um eine Fotomontage, die den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG Ron Sommer auf einem von Rissen durchzogenen bröckelnden T sitzend darstellte. Der Kopf von Sommer war hierbei verändert worden, obwohl man ihn weiterhin gut erkennen konnte. Trotz des satirischen Gehalts der Darstellung erkannte das Bundesverfassungsgericht hierin eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Sommer habe ein Recht darauf, dass ein fotografisch erstelltes Abbild nicht manipulativ entstellt wird. Die Fotos suggerierten, so das Bundesverfassungsgericht weiter, Authentizität, sodass das Abbild des Kopfes durch die Manipulation eine unrichtige Aussage über das Aussehen des Dargestellten erhalte, die durch den Zweck der Satire nicht gerechtfertigt würde.

Grundsatz „in dubio pro libertate“

Nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate“ gab es über die Jahre jedoch sicherlich mehr Gerichtsentscheidungen pro Satire. So hielten Bundesgerichtshof wie Bundesverfassungsgericht ein Greenpeace-Plakat, auf dem zwei Vorstandsmitglieder aus der Chemieindustrie fotografisch abgebildet waren und auf dem es hieß: „Alle reden vom Klima. Wir ruinieren es …“ für zulässig. Beide Gerichte waren der Ansicht, dass die Grenzen der Satire nicht überschritten seien, da im politischen Meinungskampf, zumal bei bedeutsamen Themen, „auch starke Formulierungen hinzunehmen“ seien.

So habe im Greenpeace-Fall nicht die Herabsetzung der Person, sondern die Auseinandersetzung mit der Sache im Vordergrund gestanden. Und das ist die Richtschnur bei Satire-Fällen in Deutschland: Die Satire erfährt da ihre Grenze, wenn es bei einer Äußerung oder Zeichnung vorrangig um die persönliche Diffamierung des anderen geht und nicht mehr um eine, wenn auch polemische oder überspitzte Kritik, mithin dann, wenn die Menschenwürde betroffen ist, die bekanntermaßen unantastbar ist. Eines steht damit aber ebenso fest: Satire darf nicht alles.

Christian Schertz ist Medienanwalt und lehrt als Honorarprofessor für Medien- und Persönlichkeitsrecht an der TU Dresden. Zudem unterrichtet er an der HU Berlin „Strategische Rechtskommunikation“. Die Kanzlei Schertz Bergmann berät unter anderem den Tagesspiegel rechtlich.

Christian Schertz

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