November 1918 im Fernsehen: Revolution auf allen Ebenen
Zwei Dokudramen beleuchten im Fernsehen den November 1918 aus Sicht der Kieler Matrosen, des Kaiserpaars und der SPD.
Revolution in Deutschland: Fräulein Helene ist bei Konditormeister Kaiser in Ungnade gefallen, denn sie hat seine schönen Tischdecken in rote Fahnen verwandelt. Als sie gefeuert wird, feuert sie mit einem Sahneteilchen beherzt zurück und zieht hoch erhobenen Hauptes von dannen. Helene, kurz Leni, ist die selbstbewusste Verlobte von Karl Artelt, einem der Anführer des Kieler Matrosen-Aufstands, und sowohl Karl als auch den Aufstand hat es wirklich gegeben, nur Leni nicht. Die junge Frau, die die Revolutionäre mit wichtigen Informationen versorgt, auch mal tatkräftig bei der Überwältigung eines Wachtpostens hilft und ihren Karl liebevoll mit Backwaren füttert, ist in „1918 – Aufstand der Matrosen“ (Arte, Dienstag) revolutions-romantische Fiktion.
Im Gegensatz natürlich zu Auguste Viktoria, der „schutzlos ausgelieferten“ Kaisergattin, wie es gleich zu Beginn des Films „Kaisersturz“ (ZDF, Mittwoch) sorgenvoll heißt. Denn da verschafft sich in Potsdam ein Trupp Revolutionäre Zugang zum Neuen Palais. Ein Soldat mit Schrammen im Gesicht und einer roten Armbinde an der Uniform tritt vor die entgeisterte Kaiserin, die mit Tränen in den Augen fragt: „Sie wünschen?“ Der Spannung halber wird die Antwort erst am Ende geliefert. Während Henriette Confurius als Matrosenbraut Leni nach all den zermürbenden Kriegsjahren viel zu rosig-frisch und ihre Figur auch sehr konstruiert wirkt, ist das minimalistische und zugleich ausdrucksstarke Spiel von Sunnyi Melles als standes- und machtbewusste Gattin an der Seite Kaiser Wilhelms (Sylvester Groth) alles andere als steif und plump.
Historisches nur noch als Dokudrama?
Sage also niemand, diese Form des leicht verdaulichen Geschichtsfernsehens hätte keinen Unterhaltungswert. Dennoch erscheint es bedenklich, dass es Historisches, und sei der Anlass noch so epochal, in die Fernseh-Primetime nur noch als „Dokudrama“ schafft – mit Betonung auf „Drama“. Das bestätigt sich auch 100 Jahre nach dem bewegten November 1918, in dem im kriegsmüden Deutschland die Monarchie endete und der Kampf um die Gestaltung einer neuen Zeit begann. Insbesondere im Fall von „Kaisersturz“ bleibt der dokumentarische Anteil und damit die zweite, einordnende und hinterfragende, Ebene auf ein Mindestmaß beschränkt. Immerhin widmen sich die beiden Dokudramen aus verschiedenen Perspektiven den Ereignissen und können sich somit ergänzen: Arte erinnert am Dienstag mit der dort zuerst ausgestrahlten NDR-Produktion an die im Westen weniger bekannten Anfänge der Revolution in Kiel, das ZDF erzählt von den politischen Verhandlungen und Intrigen in den letzten Tagen Wilhelms II. als deutschem Kaiser.
„Kaisersturz“-Regisseur Christoph Röhl drehte an Originalschauplätzen wie dem Kasseler Schloss Wilhelmshöhe und dem Potsdamer Neuen Palais. Opulent sind also nicht nur die Schnurrbärte und Uniformen, sondern auch die wuchtigen Kulissen. Der Anspruch war, sich „möglichst genau an die historischen Begebenheiten zu halten“ (Röhl). Die Inszenierung scheint freilich unter der Last des Anspruchs zu leiden. Bei allem Respekt etwa für das nuancierte Spiel auch von Sylvester Groth als verstocktem, realitätsfremdem Herrscher – wirklich in Fluss kommt dieses wilhelminisch kostümierte Kammerspiel nicht.
Der historische Ansatz führt außerdem zu einer Schieflage: Die Militärs haben zwar erheblichen Einfluss auf das Geschehen, aber in der Inszenierung bleiben die Generäle Hindenburg und Ludendorff nur Randfiguren, die ein wenig in der Kulisse herumstehen. Besonders schlecht kommt Prinz Max von Baden (Hubertus Hartmann) weg. Historiker Lothar Machtan, der Co-Autor und Fachberater der ZDF-Produktion war, hatte vor fünf Jahren eine Biografie über ihn geschrieben, die in den Feuilletons als „glänzend“ („Die Zeit“) und „fair“ („Die Welt“) gelobt wurde. Davon ist im Fernsehen nicht viel übrig geblieben. Der letzte Reichskanzler der Monarchie wird hier als schlapper Trottel vorgeführt, dem politisches Gespür völlig fehlt. Besonders problematisch ist, dass seine Homosexualität in direkten Kontext mit seiner Entscheidungsschwäche gestellt wird.
Gemeinsam haben die Filme, dass sie die Rolle der führenden Sozialdemokraten, die den Linken bis heute als Revolutions-Verräter gelten, in den Mittelpunkt rücken. Christian Redl spielt im ZDF den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert, der den Kaiserthron als „Halt für das Volk“ sah und eine Revolution wie in Russland zu verhindern suchte. Ebert handelt im Gegenzug für die Unterstützung von Max von Baden eine Regierungsbeteiligung der SPD aus.
In Jens Beckers Film über den Matrosen-Aufstand in Kiel setzt sich der SPD-Abgeordnete Gustav Noske (Rainer Reiners) an die Spitze der Bewegung, um sie gleichzeitig in gemäßigte Bahnen zu lenken. Die Matrosen schickt er mit seinem ersten Befehl als neuer Gouverneur in Urlaub. Das dämmt den Aufstand in Kiel ein, zugleich wird mit den heimkehrenden Matrosen auch das Aufbegehren ins gesamte Land getragen.
Die Fliehkräfte lassen sich nicht einfangen
Die Inszenierung ist zwar ebenfalls überfordert, wenn es gilt, die gewaltigen Fliehkräfte jener Zeit in packenden Spielszenen zum Ausdruck zu bringen. Doch immerhin bietet Autor und Regisseur Becker einen umfassenderen Blick auf die Verhältnisse als das ZDF. Und dass Geschichte unterschiedlich gedeutet werden kann, zeigen die Interviews mit Björn Engholm (SPD), Sahra Wagenknecht (Die Linke) und Flottillenadmiral Kay-Achim Schönbach.
„1918 – Aufstand der Matrosen“; Arte, Dienstag, 20 Uhr 15; „Kaisersturz“; ZDF, Mittwoch, 20 Uhr 15