ARD-Vorabend: Rettet „Verbotene Liebe“
Am Montag beginnt am ARD-Vorabend das "Quizduell". Die ARD-Seifenoper "Verbotene Liebe" muss pausieren – vielleicht für immer. Warum das nicht geschehen darf.
Es gibt zwei Wege, mit seiner Sucht umzugehen. Man kann sie sich schönreden oder sie bekämpfen.
Ich hätte gute Gründe für Letzteres. Immerhin ist „Verbotene Liebe“ nun schon seit 18 Jahren mein Sedativum. Mit zitternden Fingern griff ich seit meinem zehnten Lebensjahr zur Fernbedienung wie andere zur Flasche Korn – montags bis freitags ab 17 Uhr 50 – heute schlafe ich mit dem Laptop und der Mediathek ein. Wie jede gute Droge ist mir die ARD-Soap vertraut, ich kann mich auf sie verlassen. Ansgar von Lahnstein, beispielsweise, den Serienfiesling, kenne ich länger als meine besten Freunde.
Nun ersetzt die ARD ab heute Abend meine Droge durch Jörg Pilawas „Quizduell“, die Sendung zur App. Angeblich nur für drei Wochen. Es gibt aber Gerüchte, wonach „Verbotene Liebe“ (VL) nie wiederkehren wird. Einige VL-Fans schlagen bereits den Pilawa-Boykott vor.
Einst schauten sich fast drei Millionen Süchtige die Intrigen und Seitensprünge im Milieu der Düsseldorfer High Society an. Elke Heidenreich gestand ihre verbotene Liebe zur Verbotenen Liebe, verglich die Serie mit dem Ring des Nibelungen, mit Familiensagas von Thomas Mann bis Tolstoi. Der „Stern“ sprach von der „Chanelseife unter den Soaps“. 2005 erhielt „Verbotene Liebe“ in Luzern die Goldene Rose als beste Seifenoper weltweit. Inzwischen sind es nur noch leicht über eine Million Zuschauer. Die ARD führt das auf die veränderte Konkurrenzsituation im Vorabendprogramm zurück.
18 Jahre "Verbotene Liebe". Was für eine Verschwendung.
Das kann ich nicht nachvollziehen, obwohl es an der Zeit wäre. 18 Jahre, was für eine Verschwendung! 2430 Stunden, also 100 Tage meines Lebens, in denen ich Uhus hätte retten können, Chinesisch lernen oder Einradfahren. Ich habe vor Freunden Ausreden erfunden, um diese tägliche Verabredung wahrnehmen zu können. Ich habe schlimme Auslandssemester verbracht, ohne deutsches Fernsehen, schlaflos, die Handlung hat mir meine Schwester am Telefon nacherzählt. Ich habe – da ich etwas später eingestiegen bin, die Serie läuft seit 1995 – fast 4500 Folgen gesehen, fast 7800 Filmküsse, etwa 36 Traumhochzeiten, 15 Scheidungen, einige Geburten. Fast 1000 Kilo Schminke wurden für mich aufgetragen. Ich habe Mord und Lust auf drei Schlössern miterlebt. Ich war dabei als sich, angelehnt an die australische Serie „Sons and daughters“ Jan und Julia liebten, ohne zu wissen, dass sie Zwillinge sind. Ich war erschrocken, als Tristan von Lahnstein beinahe seine Zwillingsschwester Helena vergewaltigte. Ich habe gern beobachtet, wie ein Sohn seinem Vater auf einem Kreuzfahrtschiff die Frau ausspannt und das Tropenhaus des Kölner Zoos eine einsame Insel darstellt.
18 Jahre habe ich schlechten Schauspielern zugeschaut, wie sie behaupteten, die Serie als Sprungbrett zu nutzen und dann doch ewig blieben. 18 Jahre habe ich den peinlichsten Titelsong im deutschen Fernsehen mitgesungen. Ich habe geflucht, wenn WM-Spiele und Skispringen meine tägliche Dosis verhinderten. Wahre Tiefpunkte habe ich überstanden: als „ Marienhof“ eingestellt wurde. Als „Verbotene Liebe“ spontan doppelte Länge senden musste, zeigte die ARD statt neuer Beziehungskrisen sekundenlang Standbilder der Düsseldorfer Innenstadt: ohne Ton, ohne musikalische Untermalung. Ich habe nicht gezählt, wie oft die von Lahnsteins predigten, dass es „um die Familie geht“.
Aber das ist doch kein Grund, einfach aufzuhören. Ausgerechnet jetzt, wo Hagen von Lahnstein, der verschollen geglaubte Pferdenarr, bärtig von seiner Zeit auf dieser einsamen Insel zurückkehrt. Ausgerechnet jetzt, wo der Artdirector des Modeimperiums „LCL“ querschnittsgelähmt wurde und der Schwester seiner Freundin seine Liebe gesteht. Ausgerechnet jetzt, wo der zu früh geborene Lahnstein-Erbe um sein Leben kämpft. Und ausgerechnet jetzt, wo mein böser Ansgar nach einer Prügelei mit seinem Cousin einen Abhang hinabgestürzt ist.
Niemand weiß, wie "Verbotene Liebe" zurückkehrt
Am 2. Juni kehren Ansgar und die anderen zurück, verspricht die ARD, für wie lange und auf welchem Sendeplatz lässt sie unklar. Bis dahin können Ungeduldige im Internet Kontakt halten – jeden Abend senden Grafen, Gräfinnen und Personal aus der Schlossküche dreiminütige Episoden: „die längste Nacht von Königsbrunn“. Angeblich sollen sogar Tote zu diesem Anlass (Konrad Krauss als Arno Brandner) wiederauferstehen. Aber ist das ein Ersatz?
Bei „Marienhof“ gab es Klempner und Kassierer, bei „Unter Uns“ treffen sich alle im Innenhof oder in der Bäckerei. Natürlich kommen auch hier ein Bauarbeiter, eine Kneipe und eine Försterfamilie vor. Aber immer verliebt sich einer in einen vom Schloss, arbeitet für die Adelsfamilie oder bekommt ein uneheliches Kind von einem der Grafen. Abends will ich nichts über Putzpläne in der WG und Geldsorgen einer alleinerziehenden Mutter wissen.
Abends will ich Größenwahn. Ich will Firmenzahlen der „Holding“ der Familie von Lahnstein in Milliardenhöhe, ich will Rennpferde im Gestüt sterben sehen, ich will einen Grafen, der aus Eifersucht echte Van Goghs zersticht und einen Butler, der Karate und Hypnose kann. Ich will Anwälte, die jeden Mordverdächtigen aus dem Gefängnis holen und Dialoge wie diesen: Carla zu ihrem Bruder Ansgar, dem augenrollenden Intriganten mit Guttenberg-Frisur, der ihr seltsam hilfsbereit erscheint: „Ich möchte wissen, woher dein neuer Charakterzug kommt.“ Ansgar: „Letzte Nacht ist mir Gandhi im Traum erschienen. Oder war’s Mutter Teresa? Irgendjemand in Lumpen.“
Ich will möglichst wenig echtes Leben. Nichts ist beruhigender als zu wissen, dass meine Probleme kleiner sind. Also lasst mir meine Sucht!
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