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Preisfrage. Welche Partei ist für diesen TV-Wahlwerbe-Spots zur Europawahl verantwortlich?
© Tsp

Wahlwerbespots im Fernsehen: Rette mich!

Zwischen Hollywoodstars, Bio-Tech und Seenothilfe: Was die Wahlwerbespots über die Parteien verraten.

Ein Fernsehabend in der vergangenen Woche. Abspann des ZDF-Films. Ein Parteien-Spot zur Europawahl wird angekündigt. Ein Mann und eine Frau sitzen mit einem Typen, der aussieht wie Pirat der Karibik, im Büro und reden über Tierrechte, Massentierhaltung, Klimawandel etc. Plötzlich geht die Tür auf, da steht – Johnny Depp, mit Hund im Arm. „Wählen Sie Partei für Tiere!“ Aus. „heute-journal“-Fanfare. Später am Abend gibt es noch schnell geschnittene Sequenzen, die die Gefahr von Multikulti beschwören (Partei „Der III.Weg“), besorgte ältere Bürger auf der Straße (Die Grauen), Exkurse in ökologische Landwirtschaft (Die Violetten) und zu später Letzt, auf einem anderen Sender, überrascht die Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede als Kulisse, vor der „Die Rechte“ demonstriert, weil dort Deutschlands bekannteste Dissidentin sitzt und eine Haftstrafe wegen Meinungsäußerung verbüßt.

...und für diesen?
...und für diesen?
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Was man derzeit allabendlich so Schreckliches und Schönes sieht und erfährt, in jenen 90 Sekunden Wahlwerbung, die ARD/ZDF zwischen Tagesschau, Primetime-Film, „heute-journal“ und Sendeschluss senden. Senden müssen. Es gibt kein Entkommen. Manchmal hat man dabei Fluchtimpulse, wie früher, wenn Herr Kaiser in der TV-Werbung kam, manchmal bleibt man einfach vorm Fernseher sitzen und staunt, wie die Parteien versuchen, in anderthalb Minuten einen Bezug zu Lebenswirklichkeiten herzustellen und jede emotionale Möglichkeit zu nutzen.

Daraus ist zu Hause vorm Fernseher ein Spiel geworden: Wer zuerst errät, welche Partei gedreht hat. Eine heile Familie, dann Wutbürger auf der Straße? Ist das Werbung der Linken, Grünen, AfD, gar NPD? Im Prinzip austauschbar (die Fotos auf der Seite stammen aus Videos von SPD, CDU, Partei der Tiere)– da gilt oft das, was bei Youtube unterm SPD-Spot zu lesen ist: „Toll, was sagt das nun aus? Mehr als emotional klingende Musik und irgendwelchen Leute die ,Ich bin Europa’ sagen seh ich nicht.“

...und für diesen Spot?
...und für diesen Spot?
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Es ist leicht, die Spots nervig oder albern zu finden. Interessant sind auch die Muster und Konzepte, die dahinter stehen. Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim hält die Bandbreite der Qualität bei der Europawahl für riesig: „von absolut professionell gestalteten Spots etwa der CDU oder der Grünen, über die eher traditionelle Machart bei SPD und Linken, bis hin zu skurriler Amateurhaftigkeit bei Kleinstparteien.“ Auffällig seien Text-Bild-Musik-Scheren.

Musikalische Untermalung liege oft daneben. Sie reiche von satten Beats, die an „The-Fast-and-the-Furious“-Filme erinnern, bis zu Romantik-Schnulzen aus den 50er Jahren. Rechts-extreme, rechts-populistische, links-extreme und links-populistische Parteien und Wählervereinigungen würden meist auf eine bedrohlich wirkende Atmosphäre setzen. „Düstere Bilder und schwere Musik sollen negative Emotionen auslösen, und die jeweilige Partei spielt sich als ,Retter in der Gefahr’ auf.“ CDU und SPD betreiben eher einen Leistungsbilanz-Wahlkampf.

Das grenze an Real-Satire

„Die Errungenschaften der europäischen Einigung werden durch Kontraste, Nachkriegsbilder aus den 40er und 50er Jahren versus aktuelle Wohlstands-Bilder, in den Mittelpunkt gerückt, bevor der Blick in die Zukunft geht, visualisiert durch Bio-Tech, KI, Robotik. Es sollen positive Emotionen zudem durch den Einsatz von Kindern erzeugt werden.“

Die Grünen wiederum würden durch ungewöhnliche Bilder, sich öffnende Blüten im Großformat hohe Aufmerksamkeit und gute Wiedererkennbarkeit schaffen. Hohen Unterhaltungswert hätten die Spots der Kleinstparteien. Das grenze an Real-Satire. Biedere Machart, schlechte Betonungen, langweilige Kameraperspektiven, das erinnere an filmische Hausmannskost aus den 70er und 80er Jahren.

Das mit den Kleinstparteien ist natürlich nicht nur spaßig. Für die NPD, die es nie zu „Anne Will“ schafft, sind die Europawahlen samt rundfunkstaatsvertraglicher Sendeverpflichtung wieder die Gelegenheit, von einem Millionenpublikum wahrgenommen zu werden. Das schafft Arbeit für Gerichte. Die ARD muss nach einer Niederlage vorm Bundesverfassungsgericht in der vergangenen Woche einen NPD-TV-Spot ausstrahlen. Es ergebe sich „nicht mit hinreichender Gewissheit“, dass die NPD-Wahlwerbung einen volksverhetzenden Inhalt enthalte. Vorinstanzen kamen zu anderen Schlüssen.

Die Frage, die sich stellt: Wo und wann läuft das im Programm? Vorm „heute-journal“ ist besser als Nachtprogramm. Das ZDF verweist auf eine Seite des BMI, mithin das Prinzip der „abgestuften Chancengleichheit“. Wie das genau aussieht, will der Mainzer Sender nicht verraten. Nur so viel: Das ZDF hat bis zum kommenden Freitag 101 Spots im Programm zu verteilen, 35 Spots für die sieben Bundestagsparteien, dazu 66 für weitere Parteien. Es haben 40 zur Europawahl zugelassene Parteien einen Antrag auf Sendezeit im ZDF gestellt.

Darunter ein Spot der „Partei“ der das Thema Wahlwerbung auf eine andere Ebene gehoben hat. Das ZDF hatte eine Ursprungsfassung des „Partei“-Spots zum Thema Seenotrettung abgelehnt, weil es sich nach seiner Auffassung inhaltlich nicht um Wahlwerbung, sondern um einen Unterstützungsaufruf für Sea-Watch handelte. Der Film zeigt, wie ein Junge im Meer ertrinkt, und endet mit der Aufforderung: „Helfen Sie uns, das Sterben zu beenden.“ Die „Partei“ hatte die Gestaltung des Spots der Rettungsorganisation Sea-Watch überlassen.

In der neuen Fassung wird am Ende eine Texttafel eingeblendet: An dieser Stelle ruft „Die Partei“ dazu auf, sie bei der Europawahl zu wählen, weil sie Inhalten eine Plattform gebe. Das dürfte die Quote für die korrigierte Version erhöht haben. Vielleicht auch die Prozentzahlen für die „Partei“ am nächsten Sonntag.

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