Bodensee-"Tatort": Punk, Nebel, Salsa - die Mischung stimmt nicht
Reich und schön, arm und moralisch: Warum es einem der Bodensee-„Tatort“ so schwer macht, ihn zu mögen.
536 Quadratkilometer groß, maximal 251 Meter tief, 273 Kilometer Umfang, mittlere Wassertemperatur im Oktober: 15 Grad. Im Dezember vergangenen Jahres wurden 412 Vogelarten gezählt, dazu 1389 Kormorane. Dieses Gewässer hat sich einen „Tatort“ verdient. Und was für einen. Seit 2004 sind Kommissarin Eva Blum und Kollege Perlmann am Bodensee im Einsatz. Eva Mattes und Sebastian Bezzel zählen definitiv zu den unaufgeregten „Tatort“-Teams, auch nach dieser Ausgabe im Obdachlosen-Milieu ist nicht zu sagen, ob das nun ein großer Verlust sein wird oder nicht, wenn der Bodensee-„Tatort“ vom Bildschirm geht.
Vorab: Eva-Mattes-Fans werden das wieder lieben. Der herb trostlose, in sich brüchige, ganz in kalten Blautönen gehaltene „Tatort: Côte d’Azur“ passt, sorry, wie die Faust aufs Auge, zur Melancholie der Klara Blum, der Kommissarin, die einst ihren Mann verlor (ebenfalls ein Kriminalpolizist, der im Dienst erschossen wurde), die allein in ihrem Haus am See lebt und öfter nachts mit sich Salsa auf der Veranda tanzt. Und die nun zu einem Mordfall ans Konstanzer Rheinufer gerufen wird, bei dem das Opfer eine SMS an die Polizei schickt. „Ich bin tot. Schilf am Ende vom Winterer Steig. Kümmern Sie sich um mein Baby. Bitte schnell.“
Halb erfrorenes Baby am Seeufer
Versandt wurde die SMS vermutlich vom Mörder. Die Leiche der Mutter, Vanessa Koch, wird schnell gefunden, Als Klara Blum im Morgengrauen des eisigen Dezembertags zum Tatort kommt, erkennt sie, was Kollege Perlmann vorher übersehen hat: den Hinweis auf das halbjährige Baby der Ermordeten, das abseits im Schilf zurückgelassen wurde.
Eine tote Frau im Schilf, ihr halb erfrorenes Baby am Seeufer, dazu eine Handvoll Verdächtiger aus dem Umfeld der Ermordeten, dem Obdachlosentreff „Côte d’Azur“. Der neue Bodensee-„Tatort“ führt die Kommissare Blum und Perlmann erstmals seit längerer Zeit an den Rand der Gesellschaft. Zu Menschen, die versuchen, ihr Leben so würdig wie möglich zu gestalten und sich gegenseitig loyal zu unterstützen, auch wenn sie immer wieder durch Armut, Alkohol und Drogen ins Straucheln kommen. Nicht immer ist das erträglich zum Anschauen.
Die Obdachlosen hatten alle mit dem Mordopfer zu tun – allen voran ein alter Bekannter der Ermittler, der ehemalige Kommissar Hagen Bötzow, der nach Gewaltdelikten vom Dienst suspendiert wurde und den Halt in seinem Leben verloren hat. Ein weiterer Verdächtiger: der Musikproduzent Jürgen Evers, dem das Opfer Vanessa Koch offenbar einen teuren Ring gestohlen hatte.
Dieser Evers (bravourös: Markus Hering), die „Hit-Maschine von Konstanz“, in einer Prachtvilla umgeben von Lackaffen, die ihm das Feuerzeug hinhalten, und leicht bekleideten Mädchen, ist einer der größten Kotzbrocken der jüngeren „Tatort“-Geschichte, auch im Verhör. Frage: „Was haben Sie in der Tatnacht gemacht?“ „Gevögelt.“ „Da gibt’s ja sicher eine Zeugin.“ „Ne. Zwei.“ Ein paar Minuten vorher grantelt einer der Obdachlosen von der „Côte d’Azur“: „Ich bin Punk, mein Vater ist Punk, und wenn ich einen Sohn kriege, wird der auch Punk.“
Die Bilder sind matt, das Licht ist fahl
Reich und schön, arm und moralisch (?) im Bemühen, diese Welten mit Galgenhumor klischeefrei nebeneinanderzustellen, hat sich das Team Ed Herzog (Regie) und Wolfgang Stauch (Buch) verhoben, trotz des guten Figurenensembles (Andreas Lust, Peter Schneider, Barnaby Metschurat). Herzog/Stauch haben den grandiosen „Polizeiruf 110: Die Gurkenkönigin“ verantwortet. In diesem „Tatort“ stimmt die Mischung nicht. Da hilft es wenig, Perlmanns Ermittler-Charakter durch stundenlanges, schuldgefühliges Sitzen und Beten am Krankenbett des vom Tode bedrohten Säuglings feiner, fehlbarer zu zeichnen und das Verhältnis der beiden eingespielten Ermittler mal nahe dem Gefrierpunkt anzulegen.
Die Bilder sind matt, das Licht ist fahl, der Bodensee noch nebeliger und kälter als sonst. Überall enttäuschte Hoffnung, verlorene Zukunft, Trauer, Scham, Wut. Noch mehr Melancholie um Klara Blum herum, wenn das überhaupt noch geht. Egal, 2016 ist beim SWR eh’ Schluss mit Perlmann und Blum.
„Tatort - Côte d’Azur“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15