"Tatort" am Bodensee: Abgründe des Bösen
Der Bodensee-„Tatort“ lotet ein weiteres Mal die Lebenslügen der Oberschicht aus. Und ist obendrein ein guter Fernsehkrimi.
Man ist ja doch immer wieder erstaunt, wie viele, ja dass überhaupt Verbrechen an den lieblichen Gestaden des Bodensees verübt werden. Aber im titelgebenden „Winternebel“, der, betrachtet man das schön gefärbte Laub im Film, tatsächlich eher ein Herbstnebel ist, verbergen sich Abgründe des Bösen.
Der Auftakt, klar, der muss ein bisschen spektakulär ausfallen, mit Autounfall am Baum, blutendem Fahrer auf der Flucht, Verfolgung aus einem dieser üblen Allradler heraus, Hatz des Opfers, dann ein Schuss und – der Mann, der Verfolgte ist tot.
Dann gibt es einen zweiten Toten, der liegt am Ufer und wurde angespült. Aber auch er ist Opfer eines Gewaltverbrechens, und damit ist die Zuständigkeit von Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) und Kommissar Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) geklärt. Und die vom Schweizer Kollegen Matteo Lüthi (Roland Koch), der nicht nur aussieht wie Schalke-Trainer Jens Keller, sondern auch vergleichbar viele Sorgen hat: Er nämlich, Lüthi, hat den Mann im Herbstwald erschossen. Weil ihn ein schlechtes Gewissen plagt, ein Versagensgefühl, aus einem früheren Fall.
„Tatort“-Episoden, bei denen die Herrschaften von der Polizei ins Zwielicht geraten, lieben zumindest die Macher; da spricht man gerne von gebrochenen Persönlichkeiten. Gebrochen sind auf jeden Fall die Persönlichkeiten der Schönen und Reichen, zumal da unten am Bodensee, wo auffallend viele Fälle die Abgründe und Lebenslügen einer zahlungskräftigen Oberschicht ausloten. So auch hier. Denn die junge Frau, die zuletzt mit dem Ertrunkenen gesehen ward, ist die Tochter eines zwielichtigen Bauunternehmers und plötzlich verschwunden. Entführt.
Komplizierte Situationen gefällig aufgelöst
Dass es nun nicht zu einer offenen Verfolgung kommt, sondern die Eltern der Entführten mauern, kann man sich an drei Fingern abzählen. Irgendwie haben ja alle Beteiligten Dreck am Stecken, auch wenn der anfangs vom Dienst suspendierte Lüthi, dessen behauptete Notwehrsituation sich sofort als Lüge herausgestellt hat, mal eben wieder dienst- und schießberechtigt ist. Wenn’s denn der Dramaturgie dient.
Ja, der Konstanzer Tatort leidet immer ein wenig darunter, dass er komplizierte Situationen gefällig auflöst. Andererseits muss man am Bodensee nicht solche Verrenkungen machen wie, sagen wir, in Münster. Auch sind die sozialen Differenzen so klar erkennbar wie in einem englischen Genrestück von der Art des „Inspektor Barnaby“. Oben ist oben, aber auch nicht gut, und Blum und Perlmann, die beständig in Kreise hineingeraten, aus denen sie selbst nicht stammen, behalten jenen Abstand, der vorzüglich als Verständnishilfe für den Zuschauer dient. Damit sei nicht gesagt, dass der Konstanzer Tatort simpel sei, auch dieser „Winternebel“ unter Regie von Patrick Winczewski nicht, sondern einfach gut strukturiert, geradlinig, logisch. Die Spannung kommt nicht daher, dass man bei jedem Schnitt eine neue Überraschung, einen erneuten Einbruch des total Unwahrscheinlichen gewärtigen muss, sondern dass der wissende Zuschauer mit den noch nicht ganz so wissenden Ermittlern mitfiebert. Wie es im klassischen Krimi denn auch sein soll.
Eva Mattes hat die emotionale Indifferenz so sehr perfektioniert, dass der Ausbruch samt Verbalinjurie, den ihr das Drehbuch von Jochen Greve gönnt, gelinde gesagt überraschend kommt. So viel Anteilnahme hätte man ihr gar nicht zugetraut. Sebastian Bezzel muss auf ewig der Junior bleiben, aber diesmal verhaspelt er sich zumindest nicht in der High Society wie früher schon einmal. Dafür bleibt er in dieser Folge denn auch reichlich blass. Roland Koch als Getriebener mit herrlich sorgenzerfurchter Stirn ist hier ganz klar die zweite Hauptrolle.
Pfiffiger Schluss
Es ist dies der 23. Fall von Klara Blum und Kai Perlmann, und damit liegt das Konstanzer Gespann nur knapp hinter dem Münsteraner Klamauk-Duo Thiel & Boerne, um das ein Gewese gemacht wird – und das von Folge zu Folge mehr –, als bespiele es das Format „Tatort“ alleine. So macht man Quote – die der Bodensee-Ableger nicht erreicht, da bedeuten zehn Millionen Zuschauer die Schallgrenze. „Blum und Perlmann können nicht mit den Großstadt-Kommissaren aus Köln, München, Hamburg oder Berlin mithalten. Das steht außer Frage“, urteilte das Lokalblatt „Südkurier“ anlässlich der vorangehenden Folge mitleidlos.
Ach wirklich? Die „Tatorte“ aus Köln und München einmal beiseitegelassen, die tatsächlich in einer eigenen Liga spielen, tut es doch gut, auch eine etwas ruhigere Variante im Angebot zu haben. Eine, bei der ein Fall erzählt wird, bei dem die Handlung Fahrt aufnimmt, bei dem die Motive der Beteiligten allmählich an die Oberfläche kommen und am Ende eine Lösung steht, die nicht das Unwahrscheinliche zum Selbstverständlichen (v)erklärt. Eben ein „Tatort“ aus Konstanz. Zumal, wenn er denn einen so pfiffigen Schluss hat wie dieser. Ansehen.
„Tatort: Winternebel“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15