Wer bestimmt über meine Daten?: Philosoph Precht warnt vor Gesinnungsdiktatur
Richard David Precht pocht auf die informationelle Selbstbestimmung. Zugleich mahnt er, die messbare Welt nicht mit der ganzen gleichzusetzen.
„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Der Titel von Richard David Prechts philosophischer Reise von 2007 hat seine Bedeutung nicht verloren, gerade weil mittlerweile auch über Fragen wie „Wem gehört unser digitales Ich?“ gestritten wird. Dies war jedenfalls am Mittwoch das Thema einer Diskussionsveranstaltung im Telefónica Basecamp in Berlin-Mitte.
So kompliziert die Beantwortung der Eigentumsfrage auch ist, weil selbst Digital Natives nicht wissen, wer alles ihre Daten speichert und wo, über die Anzahl der Identitäten hat Precht eine klare Vorstellung. Denn für den Philosophen, Autor und TV-Moderator, der die sozialen Medien „schon aus Zeitmangel“ kaum nutzt, gibt es im Netz gleich drei davon.
Zur pluralen Identität gehört zuerst die formale, die zum Beispiel beim Homebanking zum Einsatz kommt oder wenn der elektronische Personalausweis gezückt wird. Daneben steht die selbst konstruierte Identität, in der sich die Menschen in den Sozialen Medien zeigen, wie sie selbst gesehen werden wollen. Das Paradoxe daran: Alle wollen das Gleiche, nämlich anders sein als die anderen. Die Cyberpsychologin Astrid Carolus von der Universität Würzburg wies darauf hin, dass dies in der Offline-Welt „nicht ganz so krass“, aber im Grunde nicht viel anders sei. Auch hier gebe es ein Bedürfnis nach Selbstinszenierung, die Möglichkeiten seien bloß limitierter.
Die dritte Identität ist für Precht die anonyme, wenn im Netz Hasskommentare abgegeben oder pornografische Inhalte gepostet werden. Diese Identität sei genauso wichtig wie die anderen, da sonst eine Gesinnungsdiktatur drohe.
Unlöschbar herumgeisternde Identitäten
Doch wem gehören nun die Daten? Daten, die man in den sozialen Medien nicht wirklich löschen kann. Die man nach einem Löschbefehl zwar selbst nicht mehr zu Gesicht bekommt, die aber dennoch vorhanden sind. Es dürfte spannend sein, so Precht, in welcher Form diese Identitäten in 50 oder 100 Jahren noch immer unlöschbar herumgeistern.
Die Frage, wer die Identität sichern soll, sei in der Praxis zudem nicht gelöst. „Ist das die Aufgabe des Staates oder der Privatwirtschaft, wer eine Cyberwall um mich herum baut?“, will Precht wissen. Der Wunsch nach anonymisierten Daten sei ein bedeutendes Kriterium für die Kunden. „Das Schutzbedürfnis sehen wir ganz klar, und das ist auch wichtig“, sagte dazu Markus Haas, der Chef von Telefónica Deutschland.
Kontrolle ist eine Illusion, die Alternative, die vom ehemaligen Google-Chef Eric Schmidt vorgeschlagene Selbstkontrolle über digitale Enthaltsamkeit ist für Precht aber auch keine Lösung. „Diese Selbstzensur ist das Ende einer freiheitlichen Gesellschaft.“ Da helfe auch das Häkchen bei Google nicht, mit dem man sich einverstanden erklärt, dass die eigenen Daten missbraucht werden. „Datenmissbrauch als Gewohnheitsrecht“, wie Precht das nennt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das in den 80er Jahren in Deutschland erkämpft wurde und Eingang in die europäische Charta fand, sei genauso unveräußerlich wie das Recht auf freie Wahlen – auch wenn manche Zeitgenossen auf beides verzichten würden, wenn sie dafür lebenslang umsonst tanken oder immer in ein freies Wlan gelangen könnten.
Resonanz mit Fehltritten
Die Maßstäbe haben sich verrückt. Im politischen Diskurs bekämen die schlimmsten Dinge die meisten Klicks und würden am meisten auffallen. „Das kann man schön daran sehen, dass Donald Trump eine Fehltritt-Aussage nach der anderen macht, weil er weiß, was er damit an Resonanz entfaltet.“ Und bei der Datennutzung genieße derjenige hohe Wertschätzung, der viele Daten hinterlässt. Die Qualität des Charakters und die Arbeitsleistung würden nach der Quantität der hinterlassenen Spuren bemessen. „Wir kommen zunehmend in eine Gesellschaft, die anfängt, die messbare Seite der Welt für die Welt zu halten“, warnt Precht.
Kurt Sagatz