ARD-Film über gefälschte Medikamente: Pharma fatal
„Gift“: Im ARD-Film zu gefälschten Medikamenten feiert sich das Böse. Aber warum muss es eigentlich immer auf das ganz große Welttheater hinauslaufen?
Da braust sie dahin, des Ersten wilde verwegene Jagd, einem Skandal hinterher, von dem wir Katastrophenübersättigten nach Meinung der ARD noch nicht genug wissen: „Gepanscht, gestreckt, gefälscht“ klingelt es bedrohlich in der Ankündigung zum „Themenabend Gefährliche Medikamente“, der das TV-Programm des Ersten an diesem Mittwoch beherrscht, aber auch Radiosender beschäftigt.
Wie befreit aus der trockenen Recherchestube stürmen die Bilder des Fernsehfilms „Gift“ in das süffige Leben der Fiktion. Wenn die Limousinen der Polizeikohorte zur Razzia ins deutsch-tschechische Grenzgebiet stoßen, bietet selbst das Wetter großes Theater. Wolkentürme, Sonnenglitzer auf nasser Fahrbahn – dieser Film gehört der Kamera von Gernot Roll und seiner Lichterkunst. Egal, wohin es geht, durch europäische Metropolen oder den fahlen Smogdunst des indischen Mumbai, in das Armenelend einer Millionenstadt oder in die Kälte von Luxushotels – es gibt kein befreiendes Draußen. Was wirklich blüht, ist die Geldgier von Managern.
Der Film „Gift“, den Daniel Harrich (hervorgetreten mit Stücken über das Oktoberfest-Attentat und Machenschaften der deutschen Waffenindustrie) recherchiert, inszeniert und mit Gert Heidenreich geschrieben hat, folgt einem immer mehr in Mode kommenden Prinzip, dem Zuschauer die Mühe zu ersparen, sich auf mühsame Recherchenberichte einzulassen. „Unsere Aufgabe ist es“, sagt Harrich, „die Informationen zusammenzufügen, Widersprüche zu klären und ein Gesamtbild zu schaffen, das der Realität entspricht und gleichzeitig für den Zuschauer verständlich ist.“ Ko-Autor Heidenreich erklärt: Erst mal Menschen erfinden, dann ihnen die handelnden Rollen für das Thema zuordnen.
Anders als bei Filmbiografien waren die Macher bei „Gift“ völlig frei in der Erfindung ihrer Personen. Im Bretterhaus des Fernsehens wird so der ganze Kreis der TV-Schöpfung ausgeschritten. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, wie es bei Goethe heißt. In der Hölle agieren die Fernsehspitzenkräfte im Fach fieser Manager, Ulrich Matthes und Martin Brambach, Zynismusbrutalo der eine, schleimige Samtpfote der andere. Dazu gesellt sich – hervorragend gelungen – Maria Furtwängler, eine angeblich hochrespektable neutrale Repräsentantin in Fragen der medizinischen Ethik, aber hinter der ewig lächelnden Blondfassade eine Königin der Nacht.
Ein ziemlich ruppiges Exemplar im bösen Spiel der Weltvergifter
In der Welt zeigen die Figurenerfinder einen knorrigen Faust. Heiner Lauterbach spielt einen Medikamentenzwischenhändler. Ein ziemlich ruppiges Exemplar im bösen Spiel der Weltvergifter, aber seit er von seinem baldigen Krebstod weiß, auf dem Weg zur Erlösung. Er verkauft seine Firma, er macht sich als Whistleblower auf den Weg zur Wahrheit, er hilft Tochter Katrin (Luise Heyer).
Die bevölkert zusammen mit der unbestechlichen Ermittlerin Juliette Pribeau (Julia Koschitz) den Himmel der Edlen. Katrin dient als junge Ärztin in den Elendsvierteln Mumbais. Keine stoische Mutter Theresa, sondern eine Kämpferin. Koschitz’ Fahnderin ist eine glaubhafte Vertreterin im armseligen Himmel der Guten. Eine Polizeiamazone, der man zusieht, wie sie sich von Ferne von ihrer Familie verabschiedet und in den schier aussichtslosen Kampf gegen die Pillenprofiteure zieht. Das Duell mit der von Furtwängler heimtückisch hingelächelten Pharm Fatale ist ein Höhepunkt, unkonventionell in einer Fernsehwelt, in der Männer sonst immer die bösen Buben sind.
Angesichts des furiosen Bilderballetts zwischen den Guten und den Schuften könnte man leicht vergessen, dass die Wirklichkeit jenseits des Bildschirms weniger spektakulär, aber viel schlimmer ist. Jährlich sterben eine Million Menschen an den Folgen der Einnahme gefälschter Medikamente. Das weltweite Geschäft, das Pharmafirmen, Banken und Behörden mit unkontrollierten Pillen machen, geht in die Milliarden.
Natürlich darf Fernsehen auf einen solchen Skandal ohne aktuellen Anlass hinweisen und ihn durch fiktives Spiel popularisieren. Aber es muss nicht immer auf das ganz große Welttheater unter wenigen Engeln und vielen Teufeln hinauslaufen. Das führt zu einer medialen Lähmung. Das Böse feiert sich ungeniert, das Publikum muss sich abfinden. Vielleicht könnte es ja auch bei großen Problemfiktionen um Widerstand in kleinerem Maßstab gehen. Zum Beispiel um die Frage, warum auf Medikamentenverpackungen der Herstellungsort nicht obligatorisch zu nennen ist.
Fragen wir doch mal demnächst unseren Arzt oder Apotheker.
„Gift“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15
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