Arte-Dokus: Pflege in Not
Zwei Arte-Dokus beleuchten die Situation der Altenpflege in Deutschland. Es zeigt sich, dass mit schlechter Leistung viel Geld verdient werden kann
Wer einen Angehörigen im Pflegeheim besucht, weiß, dass es dort nach unappetitlichem Essen, Putzmitteln und Exkrementen riecht. Alte Menschen, verwirrt und hilflos, dehydrieren, weil sie zu wenig zu trinken bekommen. Solche Vorfälle sind nicht die Regel, allerdings geschehen sie immer öfter. Gegenwärtig sind in Deutschland knapp drei Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes. Tendenz steigend. Zwei Arte-Dokumentationen beleuchten ihre Situation. Ariane Riecker hinterfragt in ihrer Dokumentation „Der Pflegeaufstand“ das gegenwärtige System. Zuvor blickt Ingo Dell auf die Arbeit jener geschätzten 400 000 Osteuropäerinnen, die in der 24-Stunden-Pflege hilfsbedürftige Menschen in deutschen Haushalten versorgen.
Der Film „Die Karawane der Pflegerinnen“ begleitet die 57-jährige Alicja aus Polen. Rund um die Uhr kümmert sie sich um eine bettlägerige 74-Jährige mit Demenz: Füttern, mobilisieren, Windeln wechseln. 1000 Euro erhält sie für diesen Knochenjob. Doch mit ihrer Festanstellung geht es Alicja vergleichsweise gut. Geschätzte 90 Prozent ihrer Kolleginnen arbeiten schwarz. Bei der Vermittlung solcher Pflegekräfte machen deutsche und polnische Agenturen gute Geschäfte. Nicht selten werden dabei die Sozialabgaben veruntreut. Die Folge: Polnische Pflegerinnen sind häufig nicht krankenversichert. Man drängt sie dazu, im Notfall auf medizinische Hilfe zu verzichten. Diese Ausbeutung ist rechtlich zulässig, denn sie geschieht in einer juristischen Grauzone. Obwohl gegen geltendes Arbeitsrecht verstoßen wird, sieht der Staat keinen Handlungsbedarf. Karl-Josef Laumann, bis Juni 2017 Bevollmächtigter der Bundesregierung für Pflege, betont, dass Privatwohnungen durch das Grundgesetz einen hohen Schutz genießen.
Pflegeheim als Geldmaschine
Die Dokumentation „Der Pflegeaufstand“ geht einem strukturellen Problem des Pflegesystems auf den Grund. In Gesprächen mit Rechtsanwälten, Altenpflegern und einem Heimleiter zeichnet sich eine bedenkliche Tendenz ab. Vor Auge geführt wird diese Schieflage unter anderem von Armin Rieger, der als Immobilienmakler einst ein Seniorenheim erwarb, weil es ihm als lukrative Geldanlage empfohlen wurde. Mit der Reduzierung des Personals konnte er Kosten einsparen. Seinen Heimbewohnern ging es zwar schlechter. Aber ihre Pflegestufe stieg – wodurch das Heim noch mehr Rendite abwarf.
Die Dokumentation zeigt auch positive Beispiele von Heimen, die weniger profitorientiert arbeiten. Dennoch zieht der Film eine alarmierende Bilanz: Das Pflegesystem lässt es zu, „dass mit schlechter Pflege viel Geld verdient wird“. Es setzt keine wirtschaftlichen Anreize, um Wohlbefinden und Gesundheit hilfsbedürftiger alter Menschen zu steigern. Trotzdem erhalten deutsche Pflegeheime in offiziellen Prüfberichten nur Bestnoten. Laut Ina Schulze, Leiterin Qualitätsprüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, ist dies Augenwischerei. Kontrolleure führen Prüfungen nach Kriterien durch, die „in Verhandlungen mit den Heimbetreibern festgelegt wurden“. Heime benoten sich quasi selbst.
Eine Lösung dieses Problems ist nicht in Sicht. Claus Fussek ist Sozialarbeiter bei der Vereinigung Integrations-Förderung e.V. Sein Schreibtisch biegt sich unter den Akten mit Hilferufen aus der Pflegewelt durch, er fordert einen Aufstand der Pfleger. Gemeinsam hätten sie „mehr Macht als die Lokomotivführer und die Lufthansapiloten zusammen“. Manfred Riepe
„Die Karawane der Pflegerinnen“, Arte, Dienstag, 22 Uhr 50; „Der Pflegeaufstand“, Arte, Dienstag, 23 Uhr 45
Manfred Riepe