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Alice Hasters
© Kai-Uwe Heinrich

Zu PAPIER gebracht: Ohne Filter

Die Smartphone-App "Beme" stürmt die App-Charts. Das neue soziale Netzwerk möchte von Selbstdarstellung befreien.

Casey Neistat ist ein ziemlich hipper Typ aus New York. Mitte 30, Skateboard, Sonnenbrille, iPhone – der Prototyp der Generation Y. Neistat hat mehr als 800 000 Abonnenten auf Youtube, über 300 000 Fans auf Instagram und 160 000 Follower auf Twitter. Auf seinen diversen Profilen sieht man Neistat, wie er im Anzug surft, total verrückt, oder irgendwo von einer Klippe springt, krass, mit Models Selfies macht und danach mit seiner Familie — süßes Baby, schöne Frau — abhängt. Neistat ist professioneller Selbstinszenierer. Erstaunlich also, dass gerade er nun die soziale Plattform „Beme“ herausbringt.

Posten ohne Nachbearbeitung

„Beme“ ist eine iPhone-App und hat sich zum Ziel gemacht, das „digitale Selbst“ wieder näher an das „reale Selbst“ zu bringen. User können auf „Beme“ fünfsekündige Videos verschicken, die sich Follower anschauen. Die Oberfläche ähnelt in dieser Hinsicht Twitter. Nichts Besonderes also. Nun kommt der Clou: Die geposteten Videos werden sofort aufgenommen, tastenlos, wenn man den Bildschirm des iPhones verdeckt, indem man es zum Beispiel gegen eine Wand oder vor den Bauch hält.

Es gibt keine Möglichkeit, vorher die perfekte Einstellung auszuwählen und nachher das Video zu bearbeiten. So wie es wirklich aussieht, kommt es auch ins Netz. Ähnlich wie bei Snapchat, können die Videos von Followern nur einmal angeschaut werden, dann verschwinden sie. Weg also, von der technischen Reproduzierbarkeit (sorry, Walter Benjamin), zurück in die Wertschätzung des einmaligen Moments. Und das ohne Filter. Als Feedback gibt es keine Likes, sondern Selfies, die man nur aufnehmen kann, während man ein gepostetes Video anschaut. Auch sie werden sofort hochgeladen.

"Beme" als Befreiungsschlag?

Neistat sagt, die Möglichkeit Dinge aufzunehmen, ohne die ganze Zeit auf sein Smartphone starren zu müssen, wäre die befreiendste Sache gewesen, die er seit dem Kauf des iPhones erfahren hätte. „Beme“ soll also ein Befreiungsschlag für den Perfektionismuszwang in der Welt der sozialen Netze sein. Nur: „Beme“ ist zu einseitig, um andere soziale Netzwerke zu ersetzen, es ist nur ein netter Zusatz. Kaum einer wird sein Facebook-Profil löschen und nur noch ungefiltert auf „Beme“ posten. Besonders Casey Neistat nicht. „Beme“ ist im Endeffekt noch ein Kanal, den man bespielen muss, der einen dazu zwingt, noch mehr Zeit mit seinem iPhone zu verbringen. Die Lösung, die sich am besten gegen den Social-Media-Druck bewährt, lautet nach wie vor: Öfter offline bleiben.

Alice Hasters

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