Thunberg-Witze unter Humorverbot: Nuhr komisch ist das nicht
Sind Witze über Greta Thunberg erlaubt? Unbedingt - sonst darf auch Jan Böhmermann nicht mehr scherzen. Ein Kommentar
Sehr geehrte Leserinnen und Leser, darf ich Ihnen einen Witz erzählen?
Falls ja, dann geht der so: „Ich bin gespannt, was Greta macht, wenn es kalt wird. Heizen kann es ja wohl nicht sein.“ Ein Witz über Greta Thunberg also. Gerissen hat ihn Dieter Nuhr, in seiner ARD-Sendung „Nuhr im Ersten“. Seitdem geht ein veritabler Entrüstungssturm über den 58-jährigen Kabarettisten hinweg, nicht nur dieses einen Witzes wegen, Nuhr hatte noch ein paar andere drauf, sie waren allesamt von dieser Gewichtsklasse.
Wenigstens diese zwei Fragen schließen sich an. Was darf der Scherzkosmos eines Kabarettisten/Comedians beinhalten, sind, zweitens, Witze über Greta Thunberg erlaubt?
Als Jan Böhmermann in seiner „Schmähkritik“ über Erdogan ganz tief unter die Gürtellinie zielte – „Ziegenficker“ nur zum Exempel –, fanden das nicht wenige saukomisch, mutig, Böhmermann wurde zum Satiregott und Helden.
Geht es gegen eine böse Sache/üble Person, dann darf, muss der Comedian ran. Was aber, wenn es um eine gute Sache/positive Figur geht, darf der Comedian auch dann ran?
Er muss. Wer bei Böhmermann auf Grenzenlosigkeit erkennt, der darf bei Nuhr nicht Grenzen ziehen. Böhmermann zielte erkennbar auf Beleidigung, Nuhr wollte die Thunberg-Hysterie infantilisieren. Beides bewegt sich im sagbaren Witze-Spektrum, mag jemandem das eine nicht passen, das andere sehr.
Es ist schon so, dass die Böhmermann-Bewunderer ihren Witze-Vormann gegen alle und jeden verteidigen werden. Auch Dieter Nuhr ist mit seiner Thunberg-Sottise auf Applaus gestoßen. Der Witz zerfällt zunehmend in Lager und Lagerdenken.
Jeder lacht anders
Natürlich gilt die Binse fort: Humor ist heterogen, das Urteil über Lustig/Nichtlustig so divers, wie die Menschen verschieden sind. Bei dieser Uneinigkeit im Humorverständnis gab es Einigkeit.
Kabarett gibt die Mächtigen gezielt der Lächerlichkeit Preis, ist nicht einfach nur Pointe, sondern effektiv eine kurze Umkehrung der Verhältnisse. Bürgerliches Kabarett ist vor diesem Hintergrund ein Kuriosum: Hier gibt der Mächtige den Unterlegen der Lächerlichkeit Preis.
schreibt NutzerIn kikuk
Gab es? Am Fall Nuhr zeigt sich, was nicht unbedingt neu ist und doch neuartige Verstärkung erfährt: Es werden Humorverbote ausgesprochen. Erst einmal ein Reflex auf die Konjunkturen bei der Witze-Norm. Schwulen- und Frauenwitze stehen auf dem Index, wie anders, weil sich dahinter Diskriminierung und Verachtung verstecken können.
Trotzdem aber ist es tausendmal besser, wenn jemand einen Schwulen- oder Frauenwitz erzählt. Er wird schnell merken, wie er damit öffentlich ankommt – und aus der Reaktion heraus sein Denken und seine Einstellung vielleicht überdenken. Rede- und Gedankenfreiheit ist Humorfreiheit. Auch die Freiheit, dass Humor auf Akzeptanz getestet und testiert wird.
Eine Zensur des sagbaren Witzes ist Zensur. Humor kennt Geschmack und Qualität und Intellekt – und das Gegenteil von alledem. Aber eines darf er nicht kennen: Doppelmoral. Verbietest du mir meinen Böhmermann, verbiete ich dir deinen Nuhr. Geht nicht.