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In Berlin kommen Leute aus der ganzen Welt ans Mikro. Wer will, kann drei Mal am Abend auftreten.
© Getty Images/iStockphoto

Berlin lacht jetzt englisch: In der Hauptstadt boomt die internationale Comedy-Szene

Berlin geht zum Lachen in den Keller – bei 40 English-Comedy-Shows pro Woche. Ein Streifzug mit Gratis-Schnaps, nachdenklichen Rumänen und KZ-Witzen.

Wer drei Minuten kalt duschen kann, übersteht auch fünf Minuten auf einer Bühne. Sanny hat sich heute früh den Timer auf drei Minuten gestellt, dann den Hahn aufgedreht. Er hat danach in seinem Start-up gearbeitet, Abteilung Sales, und später Sport gemacht und ist mit den Hunden raus. Und während nun draußen die Stadt noch bei mehr als 30 Grad brütet, startet hier unten im Keller des „Cosmic Comedy“-Clubs in Mitte gleich die Show. Ein Ventilator rührt in der warmen Luft. Sanny, dem tänzelnden Inder, gehören gleich fünf Minuten auf der Bühne.

Aber bloß nichts überbewerten. Sanny sagt noch, er will um diese Auftritte kein zu großes Aufheben machen, sie sollen Teil seines bewegten Lebens sein. Bloß eines von den vielen Dingen, die seinen Tag ausmachen. „Wenn ich mich jetzt schon verrückt mache, wie soll es dann werden, wenn ich mal berühmt werde?“

Berühmt! Berühmt ist schon der „Cosmic Comedy“-Club in Berlin, einer der Ersten, bevor die Szene in den letzten Jahren explodiert ist. Weshalb jetzt auch die Berliner Comedy-Szene berühmt ist. 40 Veranstaltungen in der Woche sind immer voll.

Publikumsbeschimpfung gehört zum Programm

Niemand hat die Lachsalven gezählt, die allabendlich in den Souterrains Berlins den Tag konterkarieren. Da lacht man über die Welt und die Stadt und das, was einem dort widerfährt. Und weil nicht alle denselben Humor, aber dieselbe Sprache haben, ist nicht nur explizit englische Comedy zu hören, sondern alle Schattierungen des Humors, von Kalauern bis Publikumsbeschimpfung.

Während Berlin tagsüber immer aggressiver zu werden scheint, Rad- gegen Autofahrer, Mieter gegen Vermieter und Eingeborene gegen Rollkoffer Stellung beziehen, löst sich das Ganze abends in einer Punch-Line auf. Der Humor ist ein Entlastungswitz, der Berlin den Druck ablässt. Comedians aus allen Ländern verstoffwechseln hier die Stadt: Sie kommen aus Israel, Rumänien, Schottland, Argentinien und Holland. Und genauso gemischt ist das Publikum.

"Einen Deutschen zu daten ist einsamer, als Single zu sein"

Man kann den Zugezogenen dabei zuhören, wie sie zusammen den Schock verarbeiten, ausgerechnet in Berlin gelandet zu sein. Nicht dass Berlin so lustig wäre. Sie haben sich nur entschieden, darüber zu lachen. „Einen Deutschen zu daten ist einsamer, als Single zu sein“, ruft Liliana Velasquez von der Bühne. Der Saal schmeißt sich weg. Offenbar wissen alle, was gemeint ist.

In den Keller locken „Free shots, free pizza“ zur Open-mike-Veranstaltung. Über fünf Meter vegane Pizza, die Neil Numb an sein Publikum austeilt, sind in 15 Minuten weg. Es ist so düster, dass der Belag nicht zu erkennen ist. Außerdem ist es jetzt etwa acht Uhr. Wenn alles nach Plan läuft, erreicht die Energiekurve der Kohlenhydrate im Körper der Gäste ihren Höhepunkt genau dann, wenn Neil die Bühne betritt. Perfektes Timing. „Und whaaaam“, sagt Neil Numb und haut auf den Tresen, die ersten Witze schlügen dann ein wie eine Bombe.

Nirgends gibt es so viel "Stage Time" wie in Berlin

Neil Numb ist der Schotte, von dem die Szene behauptet, er wisse alles übers Marketing, schließlich hat er jahrelang Nachtclubs promotet. Vor bald zehn Jahren entschied er, dass er lieber Leute zum Lachen bringen will. Berlin, sagt Numb, sei heute das Zentrum der englischen Comedy weltweit. Weltweit? Ja, dass ein Künstler an einem einzigen Abend drei Auftritte hintereinander bestreiten kann, sei weltweit „unheard of“. Nirgendwo anders auf der Welt vorstellbar.

„Stage Time“ ist das Zauberwort. Das sind die Flugstunden der Witzpiloten und sie sind günstig zu haben in Berlin. Es genügt, sich anzumelden, oder gar wie im Neuköllner „Comedy Café“ einen Zettel mit dem Namen in einen Hut zu werfen. Wird er gezogen, bekommt man fünf Minuten, um das Publikum zum Lachen zu bringen.

"Was sie in Berlin Comedy nennen, ist in Schottland einfach Samstagabend." Neil Numb gründete den notorischen Cosmic Comedy Club in Mitte.
"Was sie in Berlin Comedy nennen, ist in Schottland einfach Samstagabend." Neil Numb gründete den notorischen Cosmic Comedy Club in Mitte.
© Kai-Uwe Heinrich

Jetzt muss Neil auf die Bühne. „Die Deutschen sind dermaßen effizient, dass ihr Oktoberfest schon im September stattfindet“, wirft er dem Publikum hin. Das lacht sich kaputt.

Neil Numb führt an diesem Abend durch die Show, weil sein Partner, Dharmander Singh, der Brite mit indischen Wurzeln, gerade in Edinburgh ist. Neil Numb kennt natürlich diesen Witz, dass die Deutschen keine Komiker mehr hätten, weil sie die alle umgebracht haben. Aber er hält es für einen Mythos, dass die Deutschen keinen Humor hätten. Sie reagieren bloß anders darauf.

Warum Üben vor dem Spiegel nicht funktioniert

Spot on Sanny, kalt geduscht: „Wollt ihr wissen, was eine wirklich nutzlose Superkraft ist?“, fragt er. Kunstpause. „Stell’ dir vor, du kannst dich unsichtbar machen, und keiner sieht hin.“ Man braucht hier keine Lacher einzuspielen, die sind echt.

Üben vor dem Spiegel funktioniert nicht, hatte Sanny gesagt, „das geht nur auf der Bühne“. Nur am lebenden Publikum könne man testen, ob eine Pointe funktioniert. Sanny – die Welt der Comedy ist eine Welt der Vornamen – ist in Indien mit fünf Jahren auf ein Internat britischen Stils gekommen, „ein Gefängnis mit Ausbildung“. Dort wurden sie morgens um fünf mit Trillerpfeifen geweckt. Aus harten Jahren hat er sich die besten Techniken behalten, mit 17 wurde er entlassen. Er weiß nun, wie man sich diszipliniert, fokussiert.

"Stell' dir vor Du kannst dich unsichtbar machen, und keiner sieht hin." Sanny arbeitet tagsüber für eine Start-up, abends erzählt er Witze.
"Stell' dir vor Du kannst dich unsichtbar machen, und keiner sieht hin." Sanny arbeitet tagsüber für eine Start-up, abends erzählt er Witze.
© promo

„Wenn man in einem Bereich nachlässt, wird man überall schwach“, glaubt Sanny. „Man muss das Energielevel hoch halten.“ Sport, Arbeit, Comedy. Sein Körper ist manchmal so müde, dass er einschläft, wenn er sich nur auf einen Stuhl setzt. Also immer in Bewegung bleiben! Doch selbst wenn er als Comedian einmal sehr erfolgreich wäre, würde er seine Arbeit ungern aufgeben. „Arbeit versorgt einen Comedian mit einer Perspektive“, sagt er. Einer Perspektive auf die Welt für seine Gags.

"Ich bin Schotte, Humor ist meine einzige Waffe"

Jedem Künstler gibt Neil Numb am Ende einen Video-Mitschnitt seines Auftritts mit, den diese analysieren können. Neil Numb hat, seitdem er diesen Club vor Jahren gegründet hat, die Berliner Szene mit aufgebaut. Alle standen sie schon einmal auf seiner Bühne. Während dieser Zeit hat er über jedes Detail nachgedacht, die Pizza-Kurve im Körper seiner Gäste ist bloß eines der Highlights. Der „Cosmic Comedy“-Club ist längst eine Marke geworden inklusive Merchandising-Artikeln am Eingang: Flaschenöffner, Tischtennisschläger und scharfe Sauce.

„Hey, ich bin Schotte“, sagt er. „Humor ist meine einzige Waffe.“ Und: „Was sie in Berlin Comedy nennen, ist in Schottland einfach Samstagabend.“ Ständig haben er und seine Freunde sich gegenseitig hochgenommen. Irgendwann kam Neil für einen dreiwöchigen Urlaub nach Berlin. Er ist dann einfach kleben geblieben, so wie es vielen geht, so wie man jetzt vor seinem Tresen am Boden festklebt. Neil ordert ein alkoholfreies Bier.

Was Pizza mit Humor zu tun hat

Als Neil in den 70er Jahren aufwuchs, musste man an seiner Schule vor allem kämpfen können, sagt er. Es gab die Rocker und die Mods, die regelmäßig aufeinander losgingen. Wer in der Klasse nicht gemobbt werden wollte, musste zu einer dieser Gruppen gehören oder DJ sein. Vielleicht kommt daher dieser unbedingte Wille, dass er hier an vier Abenden die Woche eine freundliche, wohlwollende Atmosphäre entstehen lassen will, die alle einschließt.

„Es geht darum, soziale Schranken im Publikum einzureißen“, von Anfang an. Ein Abend funktioniere dann, wenn das Publikum als eines lacht. Deshalb begrüßen sie jeden persönlich, deshalb die Shots, deshalb die Pizza. Man glaube gar nicht, welche Verbindungen entstehen, wenn fremde Leute gemeinsam aus einem Pizza-Karton essen. „Selbst wenn sie kein Wort miteinander reden, entsteht etwas untereinander.

Wer Stand-up-Comedy lernen will, kommt zu Caroline Cliffords

Man könnte glatt auf die Idee kommen, dass es in Wahrheit gar nicht darum geht, ein tolles Angebot für ein forderndes Publikum bereitzustellen, sondern umgekehrt ein angeregtes, begeisterungsfähiges Publikum für aufstrebende Comedians. Von denen haben viele die ersten Schritte in Caroline Cliffords Stand-up-Comedy-Schule gemacht.

„K-Fetish“, Neukölln, die Bar ist als Kollektiv organisiert. Clifford kommt aus England. Man kann sagen, Caroline Clifford hat der ausufernden Berliner Szene in den letzten Jahren Struktur verliehen. Sie hat eine Webseite mit allen Comedy-Veranstaltungen auf Englisch programmiert. Ihre eigene Show „We are not gemüsed“ ist die am längsten laufende englischsprachige Show der Stadt. Als sie nicht mehr so viel selbst auf der Bühne stehen wollte, gründete sie eine Schule für Stand-up-Comedy, die jedes Jahr immer wieder Schwünge neuer Leute entlässt, die fortan hungrig nach „Stage Time“ sind und den Nachschub der Szene ausmachen.

"Man kann in Berlin immer noch der erste sein"

Nichts davon gab es, als sie nach Berlin kam. Als sie und Neil Numb mit ihren Shows begannen, haben sie sich noch die Wochentage untereinander aufgeteilt, um sich gegenseitig keine Konkurrenz zu machen. „Man kann in Berlin noch immer der Erste sein – und alle machen mit.“

Etwa 30 Prozent derer, die in ihrer Schule anfangen, sind Deutsche. Viele, denen Kabarett zu pupig war, haben bei ihr Stand-up-Kurse besucht und dann die Prinzipien wiederum ins Deutsche übertragen. Deshalb gibt es jetzt auch deutsche Comedy-Formate. Nicht alle buchen einen Kurs, weil sie dann auch auf die Bühne wollen. „Manche machen bloß gerade eine Scheidung durch oder haben einfach zu viele Kinder.“

Caroline Clifford (links) hat in London Webseiten programmiert. Seit acht Jahren läuft ihre Show "We are not gemüsed" in Neukölln.
Caroline Clifford (links) hat in London Webseiten programmiert. Seit acht Jahren läuft ihre Show "We are not gemüsed" in Neukölln.
© Kai-Uwe Heinrich

Clifford selbst, von klein auf Klassenclown und „the funny kid“, lebte in einer Umgebung, die „zu normal“ war, um daraus eine Bühnenkarriere denken zu können. So hat sie jahrelang in London Webseiten programmiert. Aber London machte sie nervös. Nervöser, als normal war, „anxiety problem.“ „Ich habe mich in Berlin selbst gefunden – so wie viele Leute, die in anderen Städten nicht leben können.“ Die Stadt überfordert einen nicht, das ruhige Tempo in Neukölln liebe sie.

Warum Deutsche das schlimmste Publikum sind

„We are not gemüsed“ läuft jetzt im achten Jahr in einem Keller in der Richardstraße. So lange schon, dass sie nicht mehr aufgeregt ist, bevor es losgeht. Heute steht sie selbst mit einer Impro-Gruppe auf der Bühne, ansonsten sieben Leute, davon ein Gast, der auf der Durchreise und zum ersten Mal in Berlin ist.

Paul Salomone moderiert den Abend. Neulich, spottet er, habe er mal wieder ein schweigendes Publikum voller Deutscher gehabt. Hat es euch nicht gefallen?, habe er gefragt. Doch, sehr! – Und warum habt ihr nicht gelacht? – „Ich wollte nicht ablenken.“ Die laut lachende Menge beweist, dass heute nicht zu viele Deutsche im Publikum sitzen.

Vom Wirtschaftsprüfer zum Comedian

Ein Gast-Comedian aus Melbourne ist an diesem Abend da, der meist auf Kreuzfahrtschiffen arbeitet, weshalb er zunächst Witze über sterbende Passagiere reißt. Das beste Material, sagt man, komme schließlich aus dem eigenen Lebensumfeld.

Der Brite Tim Whelan ist da, der in Oxford Deutsch studiert und danach drei Jahre als Wirtschaftsprüfer gearbeitet hat. Es fiel ihm schwer, sich das für den Rest seines Lebens vorzustellen – jetzt tourt er mit einer Bahncard 100 durch Deutschland. Auf dem Flyer für seine eigene Show telefoniert er mit einer Stange Lauch.

Julieta, erklärte Feministin, hat Buenos Aires verlassen und damit auch den tief verankerten Patriarchalismus in Argentinien: Sie müssen nicht, wie für den herkömmlichen Arbeitsmarkt, ihre schrägen Seiten verstecken, sagt sie. Im Gegenteil, die werden auf der Bühne zum Kapital.

Für die erklärte Feministin Julieta war Argentinien einfach zu patriarchalisch. Auf den Berliner Bühnen macht sie sich über verquere Frauenbilder lustig.
Für die erklärte Feministin Julieta war Argentinien einfach zu patriarchalisch. Auf den Berliner Bühnen macht sie sich über verquere Frauenbilder lustig.
© Kai-Uwe Heinrich

Zur Comedy kommt fast niemand direkt. Man gibt etwas dafür auf, das einem nicht gefallen hat. Man braucht ja auch etwas, das man auf der Bühne verarbeiten kann! Comedians sind Leute, die zweifeln, Leute, die etwas abbrechen und sich entschieden haben, drüber zu lachen.

Jeder Lacher ist ein Seismograf dafür, was Neuberliner bewegt

Comedians in Berlin erzählen viele Geschichten, die von Entwurzelung handeln, sagt Clifford, und eben von der Verwunderung, ausgerechnet hier gelandet zu sein. „Alle Themen, die starke Gefühle hervorrufen, eignen sich gut.“ Und so ist ein Dienstagabend in ihrer Show regelmäßig ein Seismograf dafür, welche Themen in Berlin emotional zünden. Jedenfalls unter Englisch sprechenden Neuberlinern.

Ihren Schülern rät sie, niemals bei einem ersten Gedanken stehen zu bleiben. Der erste Gedanke mag lustig sein, aber der zweite ist dann richtig gut! Clifford hat Schüler, die kommen mit einem „unnötig hohen Selbstbewusstsein“. Die nehmen es als Kompliment, wenn ein Drittel des Publikums lacht. „Aber ein Drittel des Raums ist nicht genug.“

Sie haben amerikanische Comedians vor Augen, die Stadien füllen

Frauen hätten oft mehr Scheu, größere Schwierigkeiten am Anfang. Aber wenn sie durchhalten, sind sie oft extrem witzig. Es hilft auch, wenn man einer sogenannten „Randgruppe“ angehört. Vom Rande sieht man mehr. „Am Ende sind die Seltsamen oft die besseren Comedians“, sagt Clifford. Die schrägen Vögel, die „geeks and weirdos“.

Dragos Christian ist kein „weirdo“. „Dragos ist eine Maschine!“, hatte Neil Numb bewundernd gebrüllt. Ein junger Rumäne, der mit der Mission, berühmt zu werden, von Berlin aus durch Europa tourt. Jeder kennt Dragos, denn Dragos ist überall. Er hat die amerikanischen Comedians vor Augen, die Stadien füllen und Millionen verdienen.

Wer ja sagt, kriegt einen Apfelschnaps

Dagegen ist Berlin ganz kleines Karo. Er selbst hat sich auf Witze mit Kulturschock spezialisiert, Witze über Rumänien. Über Osteuropa. Er bearbeitet die sozialen Medien. Und jetzt ist er wie jeden Montagabend zusammen mit dem Deutschen Chris Döring Gastgeber in der „Floating Lounge“, ein Schiff direkt an der East-Side-Gallery, das schon allein deshalb Touristen anzieht, weil man vom Achterdeck sowohl die Oberbaumbrücke wie den Fernsehturm sehen kann.

„Laughing-Spree-Comedy-Show?“, fragt Dragos. Wer dazu jetzt Ja sagt, bekommt einen Apfelschnaps überreicht, 15 Prozent. Dann sind die Australier, die Israelis, Mexikaner, Engländer und auch ein paar versprengte Deutsche bereit für sieben Comedians. Einige von ihnen sind so genannte „First-Timers“, zum ersten Mal auf der Bühne. „Bitte seid nett zu ihnen.“

Dragos Christian aus Rumänien macht sich über Osteuropa-Klischees lustig.
Dragos Christian aus Rumänien macht sich über Osteuropa-Klischees lustig.
© Mike Wolff

Dann geht’s los. Mit Witzen über den Holocaust unter der Gürtellinie. Bei einem komplizierten Witz lacht das Publikum drei Mal: Wenn er erzählt wird, wenn er erklärt wird und wenn er verstanden wird. Am wichtigsten sind bei allen die Pausen: Der Witz sackt. Sackt etwas tiefer. Kommt als Lachen wieder hoch.

Es ist ja grundsätzlich etwas merkwürdig, zum Lachen extra irgendwo hinzugehen. Womöglich sogar in einen Keller. Liegt nicht ein Teil der Wirkung in der Überraschung? Darin, dass eine Pointe unerwartet kommt?

Haben Berliner so wenig Humor, dass sie ihn lieber Profis überlassen?

Vielleicht ist das Bedürfnis nach Comedy so groß, weil die Fähigkeit dazu so gering ist in Berlin. Womöglich hat der Boom der Comedy-Shows zu bedeuten, dass hier in großem Stil ein Outsourcing stattfindet? Wäre es möglich, dass Berliner mit ihrer passiv-aggressiven „Schnauze“ selbst wenig Humor haben? So wenig, dass sie ihn lieber Profis überlassen und dann für eine Dienstleistung bezahlen? So, wie man auch andere Dinge Menschen überlässt, die das besser können, Fliesenlegen zum Beispiel?

Nur dass man mit dem Lachen hier etwas auslagert, was eigentlich zum Menschen gehört.

Was immer ein sicherer Lacher ist

In der „Floating Lounge“ spricht nun der Schwarze, der immer für einen Dealer gehalten wird. Na klar, da dockt das Publikum an. Ein anderer karikiert die deutschen Supermarktkunden, die es nicht aushalten, wenn jemand das Trennhölzchen nicht aufs Band legt! „Damit kriegt man sie jedes Mal! Ein sicherer Lacher auch die Persiflage der Kassiererinnen bei der Bio Company, die während der Arbeit meditieren – eine ganz eigene Interpretation von Slow Food.

Die Comedy-Szene scheint kurz wie eine Art Notwehr, so eine Art Selbsthilfegruppe, die seit Jahren wächst und gegenseitig die eigenen Niederlagen zum Lachen freigibt. Da sind Tinder-Opfer, Rassismus-Opfer und Antisemitismus-Opfer, die ihre Demütigungen des Tages am Abend als Pointe servieren. Wer über etwas lacht, gewinnt die Hoheit zurück.

Holocaust-Witze: Die Banalität des Blöden

Dann kommt Nir Gottleid mit seinen Holocaust-Witzen. Schwarzer Humor, schwarze Visitenkarte, auf der steht: „Verfügbar für Unternehmensveranstaltungen, Bar Mitzvahs, Kindergeburtstage und alle Gelegenheiten, bei denen Scherze über Konzentrationslager angemessen sind.“ Nun ja. Und weil Humor eine todernste Sache ist, kann man noch bis frühmorgens mit Nir, Dragos und Chris Doering zusammensitzen und über Comedy reden.

Nir hat, bis er vor zwei Jahren nach Deutschland kam, als IT-Spezialist gearbeitet. Er ist israelischer Jude. Seitdem hat er sich darauf spezialisiert, den Deutschen Holocaust-Witze zu erzählen. „Und sie lassen es mir durchgehen“, freut er sich. Gute Laune, harte Themen, ambivalente Gefühle. Das liegt an der Grenzüberschreitung. Er veranstaltet jeden Dienstag ein Open mike in Prenzlauer Berg, und im September gibt es „The Berlin Offensive“, eine Show mit schwärzestem Humor.

"Dieser dicke hässliche Jude, der hier steht in seinen Crocs"

Aber ist das wirklich witzig? Ist das nicht längst ein Genre geworden, das nur noch die Banalität des Blöden zeigt? Nir glaubt, Witz entspränge immer einem Unbehagen. Er genießt es, wenn sich 30 Prozent des Publikums befangen in seinen Sitzen kräuselt und peinlich berührt immer kleiner wird. Darf man darüber lachen? Humor sei immer auch Grenzüberschreitung, glaubt er. Die Erlaubnis dazu erarbeite er sich, indem er sich ausgiebig vorher selbst beschimpft: „Dieser dicke, hässliche Jude, der hier steht in seinen Crocs!“

Warum aber kommen so viele Comedians aus der IT? Ist IT so langweilig, dass die Leute in Comedy flüchten? Nö, sagt Nir, „IT-Leute sind so schlau, dass sie es schaffen, neben ihrem Job auch noch eine Comedy-Show am Laufen zu halten.“

"Wenn Kabarett Jazz ist, ist Comedy Rock 'n' Roll"

Durch Netflix und Youtube sind ja überall die Formate bekannt, sagt Chris Doering. Die ganze Welt wachse jetzt gerade mit englischen Comedy-Formaten und den Stars der Szene auf. Deshalb kommen sie bestens informiert aus der Ukraine, Rumänien, aus Finnland nach Berlin.

Doering, der Deutsche in der Runde, hat zuvor Kabarett gemacht, bevor er in Mexiko und England lebte und zum Stand-up-Comedian wurde. Und ist Verhaltensökonom, der an der Londoner LSE studiert hat. „Wenn Kabarett Jazz ist, ist Comedy Rock ’n’ Roll“, sagt er. Kabarett müsse pointiert sein und dürfe zusätzlich lustig sein. Comedy dagegen müsse in jedem Fall lustig sein und könne pointiert sein. Seit anderthalb Jahren veranstaltet er jeden Montag die „Laughing Spree Comedy“-Show. Als Comedian, sagt er, gehst du ständig deiner Familie auf den Keks, die Testlabor ist für Pointen.

Berliner Comedians sind deshalb so freundlich zueinander, weil nichts zu holen ist, sagt Chris Doering, deutscher Gastgeber der internationalen Show "Laughing Spree Comedy",
Berliner Comedians sind deshalb so freundlich zueinander, weil nichts zu holen ist, sagt Chris Doering, deutscher Gastgeber der internationalen Show "Laughing Spree Comedy",
© Mike Wolff

Doch Typen, die immer ihren eigenen Freundeskreis zum Brüllen bringen, sind nicht zwangsläufig für die Bühne geeignet. Ein fremdes Publikum reagiere ganz anders. Wer Comedy macht, müsse eigentlich gerne schreiben und dann genau über Timing, Präsenz und Pausen nachdenken.

In New York müssen Anfänger für ihre Auftritte sogar zahlen

Sie alle sagen, dass Berlin ein Paradies für Comedians ist. In New York ist der Markt übersättigt, müssen sie manchmal für ihre Auftritte sogar zahlen. Und es kann einem passieren, dass das Publikum dann trotzdem nur aus den anderen Comedians besteht, die auf ihren eigenen Auftritt warten.

Wer wirklich groß werden wolle, sagt Dragos, müsse irgendwann in ein englischsprachiges Land wechseln. In Deutschland gebe es halt keine englischsprachigen Fernsehshows, keine Auftritte in Stadien. Nach der Live-Bühne kommt nichts mehr.

Das, sagt Chris, ist aber genau der Grund, weshalb die Berliner Szene den Ruf hat, besonders freundlich und willkommen heißend zu sein: weil nichts zu holen ist! Weil es nichts gibt, um das sie kämpfen könnten. 

Erfolgsgeheimnis: Kekse

Anfänger lieben das natürlich. Die Shows sind voller Leute, die am Eingang schon einen Schnaps spendiert bekommen haben. Viele kosten keinen Eintritt, Spenden sind freiwillig. Heute Abend hat Dragos am Ausgang für alle, die die Veranstaltung nachweislich sofort auf Facebook empfehlen, Kekse ausgeteilt. Kekse! Im Ernst.

Nicht überraschend, dass Comedy ausgerechnet hier boomt: Man brauche für eine Show – in einer Formulierung, die schon lange vor dem Gendering in Umlauf war – nur „a man and a mic“, einen Mann und ein Mikrofon. Die Produktionskosten sind extrem gering. Und es gibt nichts zu verdienen.

Woran man ein deutsches Publikum erkennt

So ist Berlin nun ein Ausbildungslabor für Comedians und Humor ein Berliner Exportartikel geworden. Ein hauptsächlich mit Deutschen besetztes Publikum erkennen sie daran, dass es bei gelungenen Witzen anerkennend nickt.

Es liege dann an vielen Faktoren, ob ein Witz ein Erfolg ist, eine Show zündet, sagt Doering. Er spricht vom Publikum, dem Timing der Pausen und der Glaubwürdigkeit des Künstlers, der im Idealfall eine Seite seiner Persönlichkeit auf die Spitze treibt. Daran kann man arbeiten.

Leider ist Chris am heutigen Abend aufgefallen, dass der Erfolg beim Publikum auch davon abhängt, wer zu Beginn an der Tür den „Sauren Apfel“ ausgegeben hat. Bei demjenigen lacht das Publikum hinterher lauter. „Oder, Dragos?“ Dragos grinst.

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