Braucht Deutschland ein CNN?: News als Politikum
Ex-ARD-aktuell-Chefredakteur Deppendorf fordert einen öffentlich-rechtlichen 24/7-Nachrichtenkanal. Doch die Sender reichen Entscheidung darüber an die Politik weiter.
Für die ARD war es ein großer Schritt. Am Freitagabend wurde der „Tatort“ im Ersten Deutschen Fernsehen unterbrochen, um in die Berichterstattung über den Putsch in der Türkei einzusteigen. „Tödliches Vertrauen“ war eine „Tatort“-Wiederholung im Spätprogramm, also hat sich die ARD getraut. Was aber wäre gewesen, der Staatsstreich wäre am Sonntagabend, während einer „Tatort“-Premiere in der Primetime, passiert? Laufband, Unterbrechung, Abbruch – und ab nach Hamburg zu einem „Tagesschau spezial“? Spontan-Demos der „Tatort“-Maniacs?
Die ARD wie auch das ZDF stehen im Ereignismoment von Krisen und Katastrophen vor einem Dilemma. Als Sender, die zugleich führende Informationsprogramme sein wollen, müssen sie reagieren, so schnell, so umfassend, so kompetent wie irgend möglich. Das Nachrichtenbedürfnis eines Teilpublikums kreuzt sich mit den Interessen anderer Zuschauer. Erstes und zweites Programm können sich nur falsch entscheiden, allerdings wächst der Druck intern wie extern, sich von der Echtzeit- Dynamik und Live-Dramatik der sozialen Medien nicht weiter überrollen zu lassen. Die linearen Medien sehen gerade sehr alt aus.
Für Ulrich Deppendorf gibt es nur einen Ausweg: „Tagesschau24 oder Phoenix müssen endlich 24hNews Channel werden!! Linear, digital und online!!“, twitterte der frühere ARD-aktuell-Chefredakteur, der bis 2015 Chef des ARD-Hauptstadtstudios war. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel verdeutlichte Deppendorf seine Forderung: „Wenn das ZDF bei Phoenix nicht mitmacht, dann muss die ARD es bei tagesschau24 alleine machen.“ Die Zukunft der ARD werde durch die Information gesichert.
Bei ARD-aktuell im Hamburg gebe es für einen 24h-Nachrichtenkanal die Kompetenz und die Kapazitäten, die natürlich noch ausgebaut werden müssten. Dafür müsse Geld in die Hand genommen werden – „aber keine Riesensummen“. Ulrich Deppendorf sagte zudem, er glaube nicht an den Widerstand der Rundfunkpolitik gegen einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal. „Schauen Sie sich doch unsere Nachbarn an: Großbritannien, Frankreich, Russland, alles Länder mit Nachrichtenkanälen – nur in Deutschland gibt es dieses Programm nicht.“
Für Kai Gniffke, den Ersten Chefredakteur von ARD-aktuell, kommt tagesschau 24 den Anforderungen schon recht nah. „Ob so ein Angebot allerdings auch um vier Uhr nachts Sinn machen würde, darf zu Recht bezweifelt werden“, merkte er an. „Wir denken über andere Lösungen nach, gerade für Nachrichtenlagen, wie wir sie am Wochenende hatten“, sagte er dem Tagesspiegel. Er glaubt auch nicht, dass das Tempo als Reaktion auf die sozialen Medien erhöht werden muss. „Vielmehr kommt es darauf an, mit der Vielzahl zusätzlicher Bild- und Informationsquellen wie den sozialen Medien verantwortungsbewusst umzugehen.“
ZDF will keinen News-Kanal, sondern ein besseres Zusammenspiel von Online und Fernsehen
Für das ZDF sagte Chefredakteur Peter Frey, "ein Nachrichtenprogramm, ob alleine oder mit der ARD veranstaltet, würde Kapazitäten und Ressourcen erfordern, über die wir nicht verfügen". Außerdem erreiche das ZDF mit seiner umfassenden Berichterstattung im Hauptprogramm über solche Ereignisse wie in Nizza oder in der Türkei deutlich mehr Zuschauer als mit einem Nachrichtenkanal. Verstärkt denkt das ZDF laut Frey aber über ein besseres Zusammenspiel von Online und Fernsehen nach. "http://heute.de, das ist doch heute schon unser Nachrichtenkanal. Hier wollen wir die Livestrecken ausbauen."
Der gemeinsame Informationskanal der beiden großen öffentlich-rechtlichen Häuser weist Forderungen wie die von Deppendorf noch weit von sich. „Phoenix gehört zu ARD und ZDF. Unser Auftrag ist es, politische Ereignisse abzubilden, ihre Hintergründe darzustellen und sie einzuordnen. Das tun wir mit sehr knappen Ressourcen, personell wie finanziell. Ein Nachrichtenkanal sollten wir nie sein und haben dazu auch keine Kapazitäten. Über die Einführung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanals im öffentlich-rechtlichen Rundfunk müsste im Übrigen die Politik entscheiden“, erklärte Sendersprecherin Gudrun Hindersin auf Anfrage. Zurzeit sind die Strukturen tatsächlich nicht für eine 24/7-Taktung geeignet: „Wir berichten morgen um 9 Uhr wieder zum #Militaerputsch in der #Türkei“, hatte der Sender am Freitagabend kurz vor Mitternacht getwittert, als sich die Ereignisse in der Türkei gerade überschlugen.