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Dominik Graf im Interview: „Mythologischer Popstarkult“

„Die reichen Leichen“: Ein Gespräch mit Regisseur Dominik Graf über einen sehr anderen Ludwig-II.-Krimi - und über Netflix als Chance für Kreative.

Herr Graf, wer sich Ihren Krimi „Die reichen Leichen“ im Bayerischen Fernsehen ansieht, fragt sich schnell: Was haben Sie gegen die Menschen am Starnberger See?

Gar nix. Ich finde sie in der Verteilung von sympathischen, einsamen, skurrilen, fröhlichen, traurigen, glamourösen Figuren sogar sehr angenehm. Den Gegensatz von finanzieller Goldküste und sozialen Härten im Umfeld des örtlichen Tourismuswahnsinns darzustellen, sollte also gar niemanden verunglimpfen. Im Gegenteil.

Der Eindruck, es wimmelt dort nur so von Freaks und Bonzen, ist also ein falscher?

Absolut, obwohl der erfahrene Polizist seiner jungen Kollegin gleich zu Beginn erklärt, das Klischee von den besoffenen Schnöseln stimme. Wenn man nur an der Oberfläche verbleibt, kann man das natürlich so sehen. Aber unter dem Offenkundigen leben ganz andere Facetten. Dafür muss man bloß mal in die Häuser hinein, statt sie nur von außen zu bestaunen.

Wie tief drin waren Sie denn vorm Dreh? Kannten Sie die Gegend bereits?

Na ja, für Münchner ist der Starnberger See der kürzeste Weg zum nächsten Wasser und somit eine Art städtische Datscha. Ich kenne die Gegend von Kindesbeinen an und war im Sommer mindestens dreimal die Woche dort.

War Ihr Bild also realistisch oder klischeehaft?

Mein Blick war authentisch, aber das Klischee ist es ja auch. Wir sehen da einen Ort, der vor 100 Jahren zum Tourismusziel verkommen ist und trotz all der Millionäre Mühe hat, genug Steuern einzutreiben. Diesen Querschnitt stellt Autor Sathyan Ramesh, der aus Köln stammt und vorher nie in Starnberg war, perfekt dar. Aus filmischer Sicht ist daran aber auch ein Mythos bedeutsam, der den See schon vor Ankunft der ersten Touristen umwehte.

Sie meinen Ludwig II., den „Kini“, der ungebrochen in Bayern verehrt wird.

Unter anderem. Je tiefer man in den Feriensee taucht, desto schneller stößt man auf Ludwigs Mythos, dessen Tod auch einen ungelösten Kriminalfall darstellt. Als wir die erste Motivbegehung hatten, kam ein netter Bayer mit Angel auf uns zu und meinte, „wos mochts’n ihr do?“ Worauf er ansatzlos die zwanzigminütige Theorie seiner Mordversion zum Besten gab.

Hat er sich als „Ludist“ vorgestellt, von denen es im Film nur so wimmelt?

Nein. Aber das ist ja auch die militanteste Form des Enthusiasmus im Sinne der Mordtheorie. Die kennen da kein Pardon. Als wir im Präsidium waren, stand allen Ernstes ein lebensgroßer Aufsteller eines „Guglmanns“ im Eck, der wie ein Kapuzenmann im „Bravo-Starschnitt“ auf die örtliche Polizei niederblickte, um ihre Königstreue zu kontrollieren.

Was sagt das über die Bayern aus?

Jedenfalls nichts, das für eine monarchische Sehnsucht stünde. Eher für eine Art mythologischen Popstarkult, den meiner Meinung nach jede Region kennt.

Was ist für einen Regisseur schwieriger: Das Aberwitzige normal oder das Normale aberwitzig zu inszenieren?

Beides bereitet an bestimmten Punkten Vergnügen, erfordert aber ständige Aufmerksamkeit, keine der beiden Seiten zu übertreiben. Doch zunächst mal verfilme ich ja die Bücher meiner Autoren, denen ich mich sehr verpflichtet fühle. Der Aberwitz entstammt also der Fantasie anderer, den ich mir wie ein Kleidungsstück anziehe. Alles Weitere kommt durch meine Auslegung und die Spielfreude der Schauspieler.

Die Sie hier abermals im Milieu der Reichen zeigen. Warum eignet sich die Villa in Gründwald so gut für den Krimi, dass sie immer wieder zum Tatort wird?

Das ist zum Teil ein Erbe des angelsächsischen Krimis, der schon vor Urzeiten gern in kalifornischen Villen und englischen Landschlössern spielte. Was sich hinter den dicken Mauern der Reichen Unerwartetes verbirgt, eignet sich einfach für spannende Ermittlungen auf unbekanntem, abgründigem Terrain.

Und bietet dem breiten Publikum die Chance, der vermeintlich sorglosen Oberschicht beim Leiden zuzusehen.

Ich glaube eher, dass es der Gegensatz ist, wenn Reichtum auf brutale Armut trifft und Erhabenheit auf heulendes Elend. Die Villen sind da nur besonders hübsche Panoptiken der Welt in ihrer ganzen Vielfalt. Aber das ist Berlins Zuhälter-Milieu meines Films „Hotte im Paradies“ auch.

Um beide Lebenswelten zu erzählen, bedarf es keines Kriminalfalls. Warum wählen Sie so oft dieses Genre, um Ihre Geschichten vom sozialen Miteinander zu erzählen?

Weil mir der Polizeifilm einen verlässlichen Rahmen erzählerischer Kontinuität bietet, dessen Regeln man einhalten oder brechen, aber nie ignorieren kann. Ich könnte das Genre zwischen Hamburg, Duisburg, München noch 50 Mal variieren und mir dennoch vermutlich immer treu bleiben.

Mit ihrem Film „Die geliebten Schwestern“ haben Sie zuletzt ein Historienepos fürs Kino gedreht, sind dem Fernsehkrimi also untreu geworden. War das Exkurs oder Kurswechsel?

Weder noch. Der Polizeifilm ist mein Heimatterrain, aber ich hab immer Ausflüge in Literaturverfilmung und Liebesfilm unternommen. Und am Ende ist das Kino gegenüber dem Fernsehen lediglich mehr Budget. Andererseits bietet Fernsehen oft die Möglichkeit zu kleineren Filmen ohne Förderung. Das sorgt auch für künstlerische Freiheit.

Sehen Sie als Kreativer den Start des Streaming-Dienstes Netflix da eher als Chance oder Bürde fürs Filmemachen?

Erst mal als Chance. Man muss halt sehen, was es für Inhalte gibt und wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen darauf reagiert. Vielleicht kann Netflix dann ein Regulativ sein, damit das alte TV sich auf seine Stärken besinnt.

Sie würden im Zweifel auch fürs Internet arbeiten?

Kein Problem. Solange es am Ende eine DVD gibt, die ich in Händen halten und mit nach Hause nehmen kann, ist mir das völlig egal.

Wofür arbeiten Sie denn als Nächstes – Fernsehen, Kino, Internet?

Ich mache erst mal eine Fernsehdokumentation über den gestorbenen Journalisten Michael Althen, mit dem ich befreundet war. Ein „Polizeiruf“ ist grad fertig. 2015 kommt dann ein LKA-Thriller über deutsche Zielfahnder, die geflohene Straftäter im Ausland verfolgen.

Das Interview führte Jan Freitag.

„Die reichen Leichen“, Bayerisches Fernsehen, Samstag, 20 Uhr 15

Dominik Graf, 62, gehört zu den bedeutendsten Film- und Fernsehregisseuren in Deutschland: „Der Felsen“, „Tatort“, „Die geliebten Schwestern“ – am Sonntag ein neuer „Polizeiruf“

Jan Freitag

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