Aus der Hauptstadt: "Mittagsmagazin" aus Berlin startet mit wenig Berlin
Pannenfreier Auftakt: Das neue ARD-„Mittagsmagazin“ aus Berlin verzichtet zur Premiere auf Überraschungen. Da ist noch Luft nach oben.
Fast 30 Jahre nach dem ersten „Mittagsmagazin“ der ARD aus München gab es jetzt eine weitere Premiere. Nach dem Wechsel der Sendung vom Bayerischen Rundfunk zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) fand am Dienstag die erste Sendung aus Berlin statt. Zu den Neuerungen gehört, dass sich ARD und ZDF ein Studio im dritten Untergeschoss des Zollernhofs teilen, denn im April zieht das ZDF-„Mittagsmagazin“ von Mainz ebenfalls nach Berlin.
Die erste Begrüßung durch die beiden RBB-Moderatoren fällt überraschend kurz aus: „Hallo und herzlich willkommen zum ARD-,Mittagsmagazin‘ aus Berlin. Frohes Neues Jahr“, setzt Jessy Wellmer (moderiert auch „Sportschau“) an und Sascha Hingst („Abendschau“) fährt fort, „und dieses neue Jahr beginnen wir hier in Deutschland mit einem Jubiläum, das allerdings keines zum Feiern ist“. Eine zusätzliche Einstimmung in die neue Sendung gibt es nicht, dafür geht es nahtlos zum ersten Beitrag.
Das erste Thema beschäftigt sich mit der „mächtigsten Nichtregierungsorganisation“. Gemeint ist die Bundesregierung, beziehungsweise der Umstand, dass 100 Tage nach der Bundestagswahl noch keine neue Administration im Amt ist. Aus der üblichen 100-Tage-Bilanz wird so eine 100-Tage-Keine-Regierungsbilanz mitsamt Straßenumfrage mit erwartbaren Bürgerkommentaren wie „Das habe ich noch nicht erlebt“ und „Skandal“. Nicht unbedingt ein Wachmacher.
Das erste Studio-Interview führt Jessy Wellmer mit Thomas Baumann vom ARD-Hauptstadtstudio wiederum zur Hängepartie um die Regierungsbildung. Verwalten statt gestalten, mehr sei derzeit nicht möglich, sagt Baumann, der skeptisch ist, ob es zur Groko kommt. Wellmer und Baumann unterhalten sich routiniert, was allerdings auch kein Wunder ist, schließlich war er während der sechswöchigen Proben bereits Gast im Studio. Zum Thema Regierungsbildung gibt es zugleich die erste Neuerung des neuen „Mittagsmagazins“. In einer kleinen Serie wird beleuchtet, wohin die Parteien steuern wollen. Das Quo vadis beginnt mit der CDU, die zentralen Fragen sind: Kann es mit dem Merkelschen „Weiter so“ tatsächlich weiter so gehen? Und was sind eigentlich die konservativen Werte? Der Bericht von ARD-Reporter Robin Lautenbach blickt weit zurück bis zu Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß.
Die erste Schalte geht nach Sachsen zum neuen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Bei der Frage*, ob Merkel nicht Platz machen sollte, druckst er zunächst etwas herum (man habe ihr sehr viel zu verdanken), bevor er sich dann doch zu der Aussage vorwagt, „wir sind gut beraten, das wir diese Kanzlerin haben“.
Eigene Schwerpunkte setzen
Der erste Schwerpunkt: Zu den Dingen, die der RBB anders machen will, gehört das Setzen von Schwerpunkten. Der erste beschäftigt sich mit der Situation in Deutschlands Notaufnahmen. Rund um Silvester ein lebensnahes Thema, zumal nicht wenige der rund 20 Millionen Menschen, die jährlich zu den Erste-Hilfe-Stationen der Krankenhäuser kommen, auch von niedergelassenen Ärzten behandelt werden könnten. Andreas Gassen, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nutzt das „Mittagsmagazin“ dazu, auf die Notrufnummer 116117 aufmerksam zu machen.
Das erste bunte Thema blickt auf 40 Jahre „Tagesthemen“ zurück, erinnert an Hajo Friedrichs und lässt Anne Will („das war richtig Nationalmannschaft“), Sabine Christiansen und Ulrich Wickert zu Wort kommen. Der SFB/RBB-Mann Robin Lautenbach wird mit seiner Reportage vom Fall der Mauer eingespielt.
Die erste Panne haben Jessy Wellmer, Sascha Hingst und das Team aus rund zwei Dutzend Mitarbeitern am Studio-Standort in Mitte und in der Masurenallee ausgelassen. Kein echter Versprecher, keine Fehl-Schalte, ja noch nicht einmal ein falsches Hintergrundbild auf den drei großen LED-Wänden sind festzuhalten. Dafür eine nette Geste in Richtung München: Das Schlusswort bekommt Christoph Lütgert, der ehemalige Chefreporter des NDR. Warum nur müsse die Sendung nun aus Berlin kommen, der Hauptstadt-Bubble, in der die Politiker doch ohnehin sofort losplappern, weil sie überall Kameras vermuten?, fragt er zunächst, bevor er dann den Zuschauern doch das Einschalten des neuen „Mittagsmagazins“ empfiehlt.
Der erste Eindruck: Da wäre mehr möglich gewesen. Natürlich gibt es die sichtbaren Veränderungen bei Personal und Ambiente. Vor allem von der Nähe zur Bundespolitik erwarten sich die ARD und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger viel. Während das „Morgenmagazin“ den Tag einleitet und die „Tagesthemen“ das Geschehen einordnen, soll das „Mittagsmagazin“ den Blick mitten hinein ins Tagesgeschehen servieren.
Am Premierentag fehlte allerdings das politische Berlin im Studio. Statt dessen wurde reichlich ARD-Kompetenz mit Korrespondenten-Schalten und -Berichten in bester „Weltspiegel“-Manier, mit Thomas Baumann als Studiogast und dem „Tagesthemen“-Jubiläum bewiesen. Wenn Wünsche zum Jahresbeginn erlaubt sind, dann sicherlich auch zum Start einer neuen „Mittagsmagazin“-Epoche: Gerne mehr Berlin, sowohl das politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, aber auch das lebensnahe, Stichwort: Knastausbrüche. Aber vor allem: Viel Mut zu Neuem.
* Korrektur: Das Interview mit Michael Kretschmer führte Sascha Hingst, nicht wie zunächst geschrieben Jessy Wellmer. Wir bitten, den Irrtum zu entschuldigen.