Kinostart von "Liberace": Michael Douglas: "Meine jungen Kollegen tun mir leid"
Heute kommt "Liberace" in die Kinos: Im Tagesspiegel-Interview spricht US-Schauspieler Michael Douglas über offene Hosen, unsexy Bettszenen und die Küsse von Matt Damon.
Mr. Douglas, Ihr Vater war anfangs strikt dagegen, dass Sie in seine Fußstapfen treten, weil es, wie er sagte, im Filmbusiness zu wenig Licht und zu viel Schatten gäbe. Was sind für Sie die Schattenseiten Ihres Berufs?
Erstens ist man oft weit weg von seinem Zuhause – das finde ich vor allem problematisch, wenn man Kinder hat. Zweitens muss man sich bei jedem Projekt wieder auf völlig neue Leute einstellen – dieser ganze Eiertanz des Kennenlernens war mir immer sehr unangenehm. Und drittens ist man ständig dem gierigen Interesse der Öffentlichkeit ausgesetzt – heute noch mehr als zu Zeiten meines Vaters. Früher gab es in Hollywood bloß zwei Klatschkolumnisten, doch mittlerweile ist das Geschäft für Paparazzi durch unzählige Absatzkanäle sehr lukrativ geworden: Da lauerst du bequem mit deinem Teleobjektiv im Auto, und wenn du dein Bild geschossen hast, lädst du es einfach in deinen Computer und bietest es sämtlichen Agenturen an. Meine jungen Kollegen tun mir wirklich leid, denn sie dürfen sich keine Dummheiten mehr erlauben. Aber trotz alledem halte ich die Schauspielerei für einen Traumjob.
Hatten Sie einen Plan B für den Fall, dass Ihr Vater Ihnen die Lust daran austreiben würde?
Ehrlich gesagt hatte ich überhaupt keinen Plan. Ich war ein typischer Hippie-Student, der ab und zu gegen den Vietnamkrieg protestierte und ansonsten das süße Leben in Santa Barbara genoss. Ungefähr in meinem dritten Studienjahr zitierte man mich ins Büro des Direktors und eröffnete mir, ich dürfte nicht weiter ziellos durch die Gegend studieren, sondern müsste mich endlich auf ein Hauptfach festlegen. Ich wählte Theater, weil ich dachte, das wäre am leichtesten.
Sie meinten, Sie hätten das Schauspielgen geerbt.
Genau. Ich muss mich vor allem bei meiner Mutter bedanken, denn sie hat mir die Liebe zur Schauspielerei vermittelt. Zu sehen, mit welcher Begeisterung sie diesen Beruf stets ausgeübt hat, völlig unabhängig von Ruhm oder Erfolg, das hat mich in meiner Jugend stark geprägt.
Und was haben Sie von Ihrem Vater gelernt?
Hartnäckigkeit. Er hat mir beigebracht, alles, was man anfängt, mit hundertprozentiger Hingabe gnadenlos bis zum Schluss durchzuziehen. Außerdem hat er mir gezeigt, dass die wirklich guten Schauspieler in erster Linie gute Zuhörer sind. Das wurde mir mehr und mehr bewusst, als ich ihm bei diversen Dreharbeiten zusah.
Als Sie 1965 Ihren Vater am Set zu „Kennwort ,Schweres Wasser’“ besuchten, hatten Sie angeblich eine Liebesaffäre mit einem norwegischen Mädchen. Ist das eine dieser Legenden, die die Klatschpresse erfunden hat?
Nein, die Geschichte ist ausnahmsweise wahr. Wir drehten im Januar in Rjukan in der Nähe von Bergen, wo es zu dieser Jahreszeit nur von 11 bis 14 Uhr hell ist. Das heißt, wir hatten viel freie Zeit. Alkohol konntest du nirgends kaufen, also musstest du den Busfahrer bestechen, damit er dir Fusel besorgte. Tja, und plötzlich traf ich dort dieses wunderhübsche Mädchen namens Kari. Was soll ich sagen? Ich war jung – und ganz verrückt nach ihr. Sie brachte mir ein paar norwegische Sätze bei, die ich bis heute nicht vergessen habe. Vor fünf Jahren überreichte man mir in Norwegen einen Umschlag mit 20 Briefen, in denen 20 Frauen behaupteten: „Ich bin deine Kari!“
Ist Ihnen die Schauspielerei tatsächlich so leichtgefallen, wie Sie gehofft hatten?
Nein. Ich litt unter entsetzlichem Lampenfieber. Bei den Theateraufführungen an der Uni stand hinter der Bühne ein Eimer, in den ich mich vor meinen Auftritten regelmäßig übergab. Und vor der Kamera hatte ich sogar richtig Angst, weil mal jemand zu mir gesagt hatte: „Die Kamera merkt sofort, wenn du lügst.“ Ich fürchtete mich vor der Kamera wie ein Patient vor einem Röntgengerät. Das war bescheuert – schließlich geht es ja bei der Schauspielerei gerade darum, überzeugend zu lügen. Die ersten Jahre meiner Karriere waren kein Spaß. Da sind einige peinliche Dinge passiert.
Zum Beispiel?
In einem Fernsehfilm sollte ich einen Bankräuber spielen, der in eine Schalterhalle stürmt und die Kunden in Schach hält. Als ich die entsetzten Gesichter der Komparsen sah, dachte ich: „Wow, du warst offenbar verdammt überzeugend.“ Erst später merkte ich, dass mein Hosenschlitz offen stand und die Leute nur deshalb so geschockt waren, weil sie nicht wussten, ob sie mich für einen Räuber oder einen Perversling halten sollten. In dem Kinothriller „Coma“, in dem ich einen Arzt verkörperte, musste ich einen langen, mit medizinischen Fachausdrücken gespickten Monolog halten. Ich war nicht perfekt vorbereitet und besonders nervös, weil Regisseur Michael Crichton selbst Arzt war. Kurz gesagt: Er ließ mich die Szene 68 Mal spielen. Schon nach dem 25. Versuch hätte ich Ihnen nicht einmal mehr meinen Namen nennen können. Sie können sich vorstellen, wie hart ich bei den folgenden Filmen an meinen Monologen gearbeitet habe.
Was er für das schönste Kompliment hält
Wie arbeiten Sie überhaupt mit Regisseuren? Bestehen Sie auf Proben?
Tatsächlich schätze ich eine ordentliche Probenzeit sehr, denn dann geht es später beim Drehen umso schneller. Meine ersten drei Versuche vor der Kamera sind meistens die besten – danach lässt in der Regel die Konzentration nach. Im Übrigen bitte ich bei allen meinen Projekten den Regisseur, mir für jede einzelne Szene des Films seine Vision zu erläutern. Das ist eine sehr nützliche Übung, die ich jedem Filmschaffenden wärmstens empfehlen kann.
Sie haben oft sehr kontrovers diskutierte Filme gedreht. War das eine bewusste Entscheidung?
Ja. Es ist gut und schön, sein Publikum zwei Stunden lang zu unterhalten, aber noch mehr reizt es mich, mit einem Film eine Debatte auszulösen. Als erfolgreicher Schauspieler können Sie zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Entweder Sie bleiben Ihrem Image und Ihrem Rollentypus treu oder Sie nutzen Ihren erworbenen Status dazu, immer wieder etwas Neues auszuprobieren. Für mich ist es das schönste Kompliment, wenn jemand zu mir sagt: „Bei Ihren Filmen weiß ich nie, was mich erwartet – ich weiß nur, dass es gut wird!“
Im Gegensatz zu Ihrem Vater hatten Sie auch keine Scheu vor expliziten Sexszenen …
Glauben Sie mir: Sexszenen sind so ziemlich das Unerotischste und Unspontanste an der ganzen Filmerei. Sie werden von A bis Z durchchoreografiert – wie eine Tanz- oder eine Kampfszene. Dabei kam es mir stets darauf an, dass meine jeweilige Leinwandpartnerin sich möglichst wohlfühlte: Ich habe ihr jede meiner Bewegungen en détail angekündigt, damit sie darauf vertrauen konnte, dass ich ihr nichts aufzwingen würde. In puncto Freizügigkeit sollten Sie meinen Vater übrigens nicht unterschätzen: Es gibt mindestens ein halbes Dutzend Filme, in denen er seinen nackten Hintern zeigt!
Hatten Sie irgendwann im Lauf Ihrer Karriere das Gefühl, aus seinem Schatten herausgetreten zu sein?
Ja, allerdings erst ziemlich spät. Anfangs war ich krampfhaft bemüht, möglichst sensible Filmfiguren zu spielen, um nicht ständig mit meinem Vater verglichen zu werden – bis ich irgendwann herausfand, dass er zu Beginn seiner Karriere ebenfalls einfühlsame Charaktere verkörpert hatte, bevor er mit seinen kernigen Macho-Rollen berühmt wurde. Als ich für „Wall Street“ den Darsteller-Oscar gewann, fühlte ich mich zum ersten Mal als eigenständige Schauspielerpersönlichkeit akzeptiert. Es war, als hätte ich eine schwere Erblast abgeschüttelt. Allerdings muss ich zugeben, dass ich auf den dritten Akt meines Vaters nicht gefasst war.
Was meinen Sie damit?
Den dritten Akt seines Lebens: den Hubschrauberabsturz, den Schlaganfall, die Operationen … Wie er das alles weggesteckt hat, über sich hinausgewachsen und im Rentenalter charakterlich noch einmal gereift ist, lässt mich daneben wieder ganz klein erscheinen. Im Dezember wird er 97, und ich bin sehr stolz auf ihn.
Sie haben ja nun selbst in den vergangenen Jahren einiges durchgemacht – immerhin wurde bei Ihnen Kehlkopfkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Wie geht es Ihnen jetzt?
Ich fühle mich gut! Sehen Sie her: Ich kann mein Sakko nicht mehr zuknöpfen – kein Vergleich zu der Zeit der Chemo- und Strahlentherapie, als ich rund 20 Kilo verloren hatte und manche Revolverblätter schon über meinen baldigen Tod spekulierten. Nun muss ich alle sechs Monate zur Untersuchung, doch die Ergebnisse waren bislang sehr positiv und es besteht nur noch ein Restrisiko von fünf Prozent, dass der Krebs wiederkommt. Aber das Beste an der Überwindung meiner Krankheit ist, dass ich dadurch in meinem Spiel viel freier und mutiger geworden bin. Wer so etwas überstanden hat, der weiß, dass alles andere vergleichsweise bedeutungslos ist. Anders als früher habe ich nun keine Angst mehr. Das sehen Sie auch an meinem neuen Film „Liberace“.
Da spielen Sie den gleichnamigen schwulen, extravaganten, in den 70er Jahren sehr erfolgreichen Entertainer. Wie kam Regisseur Steven Soderbergh ausgerechnet auf Sie?
Keine Ahnung. Im Jahr 2000, bei unseren Dreharbeiten zu dem Thriller „Traffic“, in dem ich einen Richter verkörperte, sah mich Steven plötzlich schräg von der Seite an und meinte: „Hast du mal daran gedacht, Liberace zu spielen?“ Als paranoider Schauspieler dachte ich sofort: „Oh Gott, will er mir damit sagen, dass ich mich zu schwul bewege?“ Jahre später schickte mir Steven dieses fantastische Drehbuch, das auf den Memoiren von Liberaces Liebhaber Scott Thorson basiert, und sagte, er wolle diese Liebesgeschichte gern mit mir und Matt Damon verfilmen. Das hat mir bei meinem Kampf gegen den Krebs viel Hoffnung und Inspiration gegeben.
Wie er sich auf seine neue Rolle vorbereitet hat
Soderbergh und Damon haben auf Sie gewartet?
Ja, und ich bin ihnen ewig dankbar dafür! Sie taten zwar so, als hätten sie unaufschiebbare andere Projekte, aber hinter meinem Rücken tuschelten sie: „Michael ist noch nicht so weit.“ Und sie hatten recht. Ich brauchte noch ein Jahr, bis ich meine alte Stärke zurückgewann. Das erwies sich jedoch als großes Glück.
Inwiefern?
Weil ich dadurch Zeit hatte, mich akribisch vorzubereiten. Es gab eine Menge Videoaufnahmen von Liberace, so dass ich sein Auftreten, seine Stimme und seine Bewegungen exakt studieren konnte. Er war ein Pianovirtuose, und ich kann eigentlich gar nicht Klavier spielen. Seine Boogie-Woogie-Nummer, mit der unser Film beginnt, habe ich mir unzählige Male angesehen, bis ich sie zumindest optisch überzeugend imitieren konnte – zum Glück hören Sie nicht, was ich da wirklich spiele! Schließlich sprach ich mit Leuten, die Liberace gut kannten. Sie schwärmten unisono von seiner Großzügigkeit, seiner Umgänglichkeit und seiner ansteckenden Lebenslust.
Haben Sie diese Lebenslust mit ihm gemein?
Schön wär’s! Liberace schäumte geradezu über vor Freude an allem, was er tat. Wenn ich nur halb so viel Spaß am Leben hätte wie er, wäre ich froh.
Sind Sie ihm je begegnet?
Ja, ein einziges Mal, mit rund 15 Jahren, als ich meinen Vater in Palm Springs besuchte. Wir standen im Auto an einer Ampel, als neben uns ein Rolls-Royce-Cabrio mit offenem Verdeck hielt. Während Liberace mit meinem Vater ein Schwätzchen hielt, starrte ich fasziniert auf seinen Kopf: Trotz des starken Windes bewegte sich kein einziges Haar. Mein Vater erzählte mir später, dass die Leute in Palm Springs sich zwar ständig gegenseitig einluden, es aber nicht gern sahen, wenn Liberace seine Lustknaben mitbrachte. Er war sozusagen das schwule Pendant zu einem reichen Kerl, der auf blonde Betthäschen steht – seine Häschen hatten eben ein Schwänzchen.
Wie sind Sie an Ihre Liebesszenen mit Matt Damon herangegangen? Haben Sie sich einfach vorgestellt, er hätte kein Schwänzchen?
Wir haben kein großes Brimborium um die Sache gemacht. Matt und ich sahen uns an und sagten: „Du hast das Drehbuch gelesen, oder?“ – „Ja.“ – „Ich auch. Also lass uns loslegen.“ Und nach dem ersten Kuss war das Eis gebrochen.
Küsst er gut?
Ich muss zugeben, dass ich bei der Erforschung seiner Kusskünste vielleicht nicht ganz so weit gegangen bin wie bei manchen Damen. Aber was er mir gezeigt hat, verrät durchaus Talent. Ich glaube, am besten küsst er, wenn man den richtigen Lippenpflegestift aufträgt. Soll ich Ihnen einen Tipp geben? Matt Damon steht auf Pfirsichgeschmack! Ganz im Ernst: Ich bewundere Matt für den Mut, nach seinem Mega-Erfolg mit Filmen wie der „Bourne“-Trilogie so eine Rolle anzunehmen.
Hätten Sie sich das auf dem Höhepunkt Ihres Erfolgs Ende der 80er Jahre auch getraut?
Vermutlich nicht. Doch damals wäre vielleicht die Zeit für einen solchen Film auch noch nicht reif gewesen: Homosexualität fand da ja vorwiegend hinter verschlossenen Türen statt. Selbst Liberace hat sich nie geoutet.
Er starb 1987 an Aids. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, die anrührende Sterbeszene des Films zu drehen?
Sie zu drehen, fiel mir erstaunlich leicht. Sie später auf der Leinwand zu sehen, konnte ich hingegen kaum ertragen – ich musste ständig an meine schlimmste Krebsphase denken und fragte mich: „Wird es etwa mal so enden mit dir?“ Auch meinen Vater hat diese Filmszene furchtbar mitgenommen. Da wir uns sehr ähnlich sehen, kann es durchaus sein, dass er dabei an seinen eigenen Tod gedacht hat. Verzeihen Sie, dass ich ein wenig sentimental werde, aber schließlich sind wir hier in Deauville: Vor gut 30 Jahren wurde mein Vater beim hiesigen Filmfestival für sein Lebenswerk ausgezeichnet, vor sechs Jahren ich selbst. Und außerdem habe ich hier vor genau 15 Jahren die große Liebe meines Lebens kennengelernt.
Stimmt es, dass Antonio Banderas dabei als Kuppler fungiert hat?
Wenn Sie so wollen, ja. Ich stellte damals in Deauville meinen neuen Film „Ein perfekter Mord“ vor, während Antonio „Die Maske des Zorro“ präsentierte. Bei einem offiziellen Festivaldinner bemerkte ich an seinem Tisch eine atemberaubend schöne Frau, die ich nicht kannte. Ich ging kurzerhand zu ihm hin und flüsterte ihm ins Ohr: „Können wir kurz nach draußen zum Rauchen gehen?“ Er kam mit, und ich fragte ihn: „Wer ist denn das umwerfende Mädchen an deiner Seite?“ Er sagte: „Das ist Catherine Zeta-Jones, die Hauptdarstellerin unseres Films.“ Daraufhin bat ich ihn, mich ihr vorzustellen. Tja, und den Rest der Geschichte kennen Sie ja!
Marco Schmidt
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