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Ohne Hochleistungsrechner würde die Forschung an "individuellen Therapien" nicht funktionieren. Rechner werden bei der Sequenzierung, aber auch für das Durchforsten der Datenbanken benötigt.
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IT und Medizin: Meine Pille, deine Pille

Pharmaunternehmen, Ärzte und Patienten hoffen auf eine „personalisierte Medizin“. Das öffnet auch IT-Unternehmen neue Märkte. Das Hasso-Plattner-Institut sieht eine neue Beschäftigung für seinen superschnellen Rechner.

Noch ist der Weg weit, aber in der Zusammenarbeit von Genom- und Computerforschung könnte am Ende eine neue Behandlungsform stehen: die personalisierte Medizin. Heute werden Patienten im Prinzip alle gleich behandelt, nach standardisierten Therapievorschlägen. In Zukunft sollen Therapien genau auf den individuellen Menschen zugeschnitten werden. Besonders bei Krebstherapien könnte das bedeutend sein. Der schwarze Hautkrebs sei so ein Beispiel, für den bereits erste spezielle Therapien zur Verfügung stehen, sagt Bernd Timmermann, Molekularbiologe am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Doch nicht nur Ärzte und Patienten hoffen auf die personalisierte Medizin. „Viele Firmen sind dabei, diesen Bereich für sich zu entdecken und wittern ein großes Geschäft.“ Beim Max-Planck-Institut stehen ganze Räume voller Server, die an der Sequenzierung von Genomen arbeiten. Doch auch der Bedarf an Rechnerleistung zur Analyse der Daten sei riesig.

Hochleistungsrechner sollen bei der Analyse der gesammelten Daten helfen – und an diesem losen Ende der Forschung arbeitet seit etwas mehr als einem Jahr auch das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam. „High-Performance In-Memory Genome-Projekt“ heißt das Projekt. Es geht um die blitzschnelle Analyse von Daten des menschlichen Genoms mittels hochleistungsfähiger Computertechnik.

Das HPI hat in diesem Bereich eine doppelte Expertise. Zum einen in der Datenbanktechnik, die ursprünglich für die schnelle Analyse großer Mengen von Unternehmensdaten entwickelt wurde. Die Technologie ist besonders schnell, unter anderem weil die Daten direkt im Arbeitsspeicher des Computers abgelegt werden. „In-Memory-Technologie“ heißt das Verfahren. Die Datenbanktechnik ist das Arbeitsgebiet des Softwareunternehmens SAP, dessen Mitgründer Hasso Plattner das HPI als An-Institut der Uni Potsdam gegründet hat. Er finanziert es aus privaten Mitteln. Zweitens verfügt das HPI über einen jener „Supercomputer“, die zur Analyse benötigt werden.

Die Maschine steht hinter einer unscheinbaren Tür in Raum H.2.54. Von draußen ist so etwas wie Meeresrauschen zu hören. Das ist das Summen der Klimaanlage. Sie soll für den Hochleistungsrechner mit 1000 Kernen für optimale Arbeitsbedingungen sorgen. Im vergangenen Jahr hat das Institut den Rechner in Betrieb genommen. Zum Vergleich: Computer für den Hausgebrauch haben normalerweise vier, wenn sie richtig schnell sind, acht Kerne. „Weltweit“, sagt Schapranow, „gibt es nur noch zwei vergleichbare Hochleistungsrechner.“ Sie stehen beim Softwarekonzern SAP in Walldorf und in den USA.

Schapranow und sein Team am HPI stehen noch am Anfang ihres Forschungprojektes. Das Team, das Schapranow leitet, ist klein: 13 Studenten und zwei wissenschaftliche Mitarbeiter arbeiten an dem Projekt mit. Die Arbeitsbedingungen hingegen scheinen ideal: Auf dem Campus am Griebnitzsee verfügt das Institut über helle, großzügige Räume, zurückhaltend eingerichtet. In Schapranows Büro steht nicht viel mehr als ein Computer und ein paar medizinische Lehrbücher.

Ende 2011 stand Matthieu-Patrick Schapranow kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation. In der Arbeit ging es darum, Plagiate in der pharmazeutischen Industrie zu erkennen und zu verhindern. Hasso Plattner fragte ihn damals, ob er die Arbeit fortsetzen und ein neues Forschungsgebiet an seinem Institut übernehmen wolle. Wenig später beginnt Schapranow mit der Arbeit am Genom-Projekt. „Wir sind ein Forschungsinstitut, wir entwickeln keine Produkte und wir sind kein Dienstleister, hier arbeiten auch keine Mediziner“, stellt Schapranow klar. „Wir erforschen neue Datenbankkonzepte.“ Dafür sammeln die Wissenschaftler Daten aus frei verfügbaren Datenbanken, wie zum Beispiel des National Center for Biotechnology Information in den USA, um eine Wissensdatenbank zu erstellen. „Wir verändern die Daten nicht“, sagt Schapranow. „Wir helfen, genetische Daten auszuwerten und zu durchsuchen.“

Der Bedarf ist groß. Die computergestützte Sequenzierung des Materials ist immer schneller geworden. Gleichzeitig fallen riesige Datenmengen an. Die Auswertung der Daten setzt dem Forschungsbereich zur Zeit noch Grenzen. „Seit fünf Jahren befindet sich unser Forschungsgebiet im Umbruch“, sagt Timmermann vom Max-Planck-Institut. Timmermann leitet ein Team, das für mehr als 20 Institute DNA-Sequenzierungen durchführt. Das menschliche Genom hat rund drei Milliarden Bausteine. Um diese vollständig zu entschlüsseln habe das Human-Genome-Project zehn Jahre gebraucht und es habe mehr als eine Milliarde Euro gekostet. „Heute dauert die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms nicht einmal mehr zehn Tage und kostet um die 5000 Euro“, sagt Timmermann. „Das ist eine unglaubliche Entwicklung.“

Timmermanns Team ist Teil des 1000-Genome-Projekts, das die Genome von rund 2500 Menschen sequenziert, um so die normale genetische Variabilität unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu identifizieren. Analysiert man ein einzelnes menschlichen Genom, weicht etwa jeder eintausendste Baustein von dem anderer Menschen ab. Das macht 3,5 Millionen Abweichungen von Mensch zu Mensch. Diese Abweichungen von der Referenzsequenz können entweder bedeuten, dass ein Mensch die Veranlagung zu einer bestimmten Krankheit hat, oder sie bedeuten eben einfach nur, dass er eine andere Haarfarbe hat. „Wir wollen herausfinden, was ist Rauschen, was ist womöglich ein Risikofaktor“, sagt Timmermann.

Um zwischen Rauschen und Risikofaktoren zu unterscheiden, ist Computertechnik nötig, wie das HPI sie entwickelt. Wissenschaftler können die Wissensdatenbank des HPI nutzen, um Antworten auf ihre Fragen zu finden. Wenn bei einem Patienten eine genetische Variante erkannt wurde, kann die Datenbank zum Beispiel Aufschluss darüber geben, zu welchem Ergebnis eine bestimmte Therapie in ähnlichen Fällen geführt hat. Eine andere Fragestellung könnte sein, warum ein bestimmtes Medikament bei 80 Prozent der Patienten in einer Gruppe wirkt und bei 20 Prozent nicht. „Man könnte diese Datenbank zum Beispiel auch mit Umweltdaten füttern“, sagt Schapranow. „So ließe sich ermitteln, ob es eine Korrelation zwischen Umwelteinflüssen und einer bestimmten Erkrankung gibt.“ Und weil es sich um einen Hochleistungsrechner handelt, dauere eine Abfrage eben nicht mehr Tage sondern nur wenige Sekunden. „Die Analyse ist interaktiv, sie findet direkt statt, wenn die Daten abgefragt werden.“

Das HPI, sagt Schapranow, arbeite bereits mit Forschern und Unternehmen zusammen. Namen will er nicht nennen. Das ferne Ziel könne es sein, Genomdaten über eine Cloud-Anwendung Medizinern und Forschern überall auf der Welt zur Verfügung zu stellen. Dann könnten sie ihre Daten blitzschnell analysieren, statt über Wochen hinweg im Internet oder in der Literatur zu recherchieren. Doch bis aus der Datenbank tatsächlich ein Produkt geworden ist, das zunächst in der Forschung, später vielleicht auch in Krankenhäusern und Arztpraxen eingesetzt wird, wird noch viel Zeit vergehen. „Wir denken, dass Pharmaunternehmen daran Interesse haben könnten“, sagt Schapranow.

Noch ist vieles im Forschungsfeld der personalisierten Medizin eine Vision. Doch bereits jetzt wird Wissen in Datenbanken angehäuft, die Analysetechniken werden besser. Das bringt neue Herausforderungen mit sich, für den Datenschutz, aber auch in ethischen Fragen. Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich bereits seit Jahren intensiv mit der Thematik. Am Dienstag präsentiert er nach langen Beratungen seine Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik.

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