"Focus"-Chef verteidigt umstrittenes Cover: Medien-Diskussion geht weiter: "Wir bilden ab, was leider passiert ist"
Sexistisch und rassistisch ist das Titelbild des "Focus" zu den Übergriffen in Köln, meinen Kritiker. Chefredakteur Ulrich Reitz findet die Vorwürfe "albern". Autorin Hatice Akyün wirft ihm "vorgespielten Aufklärungsjournalismus" vor. Auch andernorts wurde Selbstkritik an der Berichterstattung geübt.
„Focus“-Chefredakteur Ulrich Reitz verteidigt den umstrittenen „Focus“-Titel zu den sexuellen Übergriffen auf Frauen in Köln. „Wir bilden ab, was leider passiert ist“, sagte er am Samstag dem Tagesspiegel. Wer behaupte, das Cover sei sexistisch und rassistisch, „der hat Angst vor der Wahrheit.“
Große, schwarze Handabdrücke auf einer nackten weißen Frau
Das Titelbild des Magazins aus dem Burda-Verlag wird in den sozialen Netzwerken scharf kritisiert. Es zeigt eine blonde, weiße, schlanke, unbekleidete Frau, auf deren Haut große Handabdrücke zu sehen sind. Die nackten Brüste sind verdeckt von der Überschrift: „Frauen klagen an.“ Über den nackten Körper gelegt sind zwei weitere Zeilen: „Nach den Sex-Attacken von Migranten: Sind wir noch tolerant oder schon blind?“
Reitz findet die Vorwürfe "albern"
Reitz bestreitet, dass es sich dabei um eine sexistische und rassistische Darstellung handele. Es sei „albern“, sich an den schwarzen Händen auf weißer Haut abzuarbeiten. „Das sind Leute, die keine Ahnung davon haben, wie man Themen illustriert“, sagte er. Ziel sei gewesen, die Bedrohung und Entwürdigung zu dokumentieren, die die Frauen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof erlebt hätten. Weil es dazu keine Fotos gebe, habe sich der „Focus“ für die Optik mit der weißen Frau und den schwarzen Händen entschieden. "Das ist ebenso wenig sexistisch wie die heutige Aufmachung der ,Süddeutschen Zeitung'".
Rassistisches Klischee vom bösen, schwarzen Mann
Und dennoch gibt es hier einen klaren Unterschied: Der Focus wählt keine Grafik sondern ein schwarz-weiß Foto - das offensichtlich stellvertretend für das schwarz-weiß Denken der Titel-Gestalter steht. Keine Hautfarbe färbt ab! Die "Focus"-Darstellung bedient deshalb das rassistische Klischee vom bösen, schwarzen Mann, der sich an der weißen Frau vergreift. Und wie kommt man auf die Idee, das Thema Sexismus mit einer nackten Frau zu bebildern?
Keine Bedenken in der Redaktion?
Doch solche Überlegungen seien „kein Thema“ gewesen bei der Diskussion über die Titelgestaltung, erzählt Reitz.
Sollte sich niemand in der Redaktion getraut haben, Einspruch gegen das Cover zu erheben, wäre das bemerkenswert. Noch schlimmer aber wäre, wenn in der "Focus"-Redaktion tatsächlich niemand den Titel als problematisch empfunden hat. Reitz bleibt jedoch dabei: "Nicht das ,Focus-Cover‘ ist eine Provokation, sondern die Ereignisse in Köln."
Beate Wedekind ruft zum "Focus"-Boykott auf
Das sehen die Kritiker jedoch anders. Beate Wedekind, die frühere Chefredakteurin der Burda-Titel "Bunte" und "Elle", rief auf Facebook zum Boykott des Magazins auf mit dem Hinweis, dass ihr Aufruf gerne geteilt werden könne: „NIEMAND sollte diese Ausgabe von FOCUS kaufen. Der Titel ist eine einzige VERHÖHNUNG! Zum Kotzen“, schrieb sie. „Macho wie der Focus-Gründer Markwort, dessen Haltung offensichtlich immer noch abfärbt. Färben Hände von Dunkelhäutigen ab? So jedenfalls sehen für mich die schmierigen Handabdrücke aus, die eine blonde, weiß häutige, unbekleidete Frau betatscht haben...“. Sie werde „das WIDERLICH SEXISTISCHE UND RASSISTISCHE Titelbild hier nicht posten, will mich nicht an der Verbreitung dieses Schmutzes beteiligen.“ Sie wünsche sich, „dass die Redakteurinnen und die Redakteure des ganzen BURDA-Verlages, die Hirn, Herz, Verstand und Mitgefühl haben, einen Aufstand machen. ICH BITTE EUCH DRUM.“ Wäre sie noch bei ihrem früheren Verlag, „ich würde das sofort auf die Beine stellen!“
Kritisiert wird nicht nur das "Focus"-Cover
Wedekinds Aufruf wurde auf Facebook inzwischen mehr als 1500 Mal geliked und mehr als 500 Mal geteilt. Reitz kann Wedekinds Reaktion allerdings nicht nachvollziehen: „Das Gegenteil von intelligenter Auseinandersetzung ist Boykott“, meint er.
Kritisiert wird allerdings nicht nur das Cover, sondern auch die Zitate von prominenten Frauen, die der „Focus“ verwendet hat. Autorin Hatice Akyün, die auch für den Tagesspiegel schreibt, ist mit Bild und einer Stellungnahme zu Köln in der Ausgabe abgedruckt. Der „Focus“ hatte sich aus einem öffentlichen Facebook-Posting bedient. „Mit vollem Bewusstsein und ohne Rücksicht hat der ,Focus‘ meine Worte gedreht und geschüttelt, damit sie in ihren rassistischen Kontext passen“, sagte Akyün am Sonntag dem Tagesspiegel. Sie sei darüber „sehr wütend“.
"Vorgespielter Aufklärungsjournalismus"
Akyün wird in der Titelgeschichte zu den Übergriffen in Köln neben anderen Frauen zitiert mit der Aussage: „Armlänge, my ass. Ich kämpfe nicht mein Leben lang gegen Männer, die glauben, mit einem Pimmel sei man stärker, und man hätte mit ihm mehr Rechte, um ihnen dann meinen Raum zu überlassen. Nicht einen Zentimeter kriegt ihr. Kommt ruhig näher, mein Fuß steht bereit.“
„Ich gestehe, dass ich beim Schreiben meiner Worte nicht an die Kollegen beim ,Focus‘ gedacht habe“, sagte Akyün. Doch deren Hirne „sind offenbar so fest auf ,rassistisch‘ und ,sexistisch‘ getackert, dass ich für sie hätte noch einen Zusatz formulieren müssen: „Männer aus allen geografischen Richtungen, die ein Kompass so hergibt.“ Reitz wirft sie „vorgespielten Aufklärungsjournalismus“ vor. Er habe den Titel „mit voller Absicht so rassistisch und sexistisch gestaltet, um die jetzt erzielte Aufmerksamkeit zu bekommen."
Auch der Titel der "Süddeutschen" wird kritisiert
Doch nicht nur der „Focus“ wird für seine Darstellung zu Köln kritisiert. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ ("SZ") wählte ein Illustration, die umstritten ist. Sie zeigt eine weiße Frau vor schwarzem Hintergrund, der eine schwarze Hand in den Schritt greift. Allerdings ist das Bild weit weniger prominent in einem kleinen Kasten auf der Titelseite vom Samstag zu sehen.
Während Reitz trotz der Kritik weiter zum "Focus"-Cover steht, entschuldigte sich "SZ"-Chefredakteur Wolfgang Krach via Facebook für die Grafik. "Sie bedient stereotype Bilder vom ,schwarzen Mann', der einen ,weißen Frauenkörper' bedrängt" und könne so verstanden werden, "als würden Frauen zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollten wir nicht. Wir bedauern, wenn wir durch die Illustration die Gefühle von Leserinnen und Lesern verletzt haben."
Auch andernorts wurde Selbstkritik geübt. Im Radio-Eins-Medienmagazin hat sich Peter Huth, Chefredakteur der "B.Z.", über die Berichterstattung zu den Vorfällen in Köln geäußert und eingeräumt: "Wir hätten einen Tag früher einsteigen müssen." Am 6. Januar erschien die Zeitung mit zwei Titelseiten - eine mit Internet-Informationen, eine mit Fakten.
Der "Spiegel" nutzt ein Reportagefoto
Auch der „Spiegel“ titelt mit den Ereignissen in Köln - doch hat sich das Magazin für ein Foto entschieden. Es zeigt eine Menge von Menschen, die auf dem Bahnhofsplatz Böller abschießen. "Auf der Kippe. Wie die Silvesternacht Deutschland verändert“, lautet die Titelzeile dazu.
Der „Stern“ hat dagegen in dieser Woche das Thema Köln komplett ignoriert. „Leichter schlank“, titelte das Magazin in seiner Ausgabe am Donnerstag. Zu sehen – und das dürfte jetzt niemanden überraschen – ist eine junge schlanke Frau mit nacktem Oberkörper.
Es gibt zum Thema Sexismus offensichtlich noch viel Diskussionsbedarf.