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Seitenwechsel: In der Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ spielte Max Riemelt einen Mafiajäger, in der Netflix-Serie „Sense8“ – Start weltweit am Freitag – gehört der 31-Jährige selbst zu den Bösen.
© Netflix

„Natürlich leckt man da Blut“: Max Riemelt über die erste TV-Serie der "Matrix"-Macher

Max Riemelt ist eine von acht zentralen Figuren in der Netflix-Serie „Sense8“. Im Tagesspiegel-Interview spricht er über die Arbeit mit den Wachowski-Geschwistern, Partys im Berliner Berghain und internationale Karrieren

Herr Riemelt, welchen Unterschied macht es bei den Interviewanfragen, wenn man für Netflix an einer Serie mitwirkt, die in 40 Ländern zeitgleich startet und so 60 Millionen Menschen erreichen kann?
Die Netflix-Serie „Sense8“ ist tatsächlich eine große internationale Produktion mit einem Riesenapparat. Das wird sofort ganz anders wahrgenommen, auch von der Presse.

In Deutschland können das jedoch im Moment nur ganz wenige Menschen sehen.
Theoretisch kann es ganz Deutschland sehen …

… aber praktisch …
… ist Neflix seit letztem Jahr in Deutschland angekommen, und das Abo ist auch nicht so teuer.

Und welchen Unterschied macht es für Sie als Schauspieler, mal nicht fürs klassische lineare Fernsehen zu arbeiten?
Wir haben wirklich ganz unglaubliche Freiheiten, die das Projekt ganz anders wirken lassen. Dazu gehört, dass man mit allen Konventionen bricht und jetzt wirklich alles zeigen darf. Viel Sex, viel Gewalt, vor allem aber dürfen wir Sachen machen, die den TV-Sendern zum Teil nur unter Auflagen möglich sind. Damit erreicht man auch viel mehr Leute. Ich versuche, so locker wie möglich damit umzugehen.

In „Sense8“ werden Gender-Themen aufgegriffen, Homosexualität wird nicht so verdruckst dargestellt.
Der Geist, der am Set geherrscht hat, war ziemlich offen. Die Schauspieler haben die gewisse Erfahrung und das nötige Bewusstsein, um dem auch gerecht zu werden. Schließlich geht es darum, in die Realitäten von ganz unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Orten der Erde einzutauchen.

„Was ist die Matrix?“, ist eine ganz entscheidende Frage in der Trilogie der Wachowski-Geschwister. Jetzt an Sie die Frage: Was ist „Sense8“?
Zuerst einmal ein Phänomen, das die acht Personen in den verschiedenen Orten wie San Francisco, London, Mumbai, Nairobi und Berlin anfangs auch nicht deuten können und das sie erst im Verlauf herauskriegen. Ihre Gehirnhälften verwachsen, sie können dadurch Emotionen miteinander teilen, das Bewusstsein. Alle Sinne sind miteinander verbunden.

Dieser achte Sinn ist jedoch nicht nur sehr verwirrend, sondern auch sehr gefährlich, weil eine böse Organisation den Sense8 nach dem Leben trachtet beziehungsweise medizinische Versuche mit ihnen machen will.
Das stimmt. In der Natur gibt es Pilz- oder Baumkulturen, die über weite Entfernungen miteinander vernetzt sind. Was in „Sense8“ einer dieser acht Personen passiert, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die anderen. Man ist nicht mehr nur ein einzelnes Individuum, sondern eine Symbiose aus vielen Menschen, die alle aufeinander angewiesen sind.

Die Zuschauer werden Zeit brauchen, um in diese Geschichte hineinzufinden. Wie viel Geduld sollten sie mitbringen?
Mehr als üblich, würde ich sagen. Ein gewisses Interesse an solchen Themen kann nicht schaden. Andererseits ist für jeden etwas dabei, weil viele Genres bedient werden. Durch die Serie schärft man das Bewusstsein für die Welt, was alles parallel passiert oder passieren kann, während man sich hier Sorgen um seine vermeintlich kleinen Probleme macht. Die Serie erfüllt aber auch ein Bedürfnis der Zuschauer, die nicht nur immer mehr gucken, sondern auch immer stärker gefordert werden wollen. Sie wollen nicht alle Informationen auf dem Silbertablett erhalten, sondern selber die Zusammenhänge herausfinden. Vielleicht braucht es dafür eine Plattform wie Netflix.

Die Serie wurde an den Heimatorten der acht Figuren gedreht. Die Schauspieler waren so nebenbei auch Guides für ihre Kollegen. Sie haben für sie gekocht…
Das stimmt nicht ganz, ich habe sie zum Essen eingeladen. Und ich habe versucht, ihnen die schönen Seiten von Berlin zu zeigen, auch wenn es wenig Freizeit gab.

Was hat die anderen an Berlin oder Deutschland besonders interessiert?
Wir sind alle ziemlich jung am Set und wollen natürlich auch feiern gehen. Da habe ich Tipps gegeben. Nach Drehschluss war ich mit Brian J. Smith, der den Chicagoer Cop spielt, im Berghain. Es war jetzt nicht so ausschweifend, aber er war sehr beeindruckt.

Was an der schauspielerischen Weltreise hat Sie besonders beeindruckt?
Die Leute vor Ort kennenzulernen. Marco, mein Betreuer in Indien, stammt aus Serbien, lebt aber schon seit fünf Jahren in Mumbai und konnte mir den Ort von einer ganz anderen Seite zeigen. Die Serie wurde übrigens wirklich an den Orten gedreht, die in der Serie gezeigt werden. Es wurden keine Greenscreens verwendet oder Ersatz-Locations. Das wirkt dann ganz anders, genau wie das Licht ganz anders aussieht.

„Sense8“ ist eine der komplexesten und ambitioniertesten fiktionalen Serien derzeit. Wie lange habe Sie gebraucht, um sich in die Rolle hineinzuversetzen?
Das war ganz schwer, weil letztlich nur die Regisseure wussten, was am Ende herauskommt.

In Deutschland hat Tom Tykwer Regie geführt, sein Film „Cloud Atlas“ gibt möglicherweise einen leichten Vorgeschmack auf „Sense8“. Konnten Sie sich dadurch nicht etwas besser darauf einstellen?
Wie gesagt: Jede Stadt sieht anders aus, wir hatten unterschiedliche Kameramänner. Die künstlerische Leitung hatten jedoch immer die Wachowskis, die immer wieder draufgeschaut, aber auch Ideen geteilt haben. Die Wachowskis sind sehr anspruchsvoll, geben aber auch viel und teilen ihre Gedanken – und lassen dich auch an ihrem Leben teilnehmen. Es ist nicht so, dass man total abgeschottet ist und nur bei der Arbeit aufeinandertrifft. Ihr Engagement geht auf die anderen über, das ist sehr motivierend.

Serien schreien nach Fortsetzungen, gibt es für „Sense8“ bereits Signale?
Signale ja, aber keine konkreten Pläne.

40 Länder, 60 Millionen Zuschauer – könnte das der Beginn einer großen internationalen Karriere sein?
Natürlich leckt man da Blut. Es ist wahnsinnig interessant, mit internationalen Leuten zu arbeiten, weil sie andere Themen behandeln. Zugleich will ich mich nicht allein über meinen Beruf als Schauspieler definieren und mich davon nicht verrückt machen lassen.

Kurt Sagatz

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