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Tom Hanks als Schiffsarzt und Jim Sturgess als sein Patient.
© X-Verleih

"Cloud Atlas" - der Film: Der Tykwer-Wachowski-Komplex

David Mitchells Roman "Cloud Atlas" galt als unverfilmbar. Nun läuft das 100-Millionen-Dollar-Ding, das unbedingt ein Erfolg werden muss, im Kino. Nur funktioniert die sechs Episoden und fünf Jahrhunderte umspannende Story nicht sonderlich.

Wenn die Erinnerung an den mächtig prächtigen Bildersalat nicht trügt, dann öffnet sich für die Heldin aus Episode 5, Duplikantin Sonmi-451, nach ihrem restirdischen Leidensweg und zu Beginn ihrer Göttinnenwerdung eine Himmelstür. Ob die Macher von „Cloud Atlas“ bei dieser im Jahr 2144 siedelnden Szene womöglich an „Heaven’s Gate“ gedacht haben, Michael Ciminos Jahrhundertflop? Das wäre arg viel der prognostischen Selbstironie. Denn Ciminos megalomanischer Spätwestern von 1980, dessen Budget sich damals auf die Rekordhöhe von 44 Millionen Dollar schraubte, ruinierte nicht nur die Unabhängigkeit des traditionsreichen Studios United Artists, sondern auch Ciminos Ruf als Regisseur.

Nein, so darf man gar nicht zu denken wagen. Zu viel steht auf dem Spiel bei dem 104-Millionen-Dollar-Projekt, für das die Produzenten, allen voran Stefan Arndt von X-Filme, überall auf der Welt Geld aufgetrieben haben, weil kein Hollywoodstudio die Verfilmung des als unverfilmbar geltenden Romans von David Mitchell schultern wollte. Zwar haben sechs deutsche Förderinstitutionen bei diesem bislang teuersten deutschen, überwiegend in Babelsberg gedrehten Film enorm zugebuttert – rund 17 Millionen Euro. Der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) bewilligte erstmals seine Maximalsumme von zehn Millionen, die Filmförderanstalt eine Million, ebenfalls Rekord, und das Medienboard Berlin-Brandenburg anderthalb, auch hier gab es noch nie mehr für einen Film. Das aber erbringt nur ein rundes Fünftel des Gesamtsümmchens. Kein Wunder, dass der Schlaf von X-Filme- Chef Stefan Arndt angesichts des Restrisikos schon länger leidet.

Tatsächlich macht der 172 Minuten lange Film von Tom Tykwer und den Geschwistern Andy und Lana Wachowski, der dauernd zwischen Historienepos, Abenteuer-Movie, Science-Fiction, Komödie und Thriller wechselt und dabei sechs auf fünf Jahrhunderte verteilte Episoden abzubilden trachtet, es jedem Publikum schwer. In Amerika hat er vor zwei Wochen einen sehr schwachen Start erwischt, und nun richten sich die Hoffnungen der Macher auf den Rest der Welt. Doch wie einen Film durchsetzen, der in seiner ersten Hälfte ohne Kenntnis der literarischen Vorlage nahezu unverständlich bleibt? Auch der Mitchell-Leser dürfte nicht sonderlich glücklich werden. Denn wo das Buch vor allem sprachlich intelligent unterhält, setzt der Film massiv auf den Erbaulichkeitsnutzen.

„Cloud Atlas“ (2004) ist Mitchells dritter Roman. Die sechs Episoden von 1849 bis 2346 erzählt der fabelhafte Fabulator mal im altertümelnden Ton eines Schiffstagebuchschreibers, mal als atemlosen Briefroman, mal als stets im Präsens hechelnden Groschenheft-Thriller, mal im Memoirenton des älteren Herrn, mal als Interview und mal als inneren Stammelmonolog eines Ziegenhirten nach dem Fast-Weltuntergang. Wobei die Stories zunächst, jeweils halb erzählt, chronologisch dem Scheitelpunkt fernster Zukunft entgegenstreben, um sich sodann, narrativ brav komplettiert, schrittweise ins 19. Jahrhundert zurückzuwinden. Diese sogenannte Palindrom-Struktur ist so aufregend nicht, hat aber den Vorteil einer gewissen Übersichtlichkeit.

Darf man sagen, die Regisseure – Tykwer war eher für Vergangenheit und Gegenwart zuständig, die Wachowskis für den futuristischen Teil – haben filmisch das Äußerste aus der Vorlage herausgeholt? Visuell durchaus, erzählerisch weniger. So beginnt und endet der Film in der fernen Zukunft, vermeidet dazwischen die anderswo tausendmal gesehene glatte Chronologie, verwischt damit aber die von Mitchell fein gesetzten Cliffhanger und leitmotivischen Details. Stattdessen springt „Cloud Atlas“ im gefühlten Minutentakt zwischen Genres und Zeitebenen hin und her, ganz als wolle er seinen eigenen Trailer kopieren. Mag ja sein, dass wir globalisierte Internetsurfer das Dauerswitchen gewohnt sind; Erzählen aber, auch das innovative, fordert Struktur. In „Cloud Atlas“ dagegen regiert das Prinzip Dekonstruktion bis zur Selbstzerschnipselung.

Wie der Film auf die Bedeutungshubertube drückt

Tom Hanks als Schiffsarzt und Jim Sturgess als sein Patient.
Tom Hanks als Schiffsarzt und Jim Sturgess als sein Patient.
© X-Verleih

Das verständliche Bedürfnis der drei Filmemacher, die Teile dann doch irgendwie miteinander zu verbinden, mündet in eine Idee, die auf den ersten Blick lustig wirkt, auf den zweiten allerdings gaga. Weil sie, offenbar in rauschhaft esoterischer Gemeinsamkeit, unbedingt die Seelen wandern lassen wollen, müssen ihre Schauspieler Tom Hanks und Jim Sturgess und Susan Sarandon und Hugo Weaving und Halle Berry und Hugh Grant und Doona Bae und James D’Arcy und Ben Whishaw und Jim Broadbent in möglichst vielen Episoden in immer wieder neue Rollen schlüpfen. Dabei spielen Junge auch Alte, Männer auch Frauen, Schwarze auch Weiße und umgekehrt. Ein Beispiel: Tom Hanks ist, von der Maske stets sorgfältig neu zugerichtet, Schiffsarzt, Physiker, wütender Trivialautor, böser Hotelmanager und schließlich der erwähnte brabbelnde postapokalyptische Ziegenhirte namens Zachry. Ob ihm dieser Mummenschanz demnächst zum Oscar gereicht – oder zur zweifelhafteren Ehre der Goldenen Himbeere?

Hinzu kommt: Viel stärker als der Roman, der auch seine ideologisch deutbaren Passagen via Rollenprosa relativiert, drückt der Film auf die Bedeutungshubertube. Dabei wird der bei Mitchell eher diffus aufscheinende Gedanke, die Menschheit könne sich noch veredeln, wenn sie statt den Willen zur Macht jenen zur Gemeinsamkeit aufbringt, gern im Predigerton vorgebracht. Das klingt im Film dann so: „Alle Grenzen sind Konventionen, die nur darauf warten, überwunden zu werden.“ Oder: „Unsere Wege gehören nicht uns. Von der Wiege bis zur Bahre sind wir mit anderen verbunden.“ Doch Vorsicht! Zuschauer, die gegen diese raunend transzendentöse Medikation resistent sein sollten, werden von Filmemacherseite sogleich als „Taliban des Anti-Intellektualismus“ enttarnt.

Derlei Statements von Lana Wachowski könnten locker als bewusstseinserheiternd durchgehen, wenn das ästhetische Resultat dieses großen Wagnisses nicht so traurig wäre. Überhaupt bauen die Regisseure, mit Hinweisen auf Melvilles einst verkannten „Moby Dick“ oder die anfangs gespaltene Aufnahme von Kubricks „2001“, bereits trotzig vor – für den Fall, dass ihr Herzensprojekt weltweit floppt. Dabei klingen sie (Tsp-Interview vom 10.11.) eher wie Undergroundfilmer, nicht wie Leute, die mit ihrem Budget Blockbuster-Dimensionen anpeilen. Die Zahlen: Neun Millionen Dollar Einspiel am ersten Wochenende in Nordamerika, das mochte noch dem Sturm Sandy geschuldet sein. Seitdem aber halbiert sich der Umsatz jede Woche und liegt mit nun 2,5 Millionen Dollar für US-Verhältnisse bereits dicht an der Nachweisgrenze.

So scheint das Abenteuer, das derzeit so risikoscheue Hollywood via Potsdamer Babelwood zu toppen, schon jetzt grandios gescheitert. Im Fall der Wachowskis übrigens nicht zum ersten Mal: Vor fünf Jahren drehten sie hier, unter anderem mit neun Millionen Euro vom DFFF, „Speed Racer“, der sich als Flop erwies. Überhaupt erinnert das von Kulturminister Bernd Neumann erdachte Instrument, das die Filmwirtschaft mit jährlich 60 Millionen Euro (ab 2013: 70 Millionen) subventioniert, in solch spektakulären Fällen fatal an jenes stupid German money, das einst über die berüchtigten privaten Steuerspar-Filmfonds generiert wurde – so wichtig es sein mag, große internationale Produktionen nach Deutschland zu holen. Mit den „bedingt rückzahlbaren“ Produktionsdarlehen der Länderförderungen sieht es nicht viel besser aus: Wenn es ans Auslösen geht, sind auch bei „Cloud Atlas“ erst mal die Privatinvestoren dran. Was übrig bleibt, lässt sich erahnen.

Kein Trost, nirgends? „Heaven’s Gate“ hatte ein zweites Leben. Ein paar Jahre nach dem misslungenen Start kam der Film neu heraus, in kürzerer Version und in vergleichsweise bescheidenem Rahmen. Die Europäer mochten ihn.

"Cloud Atlas" ist mit knapp 500 Kopien in Deutschland gestartet und läuft in 26 Berliner Kinos.

Jan Schulz-Ojala

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