Amtsaufgabe des "Bild"-Herausgebers: Mach’s gut, Genosse Diekmann
Zum Abschied von "Bild"-Herausgeber Kai Diekmann eine Polemik von der anderen Seite der Straße - nach einer langen und komplizierten Beziehung zwischen "taz" und der Boulevardzeitung.
Vorweg eine Warnung: Die Beziehung zwischen Kai Diekmann und der „taz“ ist eine komplizierte, ein bisschen Hass-Liebe, früher war sie nur Hass, über die Jahre ist etwas Milde dazugekommen. Wir haben immer links der Kochstraße gewohnt, er und seine „Bild“ rechts, und als die Anschrift in Rudi-Dutschke- Straße umbenannt wurde, gab uns das zumindest ein wenig historische Gerechtigkeit nach all dem Sexismus und nach all dem Gift, das seine „Bild“ über Jahrzehnte versprüht hat, gegen Dutschke und die Studentenbewegung ebenso wie gegen Minderheiten und die Griechen. Die Beispiele sind Legion.
Diekmann hat das Blatt in homöopathischen Dosen in die Moderne überführt und liberaler gemacht, zumindest soweit die „Bild“ das kann. Die „taz“ hat ihm ein Denkmal am eigenen Haus gesetzt, eine überlebensgroße Plastik inklusive Gemächts, Titel: „Friede sei mit Dir“. Er hat die „taz“ erst wegen eines satirischen Textes über das Körperteil verklagt, dann wurde er Mitglied in der „taz“-Genossenschaft.
Am kommenden Dienstag nun tritt Kai Diekmann, 52, als Herausgeber von Deutschlands größter und umstrittenster Boulevard-Zeitung ab, nachdem er bereits die Chefredaktion aufgegeben hatte. Er geht zu einem Zeitpunkt, zu dem die „Bild“ auch nicht mehr das ist, was sie mal war – dieser Tage hat sie sich sogar reumütig für den Fehler entschuldigt, mit Sigmar Gabriel den falschen Kanzlerkandidaten der SPD ausgerufen zu haben. Springers kalten Kriegern wäre eine solche Nettigkeit nie passiert.
Zuletzt waren Zeitplan und Abschiedschoreografie von Diekmanns Ausstieg gehörig durcheinandergewirbelt worden, nachdem bekannt geworden war, dass eine Springer-Mitarbeiterin den Vorwurf der sexuellen Belästigung erhoben hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, Diekmann streitet die Vorwürfe ab und für ihn gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung, so, wie man sie sich andersrum auch bei vielen „Bild“-Berichten gewünscht hätte.
Rauf und runter im "Bild"-Fahrstuhl
Der Satz, mit dem Springer-Chef Mathias Döpfner einst im Gespräch mit Günter Grass die Rolle der „Bild“ so treffend beschrieben hat, hat seitdem dennoch einen anderen, hässlichen Beigeschmack erfahren: Wer mit „Bild“ im Fahrstuhl nach oben fährt, fährt auch mit ihr wieder herunter. Den Rest klärt die Staatsanwaltschaft.
Im amerikanischen Wahlkampf haben wir unlängst erlebt, wie das männliche Geschlecht ganz anders als am „taz“-Haus eine wichtige Rolle spielte, Donald Trumps Gemächt (das größte von allen), vom Kandidaten selbst vermessen. Nun hat Diekmann Trump vor Kurzem in New York getroffen und bemerkenswert handzahm interviewt, es war ein spektakulärer journalistischer Abschied, der Diekmann viel Aufmerksamkeit einbrachte. Man wüsste gerne, worüber die beiden geredet haben, als die Mikrofone aus waren, viel Verbindendes gab es ja nicht. Vielleicht über Längen und Größenverhältnisse?
Trotz einer atemberaubenden Karriere, die mit einem Schülerzeitungsinterview mit Helmut Kohl 1982 begann und mit der Übernahme der Chefredaktion der „Bild“ 2001 gipfelte, hat es für ganz oben, Springers Vorstand, nie gereicht. Bei Springer erzählt man sich, Friede Springer habe ihn als zu grobkörnig befunden. Für den Zutritt zu Deutschlands wahrer Oberklasse hilft eine klassische Klavierausbildung noch immer mehr.
Zwischen Vergangenheit und Zukunft
Was kann für jemand wie Diekmann noch kommen? Er könnte sich zu seinem Ziehvater und Trauzeugen Helmut Kohl zurückziehen und dessen Nachlass publizistisch verwalten; eine Rolle, die man mit Unbehagen in den Händen von Kohls zweiter Frau Maike Kohl-Richter weiß und die Diekmann gut, wenn auch etwas langweilig anstehen würde. Er könnte auch Start-up-Gründer im Silicon Valley werden, wo Diekmann bereits ein paar Monate verbrachte und wo mit Peter Thiel ja schon ein anderer deutscher Auswanderer mit Affinität zu Trump herumturnt. Für Diekmann wäre es auch eine Entscheidung zwischen Vergangenheit und Zukunft, wie sie Männer in der verspäteten Midlife-Krise oft treffen müssen. Wenn wir ihm einen Rat geben dürften, dann würden wir Silicon Valley empfehlen, mit Trump kann er ja, und das Wetter dort ist auch besser.
Mach’s gut, Genosse Kai, Friede sei mit Dir.
Barbara Junge ist stellvertretende Chefredakteurin der „taz“ und war davor Tagesspiegel-Korrespondentin in Washington.
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