"Tatort" aus Hessen: Lieder, Lyrik und Leichen
Kein schöner Land in dieser Zeit: Der „Tatort“ aus Frankfurt am Main spielt zwar im rechten Milieu, beleuchtet aber eine nicht so bekannte Spielart.
Die Titel der ARD-Sonntagabendkrimis sind in letzter Zeit überraschend aussagekräftig. Der „Polizeiruf 110“ am vergangenen Sonntag trug den Namen „Angst heiligt die Mittel“. Die Bewohner eines Dorfes in der Nähe von Rostock hatten wenig Skrupel, an einer Obdachlosen ein grausiges Verbrechen zu verüben, um es gegen zwei Sexualstraftäter zu verwenden. Der „Tatort“ an diesem Wochenende stammt vom Hessischen Rundfunk und läuft anders als der vorgezogene „Polizeiruf“ in der vergangenen Woche ganz regulär im ARD-Sonntagsprogramm.
Sein Titel „Land in dieser Zeit“ ist eine Anspielung auf das Volkslied „Kein schöner Land in dieser Zeit“. Doch an den Ereignissen, mit denen sich die Frankfurter Kommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) befassen müssen, ist absolut nichts Schönes. Vielmehr ist das, was sich hinter den Verbrechen verbirgt, nicht minder erschreckend als die Motive der dumpfen Dörfler im „Polizeiruf“ vor einer Woche.
"Kill all Nazis"
„Kill all Nazis“ steht auf den Gehsteig vor dem ausgebrannten Friseursalon. In dem Geschäft wird eine stark verkohlte Leiche gefunden, die am Handgelenk ein Armband mit dem Namen Melanie trägt. Offenbar handelt es sich um die Auszubildende des Betriebes, die bei dem mit einem Molotowcocktail verübten Brandanschlag ums Leben kam. Ihre Kollegin Vera Rüttger (Jasna Fritzi Bauer) berichtet den Ermittlern von einem Streit zwischen der Auszubildenden und einem afrikanischen Drogendealer, den sie vor dem Geschäft vertreiben wollte. Der Mann habe sie als Nazi-Schlampe und Rassistin beschimpft, erzählt die Friseuse weiter. Sie und die Chefin des Friseursalons (Birge Schade) sind sich bei einer Gegenüberstellung sicher, dass es sich bei dem Drogendealer um John Aliou (Warsama Guled) handelt. Doch Kommissarin Janneke bezweifelt diese Aussagen. Vor allem Vera Rüttger kommt ihr suspekt vor.
Auch andere Befragte machen sich verdächtig, so zum Beispiel Veras WG-Mitbewohnerin Juliane Kronfels (Anna Brüggemann), die versucht, Vera vor der Polizei abzuschotten. Ebenso wie Margaux Brettner (Odine Johnke) vertritt sie zudem eigenartige deutschtümelnde Ideen. Dass die drei Frauen gemeinsam im Chor sind, entlastet sie zumindest in den Augen von Anna Janneke nicht, obwohl es in der Geschichte an Verdächtigen nicht mangelt. Auch Veras Freund Heiner, ein Ex-Wehrsportler und bekannter Rechtsradikaler, gerät in das Visier der Ermittler.
Herausragend aus dem „Tatort“-Ensemble aus Frankfurt am Main ist Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer. Ihre Vera Rüttger lässt sich einerseits von niemandem etwas sagen, zum anderen sucht sie Nähe und Schutz bei ihrer Mitbewohnerin. Zwischen verstockt bis verständig wechseln bei ihr die Gefühlslagen.
Ein Lautgedicht von Ernst Jandl
Die „Tatort“-Macher aus Hessen sind stets bemüht, ihren Episoden ein besonderes Flair zu geben. In dieser Folge des vielfach ausgezeichneten Regisseurs Markus Imboden (Buch: Khyana el Bitar, Dörte Franke und Stephan Brüggenthies) wird gesungen und rezitiert, was das Zeug hält. Für Letzteres ist in „Land in dieser Zeit“ insbesondere Fosco Cariddi (Bruno Cathomas), der neue Chef der Mordkommission, zuständig. Ebenso wie Broich und Koch ist Cathomas auf den Theaterbühnen ebenso aktiv wie in Film und Fernsehen. In voller Länge rezitiert er als Cariddi Ernst Jandls Lautgedicht „Etude in f“ – und Janneke und Brix verziehen keine Miene.
„Tatort: Land in dieser Zeit“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15