"Tatort"-Kommissar Wolfram Koch im Porträt: „Murmel, Murmel, Murmel“
Kann es für Schauspieler tollere Angebote als „Tatort“-Kommissar geben? Für Wolfram Koch, den Neuen in Hessen, bestimmt.
Vor zehn Jahren spielte Wolfram Koch eine Leiche. Im Bremer „Tatort“ hatte man ihn gleich zu Beginn erschossen. Man sah ihn in der Gerichtsmedizin liegen; fahl und ausdruckslos. An dem Montag nach der Ausstrahlung erkannten ihn die Leute auf der Straße wieder. Sie kamen auf ihn zu und riefen: „He, du bist ja Schauspieler.“ Zu diesem Zeitpunkt stand Wolfram Koch schon 20 Jahre auf der Bühne.
Es ist ein lauer Frühlingssonntag, als Berliner und Touristen zur 18-Uhr-Vorstellung ins Deutsche Theater drängen. Regisseur Stefan Pucher hat Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ inszeniert. Wolfram Koch spielt Malvolio, den Haushofmeister der Gräfin Olivia, der glaubt, dass diese in ihn verliebt sei. In gelben Strumpfhosen, ein Narr mit langen Beinen, steht er an der Rampe und liefert dem Publikum eine One-Man-Show. Er bewegt sich wie ein junger Hund, tanzt auf einem Bein, jongliert mit der Sprache wie mit Keulen, die durch die Luft fliegen. Ein Kabinettstückchen aus Slapstick und Wortakrobatik. Die Zuschauer im Raum sind amüsiert. „Ich bin ein Komödiant“, sagt Wolfram Koch. „Ich bringe gern die Leute zum Lachen.“
Er ist der neue „Tatort“-Kommissar des Hessischen Rundfunks. An der Seite von Margarita Broich wird er als Nachfolger von Joachim Król in Frankfurt am Main ermitteln. Anfangs habe er gezögert, die Rolle anzunehmen, sagt Wolfram Koch. Er hatte Angst, dafür auf das Theater verzichten zu müssen. Aber nun, wo das geklärt ist, findet er die neue Arbeit angenehm. „Ich sehe den ,Tatort‘ nicht als den Höhepunkt oder das Ende meiner Karriere“, meint er. „Sondern ich sehe ihn eher wie eine neue Inszenierung, die ich mache. Eine neue Ecke, in der ich mich ausprobieren kann.“
Wolfram Koch ist einer der meistbeschäftigten deutschen Bühnen-Schauspieler
Er wartet in der Kantine des Deutschen Theaters, vor ihm steht ein Bier, neben ihm sitzt sein Sohn, der die Vorstellung besucht hat. Nach zweieinhalb Stunden Bühnentanz wirkt Wolfram Koch immer noch wie unter Strom. Die Haare fliegen auf 20 000 Volt, er redet schnell, als könnte er so die Zeit verdoppeln. In einer Stunde fährt er mit dem Zug nach Frankfurt, dort lebt er. Am nächsten Tag fliegt er nach Zürich, hier spielt er in „Die Physiker“ von Dürrenmatt. Zwischen den Auftritten jettet er nach Luxemburg, wo er „Die Nashörner“ von Eugène Ionesco probt. Vermutlich ist Wolfram Koch im Moment der am meisten beschäftigte Schauspieler auf deutschsprachigen Bühnen. Der Lichtspot, der auf ihn gerichtet ist, scheint immer heller. Im März hat er zusammen mit Samuel Finzi für seine Darstellung des Estragon in Samuel Becketts „Warten auf Godot“ einen der bedeutendsten Theaterpreise gewonnen – den Gertrud-Eysoldt-Ring. In der Begründung der Jury hieß es, die beiden seien „eines der vertrautesten, verzweifeltsten und urkomischsten Theaterpaare des letzten Jahrzehnts“. Bei der Verleihung in Bensheim feierten sie bis in die Morgenstunden.
Man könnte die Karriere von Wolfram Koch in Häuser packen: Schillertheater Berlin, Schauspielhaus Bochum, Wiener Burgtheater, Volksbühne, Deutsches Theater. Man könnte sie mit Namen erklären: Leander Haußmann, Herbert Fritsch, Dimiter Gotscheff, Christoph Marthaler. Man muss sie aber vor allem als den Weg eines Mannes begreifen, der von sich sagt: „Ich langweile mich sehr schnell vor mir selbst. Ich will kein Möbel sein, sonst verliere ich meine Lust am Spielen. Wenn ich merke, ich mache wieder und wieder das Gleiche, dann höre ich auf, dann wechsle ich.“
1962 wurde er in Paris geboren. Sein Vater arbeitete als Jurist bei der Nato. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr wuchs er als „Halbfranzose“ auf. Heute hat er ein Haus in der Bretagne, das er so viel wie möglich nutzt, im Frühling, im Sommer, im Herbst, im Winter und zu Weihnachten, wie er sagt. Er war elf, als er seine schauspielerische Karriere begann. Ein schüchterner Junge, der von seiner älteren Schwester in das Bonner „Theater der Jugend“ begleitet werden musste, weil er sich allein nicht dorthin traute. Mit 13 hatte er seinen ersten Filmauftritt. Das war 1975, der Vietnamkrieg war zu Ende und der „Tatort“ fünf Jahre alt. In Vojtech Jasnys Spielfilm „Ansichten eines Clowns“ war er der junge Hans Schnier, der sich im Nachkriegswunderdeutschland von den Traditionen seiner Familie abwendet. Beim Spielen ist er geblieben. So wie andere eine Bäcker-, Glaser- oder Schreinerlehre machen würden, sagt er, sei die Schauspielerei einfach sein Beruf geworden.
Das Studium in Frankfurt brach er nach eineinhalb Jahren ab. Er wollte lieber in die Praxis. „Learning by doing“, nennt er das. Oder: Auf die Nase fallen, aufstehen, auf die Nase fallen, aufstehen. Wolfram Koch war früher Turner, er bewegt sich immer noch gern, manchmal auch in der Rückwärtsrolle. Einmal stand er mit seinen drei Söhnen auf der Straße, weil er ein Engagement gekündigt hatte. Eine Leidensphase, durch die man durch müsse, meint er. Dafür aber habe er sich nie in eine Mühle begeben, sondern immer nur das gemacht, was ihn interessierte. Seine Freiheit hießen Low-Budget-Filme, mitunter ein „Tatort“, anarchisches, absurdes Theater.
Virtuos spielt er mit Worten
Er fängt an zu murmeln. „Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel.“ Dann macht er eine Pause und schnipst. Weiter geht’s: „Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel.“ Pause, Schnipser. Wolfram Koch zählt das Murmel-Wort bis auf eins herunter, es klingt wie ein Song der Neuen-Deutsche-Welle-Band „Trio“. 176 Seiten lang ist der Text des Schweizer Dichters Dieter Roth, der nur aus diesem einem Wort besteht. An der Berliner Volksbühne wird das Stück gefeiert, jetzt ist es zum Theaterfest nach Edinburgh eingeladen. In einer Szene steht Wolfram Koch auf der Bühne und starrt mit aufgerissenen Augen hasserfüllt ins Publikum. Das Murmelwort klebt ihm im Mund fest wie ein hart gewordener Kaugummi. Er kaut darauf herum mit dem Blick eines trotzigen Kindes, bis er es schließlich voller Verachtung ausspuckt. Man hat ihn einen Virtuosen im Spiel ohne Worte genannt, und wenn man ihn so sieht, ahnt man, warum. „Mich hat als Schauspieler immer die Komödie in der Tragödie interessiert und andersherum“, sagt er. „Ich mache keinen Unterschied zwischen ernstem und Unterhaltungstheater.“
Am 17. Mai wird Wolfram Koch nun zum ersten Mal als Hauptkommissar Paul Brix im „Tatort“ Frankfurt zu sehen sein. Den Namen Paul Brix hat er sich ausgesucht, kurz und knapp sollte er sein. Wie er selbst ist der Kommissar Halbfranzose, wie er lebt er in der größten Stadt in Hessen, die eine Mixtur ist aus Banken und Bürgertum, aus Arm und Reich. „Ich versuche, die Figur so normal und natürlich wie möglich zu spielen“, sagt Wolfram Koch über seinen Ermittler. „Man muss nicht alles über ihn wissen, die Zuschauer sollen sich selbst einen Reim auf ihn machen. Von mir werden sie jedenfalls nicht erfahren, was das für einer ist.“ Er sagt das mit einer Bestimmtheit, als spräche er dabei auch über sich. Seitdem er zum „Tatort“-Kommissar ernannt wurde, ist das Interesse an ihm gestiegen. Die Prominenz, sagt Wolfram Koch, sei ihm aber scheißegal. Genauso wie die Kritiken. Seine Frau hat den ersten „Tatort“ mit ihm schon gesehen. Sie fand ihn nicht den besten, aber auch nicht schlecht. Mehr, sagt Wolfram Koch, könne er nicht tun.
„Murmel Murmel“, Volksbühne Berlin, Sonntag, 19 Uhr 30