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Instagramer Younes Saggara mit einem weiblichen Fan.
© ZDF und SRF

TV-Doku über die „Generation Selfie“: Leben für die Likes

Eine 3sat-Dokumentation stellt drei Vertreter der „Generation Selfie“ vor. Und zeigt, wie immer neue Formen von Körperkulten entstehen.

Selfies sind zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Sie werden im Netz geteilt und geliked. Um aber möglichst viele digitale Herzen zu erobern, müssen die Schnappschüsse schon etwas hermachen. Eine 3Sat-Dokumentation über junge Influencer zeigt, wie viel Blut, Schweiß und Künstlichkeit hinter einem Selfie steckt, das lässig und natürlich wirken soll.

Die Mädchen im Kaufhaus kreischen so hysterisch, wie man es von einem alten Konzertfilm über die Beatles kennt. Ihr Idol ist aber kein Musiker. Es ist Younes, ein 18-jähriger Detailhandels-Lehrling aus Bern. Abonnenten auf Instagram: 14 500. Was macht ihn so unwiderstehlich? Der Junge schießt den ganzen Tag Fotos von sich selbst. Meist posiert er in Markenklamotten. Dabei überlässt er nichts dem Zufall. Jedes Bild ist inszeniert. Und wenn es nicht perfekt aussieht, dann wird nachgeholfen. Mit Filtern und Beauty-Apps passt der junge Mann sein Aussehen der Idealvorstellung an. Warum er nicht über seine Homosexualität spreche? fragt die Reporterin den Mädchenschwarm. „Ich finde, das ist mein Privatleben“, sagt der junge Mann, der praktisch sein gesamtes Privatleben online stellt. Passt ein schwules Idol nicht in die schöne neue Welt des digitalen Scheins?

Immer weiter vom realen Ich entfernt

Die Dokumentarfilmerin Vanessa Nikisch wirft einen Blick hinter die Kulissen einer Szene, in der sich das Online-Aussehen vom realen Ich immer weiter entfernt. Junge Frauen verwandeln sich in lebende Litfasssäulen. Die Schülerin Michelle beispielsweise hortet in der Schublade Beautyprodukte, die von der Influencerin Kylie Jenner beworben werden. Um auch das Markenzeichen ihres Vorbilds, den aufgespritzten Schmollmund, physisch zu imitieren, lässt die 16-Jährige sich vor der Fernsehkamera die Lippen mit Injektionen aufblasen. Die gruselige Prozedur, zu sehen in Großaufnahme, kostet umgerechnet 320 Euro. Für Michelle ist der Eingriff allerdings gratis: „Als Gegenleistung macht die Schülerin auf ihren Social-Media-Accounts Werbung für die Beauty-Klinik“.

Der Film zeichnet das Ineinandergreifen diverser Mechanismen nach: Der Narzissmus des perfekten Selfies, digitale Bildbearbeitung, viele Likes, Produktmarketing und Schönheitschirurgie schaukeln sich gegenseitig auf. Physiker würden von einer positiven Rückkopplung sprechen. Wie problematisch dieser mediale Hype sein kann, zeigt das Beispiel von Chiara, die ihre Magersucht mit Selfies dokumentierte. „Anorexie ist ein Wettbewerb. Wer ist kränker? Wer ist dünner?“, erklärt die junge Frau. „Mein Ziel war es, langsam zu verschwinden.“ Sie hat einen Ausweg aus der tödlichen Bilderfalle gefunden. Heute stellt die Sportstudentin Bilder von ihrem durchtrainierten Körper ins Netz.

Die Dokumentaristin verzichtet auf den warnenden Zeigefinger. Sie spürt einem Trend nach, der mit der Verbreitung von Smartphones und digitaler Bildbearbeitung immer neue Variationen von Körperkulten entstehen lässt. So führen alle drei Protagonisten ein Leben nur für Likes. Doch was geschieht, wenn die Follower irgendwann das Interesse verlieren und schweigen? Darauf scheinen sie keine Antwort zu haben. Manfred Riepe

„Generation Selfie“, 3Sat, Mittwoch, 20 Uhr 15

Manfred Riepe

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