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Schmerzensfrau. Käthe Kollwitz Ende der 30er Jahre vor einem Entwurf ihrer berühmtesten Plastik, der Pieta.
© Nachlass Kollwitz

TV-Biografie über Käthe Kollwitz: Kunst ist Politik

Eine Arte-Dokumentation zum 150. Geburtstag der Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz.

Im 19. Jahrhundert war die Rolle der Frau festgelegt. Sie sollte zu einer „attraktiven Heiratspartie reifen und ihren späteren Ehemann glücklich machen“. Käthe Kollwitz heiratete, griff aber auch zum Pinsel und wurde als „Malweib“ verschrien. Heute gilt sie als eine der bedeutendsten Künstlerinnen Deutschlands.

Die am 8. Juli 1867 als Käthe Schmidt in Königsberg Geborene durchlebte die Kaiserzeit, den Ersten Weltkrieg, den Nationalsozialismus und starb drei Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Filmdokumente veranschaulichen diesen abenteuerlichen Epochenwechsel und spiegeln ihn mit Kollwitz' künstlerischer Entwicklung. Ein Schlüssel zu ihrem Werk ist die unbürgerliche Herkunft. Der Vater, ein studierter Jurist, der wegen seiner sozialdemokratischen Gesinnung keine Anstellung fand, förderte das Talent der jungen Frau ebenso wie ihr späterer Ehemann Karl Kollwitz. In der Praxis dieses Armenarztes lernt sie Prostitution, Arbeitslosigkeit und Kinderarmut kennen. Mit diesen Themen fand sie auf der Berliner Kunstausstellung 1898 erste Anerkennung. Wilhelm II. qualifizierte ihre Radierungen als „Rinnsteinkunst“ ab.

Wandel zur Pazifistin

Als ihr Sohn im Ersten Weltkrieg stirbt, vollzieht die Künstlerin einen schmerzhaften Wandel zum Pazifismus: „Es ist genug gestorben! Keiner darf mehr fallen!“ Als Frau – die zu diesem Zeitpunkt nicht einmal wählen durfte – löst sie mit diesen programmatischen Worten, im Oktober 1918 in der SPD-Zeitung „Vorwärts“ publiziert, „ein politisches Erdbeben aus“. Über Nacht wird die Kollwitz zur „öffentlichen Person“. Ihre Kunst fokussiert sich auf das Soziale. Stillleben und Nettigkeiten sucht man bei ihr vergebens. Sinnbildlich für ihr Schaffen ist eine knapp 40 Zentimeter große Bronze, die berühmte „Pieta“. Deren übergroßer Abguss bildet seit 1993 das künstlerische Zentrum der Neuen Wache, der Zentralen Gedenkstädte der Bundesrepublik Deutschland in Berlin.

Mit jener Frauenfigur, die sich über ihren toten Sohn beugt, verewigte die Kollwitz ihre persönliche Trauer. Das Bild der Künstlerin verengte sich dadurch aber auch auf übergroße Mütterlichkeit.

Film greift auf Buch-Biografie zurück

Die Arte-Dokumentation von Henrike Sandner und Yury Winterberg erschließt weitere Aspekte im Leben und im Werk der von Kommunisten, Pazifisten und Feministinnen verehrten Ikone. Winterberg greift dabei auf jene umfangreiche Kollwitz-Biografie zurück, die er 2015 gemeinsam mit seiner Frau Sonya Winterberg vorlegte. Insbesondere ein Dachbodenfund mit bislang unbekannten Handzeichnungen und dem vermutlich frühesten Selbstporträt als junger Frau erweitert den Blick.

Neben den schwermütigen Aspekten ihres Schaffens zeigt der Film auch die lebenslustige Künstlerin, die eine Affäre mit dem Sigmund-Freud-Verleger Hugo Heller hatte und sich zur „Hinneigung zu meinem eigenen Geschlecht" bekannte: Weil „Bisexualität für künstlerisches Tun fast notwendige Grundlage ist“.

Ausführungen von Kollwitz-Expertinnen sowie persönliche Erinnerungen der beiden Enkelinnen Julia Bohnke-Kollwitz und Jördis Erdmann – die der Großmutter verblüffend ähneln – runden das formal unspektakuläre, aber dennoch inspirierende Porträt ab.

„Kollwitz. Ein Leben in Leidenschaft“, Arte, Mittwoch, 22 Uhr 05

Manfred Riepe

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