Deutschlandreise ins Digitale: Kreativ aus der Krise
In einer 3sat-Reportage begibt sich Kommunikationsforscher Stephan Weichert auf die Suche nach den „Medienmachern von morgen“.
Im Sommer sieht die Lage immer optimistischer aus. Wegen der zurückgehenden Corona-Zahlen galt das für das vergangene Jahr besonders. Die wiedergewonnene Zuversicht spiegelt sich in den Gesichtern der jungen Journalisten, die der Kommunikationswissenschaftler Stephan Weichert auf seiner Reportage-Suche nach den „Medienmachern von morgen“ aufgesucht hat. Die von Stephan Lamby von Eco Media produzierte „Deutschlandreise ins Digitale“ ist am Dienstagabend bei 3Sat zu sehen.
In der warmen Jahreszeit kommt bei einem Freiluft-Experiment, wie es die beiden freischaffenden Wissenschaftsjournalisten Astrid Csuraji und Jakob Vicari unternommen haben, sicherlich neben dem Erkenntnisgewinn auch mehr Spaß auf. Die Gründer des Innovationslabors „tactile.news“ sind mit einem Tretboot auf der Ilmenau in Lüneburg unterwegs. Hinter sich ziehen sie eine Kinder-Strumpfhose her, mit der sie die Verschmutzung des Flusses durch Mikro-Plastikrückstände auf ebenso anschauliche wie nachvollziehbare Weise demonstrieren wollen. Aus „ertastbaren Nachrichten“ kann so ein „Journalismus der Dinge“ entstehen, erklären Csuraji und Vicari ihren Ansatz eines neuen Mitmach-Journalismus.
[„Medienmacher von morgen. Eine Deutschlandreise ins Digitale“, 3sat, Dienstag, 23 Uhr]
Nicht nur bei der „Landeszeitung Lüneburg“ wird diese Form von Kreativität und Fähigkeit zum journalistischen Querdenken geschätzt – schließlich kann dies ein Weg aus der Krise sein. Einer Krise, die einerseits finanzieller Natur ist und die durch den Anzeigen-Wegfall in Folge der Corona-Pandemie nochmals verstärkt wird. Andererseits besteht die Krise aber auch darin, dass speziell die jüngere Generation mit klassischem Journalismus immer schlechter erreichbar ist.
Undenkbar: Eine Zeitung aufschlagen
Die Form, in der die jungen Digital Natives Medien konsumieren, unterscheidet sich deutlich von älteren Generationen. Allein die Vorstellung, eine Zeitung aufzuschlagen, ist für viele von ihnen beinahe undenkbar, Nachrichten erreichen sie per Social Media. Doch obwohl sie selbst mit traditionellen News-Apps fremdeln, sind auch sie für journalistische Inhalte erreichbar, meinen Felix Friedrich und Dario Nassal, die Gründer des Berliner Medien-Startups „The Buzzard“. Nachrichten einordnen, Debatten anstoßen, um damit nicht zuletzt Fake News etwas entgegenzusetzen, ist ihr Ziel. Aus 1800 News-Quellen werden dazu täglich zwei Nachrichten- und ein Debattenthema ausgewählt. Mittels Crowdfunding haben sie dafür 180 000 Euro eingesammelt. Doch bis sie dahin gekommen waren, mussten einige prekäre Jahre überstanden werden.
Mit den Porträts der neuen Medienmacher will Weichert Denkanstöße liefern, welche innovativen Formen des Journalismus bereits jetzt existieren. Projekte wie diese, von denen es nach Schätzungen des Medienwissenschaftlers deutschlandweit rund 150 gibt, hätten eine viel zu geringe Sichtbarkeit. „Letztendlich will ich mit diesen hoffnungsfroh stimmenden Projekten Mut machen in einer Berichterstattung, die seit Jahren von einer Krisensicht auf diese Branche geprägt ist.“ Durch die Beobachtung solcher neuen journalistischen Darstellungsformen und Geschäftsmodelle lassen sich weitere Ideen entwickeln, hofft Weichert.
Auf die Unterstützung und aktive Integration der Nutzer setzt das wohl bekannteste unabhängige Medien-Startup. Das 2014 gegründete Online-Magazin „Krautreporter“ wird von 450 Genossen und 15 000 Unterstützern getragen. Das gibt den Krautreportern die Freiheit, die Hintergründe hinter jenen Nachrichten aufzuzeigen, die sie selbst und ihre Leser am meisten interessieren. Klasse geht hier klar vor Masse, denn pro Monat entstehen so gerade einmal rund zwanzig Beiträge. Für „Krautreporter“-Mitchefredakteur Rico Grimm haben sich die journalistischen Modelle des 20 Jahrhunderts überholt. „Den Journalismus resilienter zu machen, kann auch bedeuten, ihn in der bisherigen Form abzuschaffen“, sagt er provokativ. Die Medien werden in zwanzig Jahren möglicherweise so aussehen, wie wir sie heute nicht unter Journalismus einordnen würden.
Wenn beide Seiten profitieren
Wie erfolgreich Medienmacher von Morgen sein können, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, zeigt „MrWissen2go“ Mirko Drotschmann aus dem rheinland-pfälzischen Nierstein. Weichert hat ihn bei Dreharbeiten für das ARD-ZDF-Jugendportal funk über Tests von Corona-Impfstoffen und zu historischen Kultplätze für das ZDF-Magazin „terra X“ begleitet. Drotschmann schätzt an den öffentlich-rechtlichen Aufträgen, dass er so auf Product-Placement verzichten kann.
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Die TV-Sender profitieren wiederum von der Bekanntheit eines Journalisten, der mit zwei Millionen Youtube-Nutzern über eine breite Basis in der angepeilten jüngeren Zielgruppe verfügt. Dass ihn manche Politiker anfangs in erster Linie als Youtuber betrachten, hat Drotschmann öfter erlebt. Nicht erst seit seinem Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 – in dem es unter anderem um das Verhältnis von Deutschland zu einer von Präsident Erdogan geführten Türkei ging – weiß er, wie er durch kritische Nachfragen zeigen kann, dass er keine Gefälligkeitsfragen stellt.
Hinter den vier vorgestellten Projekten stehen ausnahmslos Idealisten, die von der für Journalisten üblichen Leidenschaft getrieben werden. Mit einem Unterschied zu den Festangestellten: Die journalistischen Startup-Gründer müssen ihr Geschäftsmodell ständig mitdenken. So schwierig das ist und so oft auch Zweifel aufkommen, kann das durchaus erfolgreich sein. Das hat Weichert mit seiner sehenswerten Reportage herausgefunden.